Gülec: "Jeder andere hätte für sein Leben ausgesorgt"
27.7.2013, 12:21 UhrHerr Gülec, auf dem Foto, das nach Ihrem Triumph um die Welt ging, salutieren Sie wie ein Soldat.
Tahir Gülec: Stimmt. Ich bin ja auch Soldat, Sportsoldat.
Bekommt man als Sportsoldat Ärger, wenn man das nicht macht?
Gülec: Nein, das muss man nicht. Aber mir war in diesem Moment einfach danach. Und bestimmt freuen sich jetzt meine Vorgesetzten (lacht).
Haben Sie die Nationalhymne mitgesungen?
Gülec: Ja, natürlich.
Ihre Eltern stammen aus der Türkei, Sie sind in Nürnberg geboren. Das heißt, Sie fühlen sich hundertprozentig als Deutscher?
Gülec: Nein, gar nicht. Ich bin innerlich eher Türke. Ich bin zwar hier geboren und lebe seit 20 Jahren hier, trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich mich als Deutscher fühle. Ich wurde irgendwann als Junge gefragt, ob ich für die Nationalmannschaft kämpfen möchte, da habe ich mich natürlich gefreut. Es gab keine Entscheidungsmöglichkeit für mich. Ich könnte jederzeit noch wechseln, für die Türkei starten. Ich bin aber auch zufrieden so, wie es ist. Meine ganze Familie kämpft schließlich für Deutschland.
Servet Tazegül, der Olympiasieger, ist auch in Nürnberg geboren, er startet aber für die Türkei.
Gülec: Na ja, er ist ja in die türkische Nationalmannschaft gegangen, weil er es nicht in die deutsche geschafft hatte. Ich bereue es nicht, dass ich nicht für die Türkei starte.
Wirklich nicht? Tazegül hat finanziell ausgesorgt, der türkische Staat zahlt ihm eine ordentlichen Sofortrente als Olympiasieger.
Gülec: Ja gut, da komme ich schon ins Nachdenken. Wenn ich für die Türkei, Spanien, Mexiko, England oder sonst was kämpfen würde, dann hätte ich wohl auch ausgesorgt.
Ärgern Sie sich manchmal, weil Kämpfer aus anderen Nationen mit Taekwondo viel Geld verdienen?
Gülec: Eigentlich immer, die ganze Zeit denke ich daran. Die Sportler anderer Nationen sind durch diese Anreize ja auch viel motivierter. Als Deutscher sagst du dir: „Okay, sechs Kämpfe, dann habe ich die Goldmedaille und vielleicht bessere Chancen auf die Olympia-Qualifikation.
Das ist Ihre Motivation?
Gülec: Auch. Aber vor allem gefällt mir der Sport, er macht mir Spaß.
Es ist für Sie immerhin ehrlicher Sport, den es heute kaum noch geben soll...
Gülec: Es geht wirklich für mich nur um den Ruhm. Aber ich kann schon auch ein bisschen davon leben, dank der Bundeswehr.
So gesehen bedeutet das Salutieren auch Dankbarkeit?
Gülec: Ja. Wenn die Bundeswehr nicht wäre, könnte ich nicht so intensiv arbeiten. Im Taekwondo gibt es kaum Sponsoren. Den Flug zu den US Open in die USA musste ich in diesem Jahr zum Beispiel selbst bezahlen.
Werden Sie wirklich gar nichts am WM-Titel verdienen?
Gülec: Man bekommt schon etwas. Aber im Verhältnis zum Aufwand und zum Erreichten ist es, vorsichtig gesagt, ein Witz. Ich meine: Ich bin der erste Weltmeister seit 18 Jahren ...
... der den Verband wieviel Geld wert ist?
Gülec: Ich weiß es wirklich nicht, ich habe noch nichts bekommen. Ich rechne mit einer kleinen, vierstelligen Zahl.
Sprechen wir kurz über Ihre Schwester, Sümeyye Manz, Herr Gülec. Sie scheiterte zweimal in der ersten Runde bei Olympischen Spielen. Es heißt, sie war zu aufgeregt.
Gülec: Das stimmt wohl. Ich war auch aufgeregt, aber wenn mir Leute Druck machen, höre ich nicht drauf.
Wäre Sümeyye mit der mentalen Kraft ihres Bruders auch gescheitert?
Gülec: Ich denke nicht. Sie kämpft unglaublich gut, sie hatte sich nur einfach zu viel Druck gemacht. Daran ist sie gescheitert.
Olympische Spiele und die WM — lässt sich das überhaupt vergleichen?
Gülec: Olympische Spiele sind ein bisschen höher anzusiedeln. Dabei ist eine WM eigentlich schwieriger zu gewinnen: Alle Top-Leute sind am Start, nicht pro Nation nur eine begrenzte Anzahl; eine WM geht über sechs Kämpfe, bis zu olympischem Gold sind es nur vier. Trotzdem ist Rio 2016 mein großes Ziel. Das wird sehr schwer, ich muss unter die besten Sechs der Weltrangliste kommen.
Auf welchem Rang stehen Sie?
Gülec: Ich bin von der Nummer neun auf die Nummer eins gesprungen. Aber es kann schnell gehen, dass man da wieder runterrutscht. Ab sofort muss ich da oben bleiben. Das wird sehr hart, jeder will den Weltmeister schlagen.
Das bedeutet keine Pause bis 2016, nicht einmal im Ernährungsplan?
Gülec: Den gibt es, ehrlich gesagt, gar nicht. Seitdem ich Weltmeister bin, sagt der Bundestrainer: „Auf Ernährung müssen wir offenbar nicht mehr achten.“
Essen Sie so ungesund?
Gülec: Sagen wir so: Ich esse einfach, worauf ich Lust hab’. Das waren auch in Mexiko mal Süßigkeiten, obwohl sie eigentlich verboten waren. Ich habe das verändert: Offenbar muss ein erfolgreicher Taekwondoka gar nicht auf Ernährung achten.
Auf was dann?
Gülec: Taekwondo ist ein Zusammenspiel aus Kraft, Geschwindigkeit, Kondition, Technik, Konzentration. Das Wichtigste aber ist der Kopf. Da bin ich ein ungewöhnlicher Kämpfer.
Inwiefern?
Gülec: Ich bin unheimlich ruhig, auch wenn ich mit vier, fünf Punkten zurückliege — wie im WM-Finale. Die ganze Halle, alle 7000 Menschen, haben geschrien, aber ich habe mein Ding durchgezogen. Ich war ja schon einmal im WM-Finale der Jugend in Mexiko, da habe ich alles versaut. Jetzt wollte ich es ihnen allen zeigen.
Was haben Sie gedacht, als Sie in diese Halle, diese Atmosphäre kamen?
Gülec: Ich habe mir einfach vorgestellt, dass die mich anfeuern. Dadurch habe ich keine Panik, keine Hektik und keinen Stress bekommen. Im Gegenteil, ich habe sogar mit den vielen Leuten gespielt.
Wie das?
Gülec: Es gab eine kurze Unterbrechung. Alle haben „buuh“ in meine Richtung geschrieen. Da habe ich mit dem Kopf begonnen, so zu nicken, der Bundestrainer hat schon gemahnt, ich solle ruhig bleiben. Das war ich aber. Die wollten mich provozieren, ich habe aber sie provoziert.
Sie waren gar nicht aufgeregt?
Gülec: Na ja, beim Stand von 1:4 in der letzten Runde, da habe ich schon Druck gehabt. Aber ich wusste: Er wird mich angreifen, weil er dumm ist; er denkt, wenn er nicht angreift, mach’ ich die Punkte. Darauf habe ich gewartet und Konterpunkte gesetzt. Ich war mental einfach stärker.
Sie sollen nach dem Kampf so fertig gewesen sein, dass Sie gar nicht mehr feiern konnten.
Gülec (schaut entgeistert): Ich habe aber so richtig gefeiert! Ich konnte mich zwar erst kaum bewegen, aber nach ein paar Schmerztabletten ging es bis in den frühen Morgen in die Disco.
Taekwondo ist nicht sehr populär in Deutschland. Hat Sie in Nürnberg auf der Straße überhaupt schon jemand als Weltmeister identifiziert?
Gülec: Ich war noch gar nicht in der Stadt, weil ich so sehr unter dem Jetlag leide. Aber ein Kumpel wurde mit mir verwechselt, irgendjemand wollte mit ihm Fotos machen. Ich bin ja gespannt, wie es wird, wenn erst der echte Tahir Gülec in die Stadt geht ...
Haben Sie viel Fanpost bekommen?
Gülec: Auf Facebook bekomme ich ständig Freundschaftsanfragen, sogar von Mexikanern. Und Nachrichten. Ich habe bisher auch alle beantwortet.
Gibt es auch Teenie-Mädels, die sich in Sie verliebt haben?
Gülec: Das verrate ich nicht.
Kommt so etwas beim Taekwondo nicht vor?
Gülec: Also gut: Klar gibt es so was. Erfolg macht eben sexy.
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