Hans Meyer, der Pokal und die Kerze, die nicht brennt

27.5.2012, 16:00 Uhr
Hans Meyer, der Pokal und die Kerze, die nicht brennt

© Bastian Eberle

Es gab einen Moment an jenem 26. Mai 2007 im Berliner Olympiastadion, als Hans Meyer für einen Moment die Zweifel übermannten. Als es plötzlich schien, als würde der 1. FC Nürnberg das Spiel noch aus der Hand geben. Es lief die 80. Minute im DFB-Pokalfinale, als Mario Gomez im Strafraum frei vor Raphael Schäfer stand und der ihn von den Beinen holte.

Während Schiedsrichter Michael Weiner Elfmeter für den VfB Stuttgart pfiff und die Clubfans in Schockstarre waren, schossen auch dem Trainer neben dem Platz Gedanken durch den Kopf. Gedanken, für die er sich heute fast ein bisschen entschuldigt. Meyer sagt: "Da spielte auch der Ärger mit. Wir lagen in Führung, hatten einen Mann mehr auf dem Feld, das Spiel war eng, aber fast vorbei - es war so schwer zu beurteilen, wie notwendig das Einsteigen von Rapha war."

Es hätte der Anfang vom tragischen Ende einer märchenhaften Pokal-Saison des 1. FC Nürnberg werden können. Es hätte die Szene sein können, in der die Realität den Club doch noch aus allen Träumen gerissen hätte. Es wurde sie nicht, obwohl der FCN sein Glück eigentlich schon in den vorangegangenen Pokalrunden aufgebraucht hatte.

Auf dem schmalen Grat

Denn es waren allesamt enge Partien, in Cloppenburg und Paderborn erzielte der Club nur ein Tor mehr als der Gegner, und noch heute wird Meyer sehr deutlich, wenn er über das schlechte Spiel gegen Unterhaching redet. An diesem eiskalten Dezemberabend ging es ebenso ins Elfmeterschießen wie zwei Monate später im Viertelfinale gegen Hannover 96, doch beide Male war das Glück ein treuer Begleiter des 1. FCN. Glück, das sagte Meyer seinen Schützlingen schon vor Saisonbeginn, sei auch ganz wichtig, wenn man im Pokal etwas erreichen wolle - und meinte damit auch einen hübscheren Briefkopf.

Eine bemerkenswerte Geschichte: Jan Kristiansen jubelt nach seinem Tor zum 3:2.

Eine bemerkenswerte Geschichte: Jan Kristiansen jubelt nach seinem Tor zum 3:2. © Roland Fengler

Meyer ist sich heute noch darüber im Klaren, wie schmal der Grat war, auf dem er und sein Club damals wandelten. Auch, als Elfmeterkiller Daniel Klewer sich in die Annalen des FCN eintrug:  "Als ich damals gegen Hannover Daniel Klewer brachte, waren noch zwei Minuten zu spielen. Hannover kommt kurz vor Spielende nochmal gefährlich zum Abschluss. Lässt Daniel den Ball durch die Hände rollen, ist er die tragische Figur", erklärt der 69-Jährige. Wie flüchtig das Glück ist: Jasmin Fejzic und die Spielvereinigung Greuther Fürth mussten es im März 2012 erfahren.

Die andere Szene, die Meyer im Kopf hat, wenn er die Pokal-Saison rekapituliert, ist der Moment, als die Spieler Michael A. Roth nach dem 4:0-Sieg über die Eintracht aus Frankfurt im Halbfinale auf ihren Schultern Richtung Nordkurve trugen. "Das Stadion steht Kopf, und der Präsident, der den Verein seit Jahren mit so viel Herzblut begleitet hat, ist mittendrin." Schade findet es Meyer, dass im Fußball sehr schnell über solche Momente hinweggegangen werde.

Ausgerechnet Kristiansen

Und dann war er da, der 26. Mai, doch der Club ging seit Wochen "auf dem Zahnfleisch", wie sich Meyer erinnert. Jawhar Mnari, Robert Vittek, Marco Engelhardt, Marek Mintal, Vratislav Gresko - Leistungsträger waren monatelang außer Gefecht, die Ergebnisse stimmten nicht mehr. Umso wichtiger sei es gewesen, dass man am letzten Spieltag in Hannover noch mit einem Erfolgserlebnis über die Ziellinie gegangen sei. Und wieder sei Glück dabei gewesen, denn Hannover erzielte an diesem Sommernachmittag ein reguläres Tor, das jedoch aberkannt wurde. 

Doch am Abend des 26. Mai, das sagt Meyer auch, war es gar nicht das Glück, das am Ende dafür sorgte, dass der FCN als Sieger vom Platz und mit dem Pokal ins Hotel ging. Für ihn waren es eine überragende Mannschaftsleistung und der große Wille seiner Elf, die am Ende den Ausschlag zugunsten des FCN gaben, obwohl der VfB "bis in die Zehenspitzen motiviert" gewesen sei.

Es ist typisch für Meyer, dass er den größten Club-Coup seit dem Meistertitel 1968 noch heute viel mehr als Teamleistung denn als persönlichen Erfolg verbucht. Heldenverehrung ist ihm fremd, viel wichtiger sind ihm Mannschaftsgefüge und Kollektiv, in dem es in dieser Zeit beim Club einfach gestimmt habe. Für Meyer ist es deswegen kein Paradoxon, mit Jan Kristiansen doch noch einen Namen zu nennen. "Dass ausgerechnet er, obwohl auch von Seiten der Fans sehr kritisch mit ihm umgegangen wurde, über die ganze Saison eine so fantastische Einstellung zeigt und sich dann mit einem Sonntagsschuss unsterblich macht", ist nicht nur für Meyer eine der bemerkenswerten Geschichten dieses Finales.

(K)ein Blick zurück

Als es wenige Minuten später endlich vorbei war und die Ostkurve des Olympiastadions im rot-schwarzen Jubelmeer versank, wirkte auch der Erfolgscoach absolut gelöst. "Es macht Spaß, wenn man gewinnt", sagte Meyer damals zum Abschluss. Heute sagt er, er sei "sehr, sehr zufrieden" gewesen. Viel mehr Einblick in sein Gefühlsleben von damals gewährt der Mann nicht, der seinen Pokalhelden Bierduschen-Kapriolen mit ihm untersagte.

Denn Hans Meyer ist kein Freund von Theatralik. Sicherlich weiß er um die Bedeutung, die dieser Erfolg für den Verein hatte, der jahrzehntelang von längst vergangenen Erfolgen zehrte, während die Gegenwart meist ziemlich trist war. Folglich ahnt er auch, was die Fans empfunden haben müssen, die von bittersten Abstiegen über Drittliga-Spiele in Egelsbach und Fast-Pleiten alles miterlebt hatten und nun im Olympiastadion für Treue und Leidenschaft belohnt wurden.

Und doch sagt Meyer: "Ich habe meinen Beruf stets ernst genommen, Glück und Zufriedenheit aber niemals nur über den Fußball und Erfolge definiert. Dass ich am Jubiläumstag eine Kerze anzünde, ist noch nicht vorgekommen." Dieses eine Spiel, das so viele Fans für all die jahrelange Enttäuschung entschädigt hat, dieses eine Spiel hat sich Meyer in fünf Jahren nicht ein einziges Mal angesehen. 

Bis vergangenen Freitag. Fünf Jahre, nachdem Raphael Schäfer den Pokal in den Berliner Nachthimmel reckte, war Hans Meyer bei Ultras Nürnberg eingeladen. "Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut. Es war interessant zu sehen, was die Fans, die es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer leicht haben, auf die Beine stellen können", sagt Meyer zum Abschluss. Zusammen mit ihnen hat er sich das Spiel zum ersten Mal seit dem Abend im Mai 2007 wieder angeschaut.

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