Fragen und Antworten

Was passiert eigentlich an Patrick Reimers großem Abend?

Sebastian Böhm

Sportredaktion

E-Mail zur Autorenseite

20.9.2023, 18:11 Uhr
In dieser Lücke wird es ab Freitagabend hängen, das Banner mit Patrick Reimers Nummer 17.

© Sportfoto Zink / Thomas Hahn, Sportfoto Zink / Thomas Hahn In dieser Lücke wird es ab Freitagabend hängen, das Banner mit Patrick Reimers Nummer 17.

Nürnbergs erfolgreichster Sportler des letzten Jahrzehnts kehrt zurück in die Stadt, wenn auch nicht aufs Eis. Die Ice Tigers erwarten am Freitag (19.30 Uhr) die Düsseldorfer EG zu einem normalen Punktspiel und ungewöhnlich viele Zuschauer und einen Gast, der für einen außergewöhnlichen Abend sorgen wird. Weil außerhalb der Eishockey-Blase vielleicht nicht jedem klar ist, was da genau passiert, erklären wir das hier.

Am Freitag wird also Patrick Reimers Trikot unter das Dach der Arena Nürnberger Versicherung gezogen… warum eigentlich? Weil das seit Jahren nicht mehr in Frage gestellt wurde. Um zu beantworten, warum das generell gemacht wird, muss man ein wenig ausholen. Vor dem feierlichen Moment, in dem ein Trikot unter das Dach eines Stadions oder einer Arena gezogen, braucht es erst einmal außergewöhnliche Leistungen, die in diesem Trikot vollbracht worden sind – und die Entscheidung des Klubs, diese Nummer nicht mehr vergeben. Begonnen hat das 1936, als die Toronto Maple Leafs beschlossen, den Stürmer Ace Bailey zu ehren – vier Jahre, nachdem Bailey sich bei einem Faustkampf so schwere Verletzungen zugezogen hatte, dass er seine Karriere beenden musste. In Nordamerika wurde das Ritual in Baseball, Basketball und Football übernommen. Vor allem bei Traditionsklubs führte das zu Problemen, für nachkommende Profis bei den Boston Celtics stehen beispielsweise nur noch 72 Nummern zur Verfügung.

Handelt es sich wirklich um Patrick Reimers Originaltrikot? Nein, es handelt sich überhaupt nicht um ein Trikot, sondern um ein Banner. Nachdem Umzug vom Lindestadion in die Arena hingen tatsächlich noch zwei Trikots verloren an den Dachsparren. Im Laufe der Jahre wurden die Trikots durch wertige Banner ersetzt, damit sie in der gesamten Arena gut sichtbar sind.

Wie viele Banner hängen denn da bereits? Bis Freitag, 19.20 Uhr, vier Stück. Die Nummern 4, 7, 12 und 28 werden von den Ice Tigers nicht mehr vergeben. Und ab 19.20 Uhr auch Reimers Nummer 17.

Warum wird die 4 nicht mehr vergeben? Weil Martin Müller das Nürnberger Profi-Eishockey geprägt hat – letztlich ohne daran teilzunehmen. Am Nordostbahnhof ist Müller zu einem talentierten Feldhockey- und zu einem Juniorennationalspieler im Eishockey herangereift, anstatt in Düsseldorf oder Köln zum Bundesliga-Torjäger zu werden, kehrte Müller wieder nach Nürnberg zurück, wo er mit seinen Toren dafür sorgte, dass der EHC 80 von der Oberliga in die 2. Liga aufstieg und sich zu einem DEL-Klub entwickeln konnte. Noch vor der Aufnahme in die DEL hatte er seine Eishockey-Karriere beendet. Sein Sohn Max wurde als Feldhockeynationalspieler so erfolgreich, dass Martin Müller inzwischen als der Vater des Hockey-Olympiasiegers vorgestellt wird.

Warum wird die Nummer 7 nicht mehr vergeben? Paul Geddes war ein typischer Eishockey-Profi der 90er-Jahre: Kaufbeuren, Peißenberg, viereinhalb Jahre Nürnberg, Landshut, Kassel. Eigentlich wird man so kaum zur Vereinslegende. Der Kanadier aber begeisterte auf dem Eis mit seinem Tempo und seinen spektakulären Toren und abseits mit seiner Nahbarkeit. Und als er in Nürnberg vor dem russischen Trainer Wladimir Wassiljew flüchtete, wurde er von seinen Kollegen auf seiner letzten Ehrenrunde auf Händen getragen – mitten in der Saison.

Warum wird die Nummer 12 nicht mehr vergeben? Weil Martin Jiranek der legitime Nachfolger von Paul Geddes war. Als Spieler zu gut für die damaligen Ice Tigers blieb der Kanadier loyal, wurde zum DEL-Topscorer in der legendären Vizemeistermannschaft. Nürnberg wurde ihm zur Heimat, seine Söhne lernten in der Arena das Eishockey spielen. Ehe er vom Profi zum Trainer und Manager wurde, hatte er sämtliche DEL-Rekorde seines Klubs gebrochen.

Warum wird die Nummer 28 nicht mehr vergeben? Die Geschichte wiederholte sich mehrmals in Nürnberg. Ein Kanadier kommt als Fremder und geht als Familienmitglied. Der Unterschied zu Geddes und Jiranek: Steven Reinprecht war als Stanley-Cup-Sieger und Weltmeister bereits ein Star, nur ließ er das in Nürnberg niemals jemanden spüren. Als Spieler war er Weltklasse, als Mensch, das erzählen seine Mitspieler, Extraklasse.

Und die Nummer 17? „Patrick, die sind zu schlecht für Dich.“ Patrick Reimer hatte damals schmunzeln müssen, als er in Nürnberg das letzte Mal als Spieler der Düsseldorfer EG auflief. Die DEG führte nach 14 Minuten 3:0, Reimer war an allen Treffern beteiligt – und im Oberrang kommentierten die Gästefans den damals bereits kommunizierten Wechsels ihres Lieblings nach Nürnberg. „Die“ hat Patrick Reimer dann sehr viel besser gemacht, nebenbei ist er dreimal zum Spieler des Jahres in der DEL gewählt geworden, hat 2018 die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen gewonnen.

Was passiert also am Freitagabend genau? Der genaue Ablauf wird von den Ice Tigers nicht verraten. Dass das Banner mit der Nummer 17 vom Eis in die Höhe schwebt, werden aber sehr viele Menschen nur noch hinter einem Tränenschleier verfolgen.

Gibt es denn noch Eintrittskarten? Ja, laut Ice Tigers etwa 400 – hauptsächlich im Oberrang der Nordkurve, also dort, wo auch die Fans der Düsseldorfer EG eine Träne verdrücken werden.

Und wenn das Trikot hängt? Wird ab 19.30 Uhr Eishockey gespielt – ohne die 17, die kein Ice Tigers jemals mehr wird tragen dürfen.

Keine Kommentare