Die Mächtigen des europäischen Fußballs konferierten mehrere Stunden, einer Krisensitzung folgte die nächste, ehe das Unausweichliche feststand: Die Fußball-EM 2020 findet aufgrund der Coronavirus-Pandemie erst im Sommer 2021 statt. Das paneuropäische Turnier sollte mit München als einem von zwölf Gastgebern ursprünglich in diesem Sommer ausgetragen werden – die Klubs und Ligen drängten in der weltweiten Krise aber auf die Verlegung, um selbst mehr Zeit zu gewinnen.
Den endgültigen Beschluss fasste das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union am Dienstag. Oliver Bierhoff, Direktor Nationalmannschaften und Akademie bezeichnet die Entscheidung als "alternativlos", gibt aber an, dass in den nächsten Wochen auf allen Ebenen an Lösungen gearbeitet werden soll. Auch Philipp Lahm, Geschäftsführer der DFB EURO GmbH, ist derselben Meinung. "Die Verlegung der EURO 2020 ist unter den gegebenen Umständen ein richtiger und konsequenter Schritt. Wir alle lieben den Fußball. Aber im Angesicht der Pandemie
müssen wir neue Schwerpunkte setzen. Die Gesundheit der Menschen ist das höchste Gut. Wir müssen es gemeinsam schützen."
Inwieweit die Uefa die historische Endrunde im nächsten Jahr unter gleichen Voraussetzungen ausrichten will und kann, blieb zunächst offen. Fest steht das Datum: Gespielt werden soll vom 11. Juni bis zum 11. Juli 2021. DFB-Präsident Fritz Keller weißt aber in Bezug auf jegliche Pläne, die zusätzlich aufgestellt wurden, darauf hin, dass "alles, was wir hier und heute beschließen, morgen oder übermorgen wieder überholt sein kann".
"Unser Dank gilt allen Entscheidungsträgern*innen in Politik, Wirtschaft, Sport und Gesellschaft, die in diesen Tagen Verantwortung übernehmen – in einer schweren Zeit, in der nie dagewesene Herausforderungen gemeinsam bewältigt werden müssen. Nur wenn wir solidarisch handeln, dann können wir diese Krise zusammen überstehen.", sagt Keller.
Hoffnung auf Geisterspiele in den Ligen
Die Ligen haben dadurch über einen Monat mehr Zeit, um die derzeit ausgesetzte Saison doch noch unter einigermaßen regulären Umständen beenden zu können. Stichtag ist dann erst der 30. Juni, an dem normalerweise auslaufende Verträge enden. Die Deutsche Fußball Liga hatte am Montag verkündet, für die verbleibenden Partien auf Geisterspiele setzen zu wollen. Ob, und wenn ja, wann der Spielbetrieb in Deutschland fortgesetzt wird, soll in der Woche ab dem 30. März entschieden werden.
"Jetzt ist es an der Zeit, nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern überall auf der Welt die Gesundheit der Menschen nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Gleichzeitig müssen wir schon jetzt daran denken, wie es nach der Pandemie mit dem Fußball weitergeht, der so viele Menschen in seinen Bann zieht", blickt Keller in die Zukunft.
Das EM-Eröffnungsspiel war für den 12. Juni in Rom terminiert. Italien gilt als Epizentrum der Coronaviruskrise in Europa. Aufgrund der rasanten Ausbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 hatte die italienische Regierung am 9. März landesweite Sperr-Maßnahmen verhängt, die Weltgesundheitsorganisation WHO klassifizierte die Verbreitung von Sars-CoV-2 am 11. März als Pandemie. Sechs Tage später reagierte die Uefa.
Die deutsche Nationalmannschaft hatte sich als Gruppenerster für die EM qualifiziert. Als Gegner waren der DFB-Elf Frankreich, Portugal sowie der Gewinner einer Play-off-Partie zugelost worden. Eine "Hammergruppe" wie Bundestrainer Joachim Löw befand. Die Nationalmannschaft wollte im Sommer endgültig Wiedergutmachung leisten für die desolate Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Russland, die für den Deutschen Fußball-Bund bereits nach der Vorrunde beendet war.
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Der EM-Modus mit über den gesamten Kontinent verteilten Gastgeberorten war zur Feier des EM-Jubiläums gewählt worden, vorgeschlagen vom früheren Uefa-Präsidenten Michel Platini. Neben München und Rom wurden Amsterdam, Kopenhagen, Bilbao, St. Petersburg, Bukarest, Budapest, Baku, Glasgow, Dublin und London als Gastgeber ausgewählt. Die britische Hauptstadt bekam unter anderem beide Halbfinals und das Endspiel zugesprochen.
Massive Einschränkungen in den Ländern durch Corona
Die Nationalmannschaft wollte Mitte Juni ihr Basisquartier in Herzogenaurach beziehen, etwa zwei Stunden von der Münchner Allianz Arena entfernt. Auf dem Terminplan stand zudem ein Trainingslager ab Ende Mai in Österreich. Löw hätte bis zum 2. Juni seinen endgültigen Kader bei der Uefa melden müssen, das erste deutsche Gruppenspiel gegen die Franzosen wäre am 16. Juni in München angepfiffen worden.
Das war in den vergangenen Tagen schier unvorstellbar geworden. Mehrere europäische Länder sind derzeit abgeriegelt, auch in Deutschland wurden massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen. Der Fußball rollt längst nicht mehr. "Wir alle müssen die Gesundheit und das Leben von Menschen schützen, das gilt selbstverständlich auch für den Fußball", sagt Bundestrainer Joachim Löw.
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Durch eine Verlegung in den Sommer 2021 muss sich die Uefa nun mit dem Weltverband Fifa arrangieren, der zu dem Zeitpunkt eigentlich die Premiere der millionenschweren Klub-WM feiern will. Dieses Turnier war zuletzt auf 24 Mannschaften aufgestockt worden, ursprünglich sollten acht davon aus Europa kommen. Möglicherweise entsendet die Uefa im Gegenzug für eine Verlegung der Klub-WM aber nun mehr Vereine.
Zudem muss die Uefa wohl das eigene Final Four der Nations League verschieben, das im Juni stattfinden soll. Im Sommer 2021 soll zudem die Frauen-EM in England stattfinden, das Eröffnungsspiel ist allerdings erst für den 7. Juli terminiert.
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