WM in Katar

Kommt der WM-Bokyott wirklich zehn Jahre zu spät?

19.4.2021, 12:00 Uhr
Kommt der WM-Bokyott wirklich zehn Jahre zu spät?

© Foto: imago images

Die WM 2022 in Katar ist ein dem Fußball unwürdiges Turnier“, heißt es im ersten Satz des Aufrufs der Internetseite www.boycott-qatar.de.


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Die Initiatoren sind keineswegs Fußballgegner, im Gegenteil: Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd-M. Beyer arbeiten als Fußball-Publizisten und sind Mitglieder der Deutschen Akademie für Fußballkultur in Nürnberg.

Der Boykottaufruf entwickelt laut Beyer „momentan zunehmend Dynamik“. Gut 40 Fangruppen, darunter auch der FCN-Fanclub Heilsbronn-City 99 und rund 1000 Einzelpersonen befinden sich derzeit auf der täglich länger werdenden Liste.

„Wir Fußballfans sind keine Träumer. Wir wissen, dass der Fußball seit seinen Pioniertagen kommerziellen Tendenzen und Manipulationen unterliegt“, betonen Schulze-Marmeling und Beyer. „Aber es gibt Situationen, in denen eine kritische Kommentierung nicht reicht, sondern ein praktisches Zeichen gesetzt werden muss. Die WM in Katar ist solch ein Fall, in dem zu viele Grenzen überschritten werden.“

Keine Werbung im Fernsehen

Die Initiatoren erwarten nun klare Signale vom DFB. Ein Verzicht auf die WM-Teilnahme wäre für sie die sauberste Option. Falls sich der DFB dazu nicht entschließe, fordere man eine ausführliche Erklärung dieser Entscheidung. Dabei sollte der DFB zur Menschenrechtslage in Katar eindeutig Position beziehen, das gelte auch für Spieler und Trainer.

Deutsche Firmen sollten keine Vermarktungsaktionen im Kontext der WM durchführen, einschlägig lizenzierte Produkte nicht verkaufen und im Fernsehen keine Werbezeiten schalten. Die deutschen Fans sollen ebenfalls ihren Widerstand demonstrieren – mit dem Ziel, das lukrative Zusammenspiel zwischen Fifa, Sponsoren und autokratischen Regimen zu stören. Es dürfe für sie nicht mehr attraktiv sein, „die WM auf diese pervertierte Art zu präsentieren und den Fußball weiter zu ruinieren“.

Was Nationalspieler Joshua Kimmich vom FC Bayern München von einem WM-Boykott hält, sagte er vor wenigen Tagen in ein Mikrofon: „Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind.“ Und wie stehen hiesige Fußballexperten zur Boykott-Frage? Özcan Gündogan, Trainer des Kreisklassisten TSV Roßtal, hält es wie Kimmich: „Dinge, die fern von einem sind, tangieren einen gar nicht so sehr.“ Sowohl zeitlich als auch räumlich: „Neun Todesopfer in Deutschland beschäftigen uns viel mehr als 1000 in Nigeria.“


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Oder eben in Katar. „Als die WM-Vergabe verkündet wurde, war das Thema zeitlich weit weg. Jetzt, da der Termin näher kommt, beschäftigen wir uns damit.“ Deshalb habe Kimmich recht: Man müsse die Dinge dann behandeln, wenn sie entschieden werden. Jetzt aber „werden wird den Lauf der Dinge nicht mehr bremsen“.

Die Achse des Bösen

Dem Boykott-Aufruf kann er dennoch etwas abgewinnen: „Ich finde es gut, seine Meinung zu äußern – sie bewirkt vielleicht nicht mehr viel, aber man erreicht die Menschen und sagt, dass manches dort nicht richtig ist. Deshalb sitze ich bei diesem Thema zwischen den Stühlen.“

So geht es auch Martin Curi, dem Leiter des Fanprojekts Fürth: „Dass man sich wie der von mir sehr geschätzte Schulze-Marmeling mit ethischen Fragen im Bezug auf Fußball, Fifa und WM auseinandersetzt und das Turnier nicht nur konsumiert, ist absolut richtig und wichtig.“ Curi aber bekam die WM 2014 in Brasilien als dort lebender Deutscher hautnah mit. Der promovierte Anthropologe habe damals viele Vorurteile gegenüber Brasilien wahrgenommen und deshalb einen anderen Blickwinkel: „Man kann fragen: Sind wir mit dem katarischen Wertesystem einverstanden?“

Doch es gebe auf der Welt viele Regime, deren Politik wir hierzulande nicht gutheißen. „Und gerade bei Ländern außerhalb der Achse des Guten nach der Definition des damaligen US-Präsidenten George W. Bush sind wir in der westlichen Welt schnell mit einem Urteil.“
Als Fußballfan jedoch sei Katar „auch auf den zweiten Blick ein Land ohne Fußballkultur, mit wenigen Stadien an wenigen Spielorten, ein Kunstprodukt“. Katar habe momentan unheimlich viel Geld und Macht, die auch die Halbfinalisten in der Champions League finanzieren.

"Die Spieler üben nur ihren Job aus"

Somit sei Katar ein Symbol für die roten Linien, die aus vielen Fanszenen seit langem kritisiert werden: „Missachtung von finanziellen Regeln, Missachtung von Menschenrechten, Verlust des Bezugs zu lokalen Werten und totale Vermarktung.“

Einem Boykott mag Patrick Raab, Spielführer von Kreisligist SV Burggrafenhof, nicht zustimmen: „Ich freue mich immer auf eine WM. Ich werde den Fernseher einschalten.“ Unabhängig davon aber hält auch er für falsch, „dass es überhaupt zu dem Punkt gekommen ist, eine WM in ein Land zu vergeben, von dem man von vornherein weiß, dass es die Menschenrechte nicht achtet“.

Was ihn ärgert, ist, dass die Diskussion nun auf dem Rücken der Nationalspieler ausgetragen werde. „Das ist eine Frage des Verbands und nicht der Spieler, die nur ihren Job ausüben. Die Spieler können darauf aufmerksam machen, was sie ja bereits tun und die öffentliche Meinung dahingehend schärfen.“

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