Lieblingslied der Ice Tigers: Ihr Kinderlein kommet
23.12.2010, 22:50 Uhr
Später auf dem Eis sieht alles so freundlich, so nett aus. Halb entkleidete Eishockey-Spieler, die freundlich ins Publikum winken, sofern sie einen Arm freihaben. Haben aber nur die wenigsten. Ein Kind auf dem Arm, ein zweites an der Hand, so gehen die Ice Tigers nun schon traditionell auf Ehrenrunde, wenn es einen Sieg zu feiern gilt. Was man nicht sieht, ist der Stress zuvor — und den haben natürlich: die Frauen.
Mit dem Schlusspfiff machen sie sich mit ihren Babys und Kindern auf den Weg in die Tiefen der Arena, reihen sich brav an der Kabinentür auf, rufen ihre Sprösslinge zusammen, versuchen sie zu beruhigen, denn dann geht alles ganz schnell. Die Tür öffnet sich, die Väter strömen notdürftig frottiert heraus, bekommen kleine, rosafarbene Bündel in die starken Arme gedrückt oder zappelnde Buben und Mädels an die Hand gegeben und wer selbst noch keinen Nachwuchs hat, greift sich eines der überzähligen Kinder. Wenig später stehen sie im Mittelkreis und lassen sich feiern, 20 Männer und ihr bunter Kindergarten.
Warten auf Nummer 25
Nur selten ist die ewige Phrase von der großen Familie so zutreffend wie in diesen Momenten. Wie groß diese Familie tatsächlich ist, darüber gehen die Schätzungen allerdings weit auseinander. „20, ungefähr“, sagt Andreas Brockmann, der Trainer. „24“, vermutet sein Cousin Lorenz Funk, der Manager, angeblich, ohne es genau zu wissen, und hat recht. Zumindest noch in diesen Tagen, denn Nummer 25 hat sich bereits angekündigt. Im Januar wird Sean Blanchard ein drittes Kind geboren, womit er in der internen Rangliste zum bisher alleinigen Zweiten, dem Deutsch-Kanadier Rob Leask, aufschließt. Unangefochtener Spitzenreiter bleibt Clarke Wilm.
„Ich habe früh angefangen“, erklärt der Kanadier lächelnd, der eigentlich in jeder Lebenslage so aussieht, wie sich achtjährige Jungs ihren Papa wünschen. Und wenn Wilm die Dinge auf dem Eis mal wieder selbst regeln muss, weil ein deutscher Schiedsrichter dazu mal wieder nicht in der Lage ist, dann findet das Brody, sein ältester Sohn, „richtig cool. Aber meine Tochter könnte Eishockey nicht weniger interessieren und meine beiden Jüngsten bekommen das noch nicht mit“, sagt Wilm und sein weitgehend zahnloses, aber grundehrliches Lächeln verrät, dass er sicher nicht jederzeit der rauflustige, coole Daddy ist.
Der 34 Jahre alte Wilm, in 460 Spielen in der besten Liga der Welt gestählt, verkörpert das ewige Klischee vom Raubein auf dem Eis, der abseits ein liebevoller Vater ist. Sein erster Herbst in Nürnberg war schwierig. Söhnchen Ryder war ernsthaft krank, seine Frau hochschwanger. Als Wilm am 30. Oktober nach zwei Dritteln gegen Krefeld in die Kabine gehen wollte, stand dort schon Andrea Wilm — mit einem Blasensprung. Wilm sprach mit Brockmann und durfte früher Feierabend machen. Zwei Tage später stand er gegen Mannheim wieder auf dem Eis – und prügelte sich sehenswert mit einem Gegner, dessen Attacken nicht geahndet worden waren. Danach ging er wieder nach Hause zum 48 Stunden alten Logan und dem zweijährigen Ryder.
Verändert sich ein Eishockey-Profi, wenn er Vater wird? Spielt er weniger aufbrausend? „Ich weiß es nicht“, sagt Wilm, „als mein ältester Sohn zur Welt kam, war ich ein kleiner Punk, der seinen Spaß haben wollte.“ Und auch seine Vorgesetzten tun sich schwer mit einer Antwort. Trainer Brockmann und Manager Funk waren beide erfolgreiche Profis, Nationalspieler sogar, Väter sind sie erst seit kurzem. Die Fruchtbarkeit ihrer Spieler aber macht sie selbst ratlos. „Das ist Zufall“, sagt der Manager und fügt mit unnachahmlicher Ehrlichkeit hinzu, dass es zwar für Deutschland positiv sei, „wenn es viele Kinder gibt. Aber für uns ist es eher negativ: Väter schlafen schlechter, sind öfter krank, immer im Stress. Und wir müssen uns um größere Wohnungen und Autos kümmern“. Erst nach mehrmaligem Nachfragen entdeckt auch Funk angenehme Seiten an der Großfamilie Ice Tigers. „Der Mensch wird ruhiger, das stimmt schon“, sagt er. Oder, wie es Brockmann ausdrückt: „Es ist ein Vorteil, wenn die Jungs endlich aufgeräumt sind.“
Zwischen Wickeltisch und Eis
Ursula Winzer räumt die Jungs seit Jahren auf — und zwar im Wortsinn. Offiziell wird sie bei den Ice Tigers als Team-Organisatorin geführt, tatsächlich bedeutet das, dass ihr Handy im Sommer unablässig klingelt, weil Grygiels einen Wickeltisch und der älteste Blanchard-Sohn einen Platz am Gymnasium brauchen oder die Ancicka-Tochter aus ihrem Kinderbett herausgewachsen ist. Winzer, selbst Mutter, macht diesen Job seit Jahren, „aber so viele Kinder wie dieses Jahr waren es noch nie.“ Erklären kann sie sich das auch nicht. Clarke Wilm schon.
„Die Jungs“, sagt er, „haben eben gute Schwimmer.“ Wobei er mit Schwimmer nicht Schwimmer meint, weshalb er anfügt, dass das mit Weihnachten nur wenig zu tun habe. Reden wir also über Weihnachten, oder über das, was zwischen Auswärtsfahrt nach Hamburg und dem Derby gegen Augsburg von Weihnachten übrig bleibt. „Wir sind traditionell viel unterwegs“, sagt er, „aber wenn meine Kinder am Samstag die Treppe herunterkommen, die Geschenke sehen und ihre Augen strahlen, dann ist das alles vergessen.“ Megan, Danielle und Cameron Leask, Tuva und Otis Eriksson, Tobias und Caroline Ancicka, Tyler und Kaylie Blanchard, Jake und Sienna Beardsmore, Tylar und Shea Bayda, Alexandra und Olivia Chouinard, Kohen, Kallan und Brayden Leeb, Leoni Frosch und Lilly Grygiel geht es sicherlich ganz genauso.