Kunstradfahren im Schatten
Lukas Kohl: "Wir stecken in einem Teufelskreis"
3.11.2021, 09:30 UhrEs war eine grandiose Vorführung am Ende des Einer-Kunstradfahrens. Vorher hatte die Konkurrenz sehenswerte Übungen gezeigt, aber dann hielten 3600 Zuschauer in der Stuttgarter Porsche Arena den Atem an, als der „Lukinator“ wieder einmal zeigte, dass er in einem eigenen Universum fährt. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Eleganz absolvierte er die schwersten Tricks und wurde am Ende mit dem WM-Rekord von 210,07 Punkten belohnt.
Herr Kohl, war das die perfekte Kür?
Lukas Kohl: Ich mag das Wort „perfekt“ nicht, aber es war schon richtig genial. Spätestens nach dem zehnfachen Drehsprung haben mich das Publikum und die Atmosphäre getragen, ich habe es dann nur noch genossen.
Gab es denn überhaupt Fehler?
Lukas Kohl: Na ja, es waren halt die Weltmeisterschaften, und da sind die Kampfrichter ähnlich heiß wie wir Sportler auch. Und dann suchen sie natürlich auch nach Kleinigkeiten.
Eigentlich könnten Sie doch jetzt aufhören. Was soll denn nach fünf WM-Titel und fünf Weltrekorden noch kommen?
Lukas Kohl: Es heißt ja, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist und man alles erreicht hat. Ich sehe das anders: Wichtig ist für mich, dass ich alles erlebt habe. Und gerade die Corona-Zeit hat mir gezeigt, dass es noch vieles gibt, was wir alle noch nicht erlebt haben. Plötzlich durften wir alle nicht mehr trainieren, dann trugen wir unsere Wettkämpfe online aus - jeder in seinem Heimatort.
Selbst die anderen Medaillengewinner schauen eher ehrfürchtig zu Ihnen hoch als Sie ernsthaft herauszufordern. Was treibt Sie denn jetzt noch an?
Lukas Kohl: Ja, da möchte ich etwas bewegen für alle nichtolympischen Sportarten, nicht nur für den Hallenradsport. Das ist die Vertretung aller Kadersportler aus allen Disziplinen.
Die Wahl war am Samstagabend, hat Sie das nicht zusätzlich gestresst?
Lukas Kohl: Nein, ich hatte meine Bewerbung online gestalten müssen und freue mich, dass ich eine Mehrheit überzeugt habe. Wir hatten dann gleich eine Online-Präsidiumssitzung, bei der ich aus einem ruhigen Kämmerchen in der Porsche Arena zugeschaltet wurde. Außerdem hatte ich ein Treffen mit dem Weltradsport-Präsidenten und wurde am Sonntag rund um die Uhr von einem Fernsehteam des Südwestrundfunks begleitet.
Und darunter hat die Konzentration auf den Saisonhöhepunkt nicht gelitten, wenn man schon beim Frühstück die Kameras im Nacken hat?
Lukas Kohl: Das denken viele, aber bei mir ist es umgekehrt: Endlich steht Kunstradfahren mal im Fokus, dafür betreibe ich diesen Sport doch. Das ist doch das WM-Feeling, das ich mir erträumt habe. Diese Medienpräsenz bräuchten wir aber nicht nur einmal im Jahr zur WM, sondern nachhaltig.
Sie sind ja ohnehin sehr medien-affin. Wie beurteilen Sie im Nachhinein Ihren Auftritt bei Ninja Warrior Germany?
Lukas Kohl: Das betrachte ich als großen Erfolg. Immerhin hatte ich ziemlich viel Sendezeit und konnte auch beste Werbung für das Kunstrad betreiben. Dass ich gegen die Spezialisten im Parcours nichts zu melden haben würde, war mir ja vorher schon klar.
Dennoch: Der Kunstradsport steht im Schatten. Woran liegt das?
Lukas Kohl: Das ist ein Teufelskreis: Wir sind nicht olympisch, haben deswegen keine mediale Öffentlichkeit, deswegen keine Lobby in der Politik und der Wirtschaft, daher auch nur wenige Sponsoren und wenig Geld. Und darum gibt es weltweit nur wenige Nationen, in denen dieser Sport leistungsorientiert betrieben wird. Und auch aus diesem Grund werden wir nicht olympisch.
Woher kommt das letztlich?
Lukas Kohl: Bestimmt nicht an den Disziplinen, die brauchen sich hinter vergleichbaren Sportarten wie Geräteturnen oder Eiskunstlaufen nicht verstecken. Aber beispielsweise der gesamte ehemalige Ostblock oder China fokussieren ihre Förderung stets nur auf die olympischen Disziplinen.
Wie kann man diesen Teufelskreis durchbrechen, haben Sie Unterstützung vom Weltverband UCI, der ja Mountainbike und BMX in jüngerer Vergangenheit ins Olympia-Programm gebracht hat?
Lukas Kohl: Da habe ich nicht das Gefühl, dass wirklich etwas unternommen wird. Aber auch deshalb suche ich das Gespräch mit der UCI-Spitze. Um das Problem zu lösen, müssen wir an vielen Schrauben gleichzeitig drehen. Bei der Politik, bei den Verbänden und bei der Wirtschaft. Und natürlich müssen auch die Hallenradsportler selbst aktiv werden.
Wie könnte das aussehen?
Lukas Kohl: Einiges wird ja schon getan. Beispielsweise gibt es Kooperationen mit inzwischen leistungsstarken Nationen wie Macau, Hongkong oder Kanada. Beispielsweise habe ich 2018 ein Training in Macau abgehalten, 2019 war das Team zum Gegenbesuch bei mir in der Fränkischen Schweiz. Aber dann kam Corona. Und wegen der Pandemie fehlten diese Länder in Stuttgart. Die Sportler aus Hongkong beispielsweise hätten vorher drei Wochen und hinterher nochmals eine Woche in Quarantäne gemusst. Das kann man sich als Amateursportler nicht leisten, so war in Stuttgart nur die dritte Garde aus Hongkong am Start, da waren wohl einige finanziell besser gestellt.
Im Skispringen oder Biathlon gibt es einen „Know-How-Export“ durch deutsche Trainer. Ist das im Hallenradsport auch angedacht?
Lukas Kohl: Das Interesse wäre von beiden Seiten sicherlich vorhanden, doch dazu fehlen die finanziellen Mittel in betreffenden Länder. Da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz: Wären wir olympisch, käme man viel leichter an Fördermittel.
Hallenradsport hat im Gegensatz zu Straßenrennen oder zum Skisport, wo die Sportgeräte ja Massenware für Freizeitsportler sind, kaum Absatzmärkte zu bieten . . .
Lukas Kohl: Das ist zwar richtig, aber die UCI hat richtig viel Geld - und bei einem Sponsor wie Shimano, der beim Verband groß eingestiegen ist, könnte ich mir schon eine Kooperation vorstellen. Wir haben zwar keine Gangschaltung, aber Tretlager. Und das gemeinsame Motto „100 Prozent Perfektion“. Und was möglich ist, wenn man eine Sportart mit viel Geld pusht, sieht man beim Dart, das total boomt.
Mal ganz ehrlich: Glauben Sie, dass der Hallenradsport noch mal olympisch wird?
Lukas Kohl: Ich bin ja optimistisch, dass ich als grauhaariger Funktionär diese Nachricht verkünden darf (lacht). Recht gut wäre die Chance, wenn Deutschland mal wieder Olympische Spiele ausrichten würde, wobei die Bevölkerung da ja zurzeit nicht mitzieht. Denn das Gastgeberland darf ja immer zwei Disziplinen zusätzlich vorschlagen. Und wenn Deutschland seine Medaillenbilanz aufpolieren möchte, hätten wir Hallenradsportler die allerbesten Argumente.
Etwas realistischer: Wäre nach drei fränkischen Goldmedaillen in Stuttgart eine WM in der Heimat nicht auch einmal ein Ziel, auch wenn Stuttgarts OB behauptet, seine Bürger hätten „Kettenöl“ im Blut?
Lukas Kohl: Ich fände das super, könnte mir beispielsweise die Bamberger Brose Arena als Austragungsort gut vorstellen. 2012 war ja eine Weltmeisterschaft in Aschaffenburg, die war auch ausverkauft. Denn zu diesen Titelkämpfen kommen traditionell alle Fans aus Europa gepilgert - und nach Corona hoffentlich auch wieder von weiter her.
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