Krafsport

Muskelpaket und trotzdem Frau: Strongwoman Sandra Bradley

Katharina Taubeneder

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28.8.2020, 12:25 Uhr
Muskelpaket und trotzdem Frau: Strongwoman Sandra Bradley

© Foto: Klaus-Dieter Schreiter

Der Wettbewerb ist denkbar einfach: Die Stärkste gewinnt immer. Das Training dafür aber ist hart. Sandra Bradley kam über Crossfit zum Kraftsport "Strongman", der seit den achtziger Jahren in den USA bekannt ist, aber auch schon im deutschen Fernsehen lief. "Ich habe mir früher oft auf Eurosport die großen Männer angeschaut, die LKWs gezogen oder Baumstämme über dem Kopf gestemmt haben. Ich fand das faszinierend." Bradley wollte das als Jugendliche nachahmen, dachte aber: "Das ist bestimmt nichts für uns Frauen. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass ich das kann."

Eher durch Zufall hat Bradley erfahren, dass es in Deutschland eine Liga und einen Verband für "Strongman" gibt. "Dort bin ich hängen geblieben. Es ist ein Sport mit ganz vielen verschiedenen Disziplinen, jeder Wettkampf ist unterschiedlich." Baumstämme heben gehört ebenso dazu wie Sandsäcke so schnell wie möglich ins Ziel zu tragen oder über eine Mauer zu werfen. "An jedem Veranstaltungsort ist es anders." Maximalkraft braucht man daher ebenso wie Kraftausdauer, Explosivität und Schnelligkeit. "Es gehört immer das Gesamtpaket dazu." International gibt es viele Frauen in der Szene, in Deutschland steht der Sport noch am Anfang.

"Ich möchte Frauen zeigen: Wir sind viel stärker, als wir denken"

Die gebürtige Neumarkterin wohnt mittlerweile in Nürnberg, zum Training fährt sie nach Erlangen. Ihr Fitnessstudio, Wellway Sports in der Frauenauracher Straße, sei sehr gut ausgestattet und Chef Thomas Sommer offen gegenüber allen Kraftsportarten, deshalb ist die Athletin vor drei Monaten komplett nach Erlangen gewechselt. Viermal pro Woche ist Bradley im Studio. "Kraftsport ist mehr Marathon als Sprint", sagt sie. "Man muss langfristig dabei bleiben."

Weltmeisterschaften der stärksten Frauen und Männer der Welt gibt es jährlich – wenn nicht gerade Corona dazwischen kommt. 2018 hat Sandra Bradley die WM der Amateure gewonnen, seither hat sie eine Profilizenz und tritt an den offiziellen Titelkämpfen "World’s Strongest Woman", also stärkste Frau der Welt, an. In ihrer Gewichtsklasse holte Bradley in den vergangenen beiden Jahren Rang drei und zwei. Ob 2020 irgendwelche Wettbewerbe stattfinden können, ist mehr als fraglich. Austragungsort der WM wäre Florida – ebenfalls immens betroffen von der Pandemie. Bradley trainiert trotz Ungewissheit weiter.

"Mein Ziel ist, mir immer wieder zu beweisen, was ich als Frau alles erreichen kann. Und ich möchte auch anderen Frauen zeigen: Wir sind viel stärker, als wir denken." Stärke, schiebt die 32-Jährige hinterher, sei dabei nicht nur körperlich, sondern vor allem mental. "Der Kraftsport hat mir geholfen, selbstbewusster zu werden."

Als Teenager hatte Sandra Bradley mit einer schweren Essstörung zu kämpfen. Schaut sie sich jetzt Fotos von früher an, "ist es erschreckend, wie weit ich mich runterziehen habe lassen und wie sehr ich mich von mir selbst entfernt habe, um einem anderen Ideal zu entsprechen." Bradley war nie zierlich, wollte das als Mädchen aber unbedingt sein. 48 Kilogramm hat sie einst gewogen, jetzt ist es mit 80 Kilogramm fast das Doppelte. "Der Kraftsport hat mir geholfen. Ich habe gemerkt, dass ich mich nicht dünner oder kleiner machen muss, dass ich stark bin und mich nicht verstecken muss."

Die Zeit der Unsicherheit ist nun endgültig vorbei. Bradley hat eine beeindruckende Statur. Im Wettbewerb tritt die 1,70 große Frau in der Mittelgewichtsklasse bis 84 Kilogramm an. Als Frau fällt sie alleine durch ihre breiten Schultern und ihre muskulösen Arme auf. "Inzwischen mache ich mir darüber keine Gedanken mehr", sagt sie. "Ich bin die Person, die das restliche Leben mit mir verbringen muss, ich möchte glücklich sein. Und mich macht der Sport glücklich."

Manche meinen, eine Frau hat weiblicher auszusehen, dürrer oder kurviger, auf jeden Fall mit weicheren Zügen. "Die Leute schauen immer, sobald etwas außerhalb der Norm ist." Doch Bradley ist das egal. "Man sollte mehr Akzeptanz zeigen anderen gegenüber." Mit klassischen Rollenbildern kann sie sowieso wenig anfangen. "Was ist feminin, was maskulin? Auch ein Mann kann sich gern schminken, wenn ihm das gefällt", sagt Bradley. "Früher dachte ich immer, dass ich kein normales Mädchen bin, weil andere das zu mir gesagt haben. Doch ich kann mich schminken oder Kleider tragen – und im Fitnessstudio trotzdem 200 Kilogramm vom Boden heben."

Auf ihren Körper achtet Bradley sehr, dazu gehört die richtige Ernährung. "Man muss genug essen. Das hat mir sehr dabei geholfen, aus der Essstörung herauszukommen. Ich habe gemerkt, dass ich Essen als Treibstoff für meinen Sport brauche. Wenn man zu wenig isst, hat man keine Kraft im Training." Der Leistungssport beeinflusst ihr ganzes Leben. "Ich muss darauf schauen, dass ich ausreichend Schlaf habe und genug trinke." Mit ihrem Freund, 1,93 Meter groß und 120 Kilogramm schwer, ebenfalls ein Kraftsportler, geht sie trotzdem gern mal einen Burger essen.

"Früher dachte ich immer, dass ich kein normales Mädchen bin"

"Strongman"-Training, sagt Bradley, kann man viele Jahre lang machen. "Ich habe eine Freundin aus Norwegen, die 52 Jahre alt ist." Man müsse auf seinen Körper achten, jedes Zwicken ernst nehmen und sich gut kennen. "Ich möchte so lange wie möglich herausfinden, was ich erreichen kann." Dazu gehört auch, sich Wissen über Biomechanik und Anatomie anzueignen.

Doch nicht immer geht alles sauber zu. "Das, was Männer international machen, kann man nicht mit dem Hobbysport von uns vergleichen. In manchen Bereichen wird kaum getestet. Da kann man nicht hundertprozentig sagen, dass alles sauber ist", meint Bradley. Selbst hat sie nichts mit Doping zu tun, sagt sie. Wer zweifelt, solle sich anschauen, was sie bereits ins Training investiert hat: "Ich trainiere seit beinahe 17 Jahren, ernähre mich entsprechend, mein ganzes Leben ist danach ausgerichtet. Ich bin nicht der Fitness-Pumper, der zweimal pro Woche ins Studio geht."

Bradley hat einen Trainerschein und coacht Nachwuchsathletinnen. Und auch in ihrem Beruf, sie arbeitet bei der Nürnberger Polizei, hat ihr der Sport viel Selbstvertrauen gegeben. "Ich weiß, ich kann mich verteidigen und brauche keine Angst haben." Dazu zeigt die Strongwoman auch hier, dass sie ihr Wissen gerne weitergibt. "Ich war sieben Jahre lang Ausbilderin in der Bereitschaftspolizei." Selbst hat Bradley ebenfalls eine Trainerin, die stärkste Frau der Welt, Liefia Ingalls, "und meine beste Freundin". Mit der US-Amerikanerin spricht sie wöchentlich, eine Verbündete im Geiste und in der Sache. Starke Frauen müssen schließlich zusammenhalten.

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