Nürnbergs Rugby-Nationalspieler: Tränen bei der Hymne
2.10.2018, 11:07 UhrNN: Bis vor kurzem dachten wir, es gäbe zwei Fidschi beim TSV 1846, Herr Seremaia.
Onisimo Nayato Seremaia: Wegen Tukututunavatu und Seremaia?
Richtig. Mal wurden sie so genannt, mal so. Wie darf ich Sie ansprechen?
Seremaia: Mit Seremaia. Tukututunavatu war der Name meines Großvaters, auf den Fidschi-Inseln kann man jeden Namen nutzen. Hier war es allerdings schwer, überall haben die Leute Witze darüber gemacht, weil sie es nicht richtig aussprechen konnten. Also habe ich den Namen in Seremaia geändert, den Namen meines Vaters.
Welcher Name steht denn in Ihrem Ausweis?
Seremaia: Auf meinem Personalausweis, meinem Spielerpass, überall steht jetzt Seremaia. Wir waren deshalb bei Anwälten und daheim auf den Fidschi-Inseln. Wir haben meinen anderen Namen quasi gekillt.
Es war sicher hart, plötzlich jemand anderes zu sein.
Seremaia: Ach, nein, ich mochte den Namen eh nicht. (lacht) Niemand hat mich so genannt, ich war immer schon für alle der Simo.
Sprechen Ihre Mitspieler Sie auch so an?
Seremaia: Ja.
Und neuerdings sagen sie: Hey, Nationalspieler!
Seremaia: Nein, sie nennen mich immer noch Simo. (lacht)
Aber sie sind sicher stolz, einen Nationalspieler als Mannschaftskollegen zu haben...
Seremaia: Ich denke. Als ich vergangene Woche Donnerstag das erste Mal nach der Europameisterschaft wieder zum Training kam, waren alle sehr froh, mich wieder zu sehen. Ich sehe mich eigentlich genauso, wie ich mich zuvor gesehen habe - aber irgendwie war es, als würde ich als andere Person zum Platz laufen.
Gute Atmosphäre und eine besondere Erfahrung
Sind alle ehrfürchtig erstarrt?
Seremaia: Ich dachte mir nur: Behandelt mich bitte ganz normal, macht Späße wie sonst auch, ich möchte bleiben, wer ich bin.
Der einzige Nationalspieler der 46er zu sein war sicher trotzdem ein sehr gutes Gefühl.
Seremaia: Es ist ein richtig gutes Gefühl, denn es ist eine sehr starke Mannschaft. Alle in der Nationalmannschaft sind so gut, so freundlich und höflich. Die Atmosphäre im Camp war sehr gut, es gab keine Unterschiede zwischen den Spielern, wir hatten einfach Spaß zusammen. Das ist aber eine Sache des Rugbys: Die Menschen sind immer nett.
Wie war die Atmosphäre überhaupt in Lodz? Es waren ja noch viele andere Mannschaften dort.
Seremaia: Um ehrlich zu sein: Es ist schon eine besondere Erfahrung. Dort gehst du auf den Platz und siehst dir gegenüber ebenfalls eine Nationalmannschaft. Du weißt: Das sind die besten aus diesem Land.
Sie waren also nervös.
Seremaia: In den ersten beiden Spielen war ich sehr nervös, ja. Allerdings nicht wegen des Spiels, sondern weil mir die Trainer am Abend zuvor gesagt haben, dass ich auf einer anderen Position spiele als ich es mein Leben lang gewohnt war. Das war sehr hart für mich. Ich wollte etwas machen, konnte aber nicht.
Ihnen fehlte die Freiheit.
Seremaia: Ja, ich fühlte mich nicht frei und konnte das Spiel nicht genießen. Außerdem kannte ich meine Mitspieler noch nicht so gut.
Und dann haben Sie einige Fehler gemacht, wie man in Spielberichten nachlesen kann.
Seremaia: Ja, aber ab dem dritten und bis zum Finale habe ich mich verbessert. Die Trainer haben auch verstanden, wie ich mich gefühlt habe - und dass ich es danach viel besser gemacht habe. Wir waren zuvor zwar zwei Wochen zusammen im Camp, aber das war eben Training, das kann man nicht mit dem Spiel vergleichen.
War es ein anderes Gefühl, mit dem deutschen Adler auf der Brust den Platz zu betreten?
Seremaia: Ja, ich kann die Nationalhymne zwar nicht singen, aber als sie sie im Finale abgespielt haben, hätte ich fast geweint. Ich habe mir gedacht: Jetzt spielst du zum ersten Mal für dein Land.
"Das ist jetzt dein Land"
Haben Sie sich da zum ersten Mal als Deutscher gefühlt?
Seremaia: Auf jeden Fall. Als ich das Trikot zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich: Das ist jetzt dein Land, du wirst für dieses Land mit deinem ganzen Herzen kämpfen.
Dieses Gefühl hatten Sie zuvor nie?
Seremaia: Nein, nie. Aber in diesem Moment war ich so glücklich, dort zu stehen und dieses Trikot zu tragen.
Haben Sie denn inzwischen einen deutschen Pass?
Seremaia: Nein, aber ich denke, dass wir schnellstmöglich einen Weg finden werden, dass ich Deutscher werde. Diese Mannschaft wird bald bei Olympischen Spielen dabei sein, das fühle ich. Und dann brauche ich einen deutschen Pass. Und nächstes Jahr werden wir bei der World Series (das angesehenste Turnier im Rugby, d. Red.) mitspielen.
Nach den Regeln des Rugby-Weltverbandes, die bei einer Europameisterschaft zählen, dürfen auch Spieler ohne die jeweilige Staatsangehörigkeit für eine Nationalmannschaft spielen, wenn sie mindestens drei Jahre in diesem Land gelebt haben. Bei Olympischen Spielen gilt diese Regel nicht.
Sie sprechen von "wir". Denken Sie, dass Sie weiterhin Teil der Nationalmannschaft sein werden?
Seremaia: Ich bin mir sicher. Ich werde meinen Weg finden, dieses Trikot bei den Hongkong Sevens zu tragen, damit wir uns für die World Series qualifizieren. Nächste Woche sind wir in Großbritannien zu einem Trainingslager, wir spielen unter anderem gegen England, Wales, Irland und Frankreich. Nächsten Monat sind wir dann in Spanien. Der Trainer will, dass ich überall dabei bin, das hat er mir in Polen gesagt.
Haben Sie während der Zeit bei der Nationalmannschaft einen Unterschied gespürt? Immerhin spielen Sie erst seit dieser Saison in der zweiten Bundesliga, viele Ihrer Kollegen aber in der ersten.
Seremaia: Nein, es gibt keinen großen Unterschied. Es ist für mich nur eine Frage der Zeit, bis ich auf dem selben Level bin. Ich muss mehr mit der Mannschaft spielen, muss die Leute noch besser kennenlernen - dann werde ich es schaffen.
Wie wird man als Nürnberger Zweitligaspieler überhaupt Nationalspieler? Ruft da der Bundestrainer einfach am Handy an?
Seremaia: Ich habe keine Ahnung, es war eine Überraschung für mich, dass er meine Nummer hatte.
Sie saßen also mit Ihrer Frau und Ihren zwei Kindern zusammen - und plötzlich klingelte das Handy.
Seremaia: Es war witzig, denn bevor ich Fidschi verlassen habe, sagten alle: Du wirst bald das deutsche Trikot zu tragen. Ich habe selbst darüber gelacht, habe Witze gemacht. Drei Jahre später hatte ich das Trikot.
Wir haben vor einigen Monaten darüber gesprochen, dass Sie bald für Deutschland spielberechtigt sein würden. Haben Sie damals, bei einem Spiel in der drittklassigen Regionalliga, schon daran geglaubt, es schaffen zu können?
Seremaia: Ja. Das war auch lustig. Eine Woche, nachdem ich genau drei Jahre in Deutschland war, habe ich die Einladung für die Nationalmannschaft bekommen.
Heimatgefühle in Franken
Fühlen Sie sich nach drei Jahren in Nürnberg zu Hause?
Seremaia: Ich fühle mich hier zu Hause, ja. Ich kenne die Stadt noch besser als meine Frau - obwohl die Nürnbergerin ist. Das kommt daher, dass ich anfangs immer, wenn ich Zeit hatte, durch die Stadt gelaufen bin und versucht habe, mein Zuhause zu finden.
Und? Haben Sie den Weg immer wieder gefunden?
Seremaia: Ja, immer. Wenn ich mich mal nicht mehr ausgekannt habe, dann habe ich mir einfach einen Punkt gesucht, wo ich schon mal war und bin von dort nach Hause gelaufen. (lacht)
In einem Interview auf der Internetseite des TSV haben Sie mal gesagt, der schönste Platz in Nürnberg sei Ihre Wohnung. Keine Lust auf Shopping, die Burg oder einen schönen Nachmittag in der Altstadt?
Seremaia: Wir haben alles nahe bei unserer Wohnung. Ich war sicher schon mehrere Monate nicht mehr in der Innenstadt. Lieber gehe ich zum Training, ich bin kein Partymensch.
War es schwierig, sich als Fidschi in einem fremden Land mit fremder Kultur zurechtzufinden?
Seremaia: Es war nicht schwer, ich glaube, ich könnte überall auf der Welt leben. Ich bin ein sehr flexibler Mensch und komme überall zurecht. Meine Frau dachte auch, dass es schwer werden würde, aber wir haben auf den Fidschi-Inseln auch Städte. Sie war geschockt, als wir mal dort waren auf der Hauptinsel, ich komme ja von einer kleinen Insel mit 500 Einwohnern. Dort gibt es keine Läden, es ist sehr dörflich. Ich kenne jeden dort. Später war meine Frau dann geschockt, dass ich in der Stadt auch ein "City Boy" sein kann.
Der Mann mit den zwei Gesichtern.
Seremaia:(lacht) Ja, so könnte man das sagen. Wenn ich auf dem Dorf lebe, bin ich der Dorfjunge. Und in der Stadt bin ich der Stadtjunge.
Dorfjunge oder Stadtjunge: Was ist schöner?
Seremaia: Ich bevorzuge es auf dem Dorf. Dort ist alles entspannter.
Sie wollen also irgendwann auch wieder zurück.
Seremaia: Irgendwann, in unseren Träumen.
"Ein ganz anderes, sehr viel höheres Level"
Welche Rolle hat Rugby bei Ihrer Integration in Deutschland gespielt? War es dadurch einfacher?
Seremaia: Nein, es war nicht einfach. Es ist schon anstrengend mit der Familie, der Haushalt, die Kinder. Rugby ist etwas, das ich liebe, aber es gibt auch immer noch schwere Tage. Zum Beispiel, wenn ich meine Frau mit den Kindern alleine lassen muss. Mein älterer Sohn hat sehr viel Energie, wenn ich bei ihm bin, ist alles okay, weil wir Rugby spielen können.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch auf Ihren Verein zurückkommen. Während Sie mit der Nationalmannschaft unterwegs sind, können Sie nicht mit dem TSV in der zweiten Liga spielen.
Seremaia: Ja, das ist so. Wenn ich mich verletze, kann ich mit der Nationalmannschaft nicht nach Großbritannien fahren. Der Trainer will, dass ich spiele, die Leute wollen es, aber ich muss mich entscheiden, was wichtiger ist.
Akzeptiert Deon Myburgh, Ihr Trainer beim TSV, das?
Seremaia: Nein, er ringt wirklich mit sich. Erst beim letzten Training hat er mich wieder zur Seite genommen und gefragt. Es ist wirklich hart für ihn. Mit der Nationalmannschaft zu spielen ist aber ein ganz anderes, sehr viel höheres Level, auf dem man Rugby spielt.
Onisimo Nayato Seremaia (27) kam vor etwas mehr als drei Jahren der Liebe wegen nach Nürnberg. Geboren wurde er auf den Fidschi-Inseln, wo Rugby sehr verbreitet ist. Direkt nach der Ankunft in Nürnberg suchte er nach einem Verein - und wurde beim TSV 1846 in Erlenstegen fündig. Mit den 46ern gelang ihm in der vergangenen Spielzeit der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Bei einem Turnier mit der Bayern-Auswahl wurde der Trainer der deutschen Nationalmannschaft auf ihn aufmerksam - und berief ihn zum letzten von vier Turnieren der Europameisterschaft Anfang September in Lodz erstmals ins Aufgebot - wo Deutschland sich den Titel als Vize-Europameister sicherte.
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