Roman Kechter: Der neue Rohdiamant der Ice Tigers

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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12.1.2021, 14:53 Uhr
Roman Kechter: Der neue Rohdiamant der Ice Tigers

© Foto: Thomas Hahn/Zink

Der Puck war im Finale des Olympischen Eishockeyturniers mit dabei, vor jedem Training, vor jedem Spiel. Wo Patrick Reimer ist, ist diese schwarze Hartgummischeibe. Dabei drischt er nicht auf sie ein wie auf die vielen anderen Pucks. Mit diesem Puck streicht Reimer das Tape auf den Blättern seiner Schläger glatt. Seit seinem ersten Spiel als Profi benutzt er genau diese Scheibe, die also zwei Jahre älter ist als Reimers neuester Kollege bei den Ice Tigers.

Reimer selbst hat das im Interview vor dem Heimspiel gegen Straubing festgestellt. "Da sieht man dann, wie schnell so eine Karriere verläuft", antwortete der Kapitän der Ice Tigers auf die Frage, wie es denn so sei, im Alter von 38 Jahren mit Spielern zusammen zu arbeiten, die seine Söhne sein könnten. Es war wieder einer dieser Momente, in denen bei den Ice Tigers Zukunft und Vergangenheit aufeinandertreffen. Denn nicht nur der aus Mannheim ausgeliehene Moritz Elias ist zwei Jahre jünger als Reimers Lieblingspuck, sondern auch Roman Kechter, der seit dem Jahreswechsel wieder in Nürnberg trainiert und der in diesem Spiel gegen Straubing in der Deutschen Eishockey Liga debütieren sollte – als 16 Jahre junger Verteidiger.

60 aufregende Minuten später, die Zuschauern in der Arena Nürnberger Versicherung alles geboten hätten, wofür man Eishockey lieben darf, wusste man als privilegierter Beobachter nicht wohin mit seiner Bewunderung für diesen Teenager, der mit einer Ruhe Pucks verteilte, als sei auch er in Reimers Tasche durch die Eishockeywelt gereist; der nonchalant den Checks der nicht erst nach dem Nürnberger 4:0 wütenden Straubingern auswich; der Routiniers wie selbstverständlich Scheiben klaute.

Frank Fischöder reagierte auf diese Bewunderung mit einem Lächeln. Der Cheftrainer wirkte kein bisschen überrascht von der Leistung Kechters. Als einstiger Cheftrainer im ambitionierten Mannheimer Nachwuchsprogramm und diverser Nachwuchsnationalmannschaften kannte er ihn schließlich schon so gut, dass er ihn von Beginn in Nürnberg als Verteidiger mittrainieren ließ, ganz einfach, weil er für bestimmte Trainingsformen einen weiteren Verteidiger brauchte. Und als sich vor dem Spiel gegen Straubing Marcus Weber an der Leiste verletzte, war der Angreifer Kechter bereit, zumindest ein bisschen. Den großen Rest glich er mit seinem großen Talent aus.

Vergleiche mit Draisaitl und Stützle

"Wenn wir nicht das Vertrauen gehabt hätten, dass er das kann, hätten wir ihn auch nicht spielen lassen", sagte Fischöder nach dem aufregenden 4:3. Und natürlich wusste der Trainer auch, dass Kechter früher schon als Verteidiger gespielt hatte. "Aber irgendwann war es egal, was er war, er konnte durchlaufen, wie er wollte." Kechters Veranlagung war kein Geheimnis. Mit der U15 des EHC 80 wurde er Deutscher Meister, was eine größere Sensation war, als es ein Meistertitel der von Thomas Sabo alimentierten Ice Tigers gewesen wäre, danach wechselte er nach Regensburg, um dort in der höchsten Nachwuchsliga zu spielen, und im Sommer nach Schweden, weil dort in Europa die Chance am größten ist, Talent zu verwirklichen. Sportdirektor André Dietzsch versicherte derweil, mit der Familie in Kontakt zu stehen. Und weil das Coronavirus selbst in Schweden das Nachwuchseishockey ausbremste, kehrte Kechter früher als gedacht nach Nürnberg zurück.

Auffällig ist dabei, dass sich weder Fischöder noch Dietzsch Mühe geben, Synonyme für Superlative zu finden. Beide haben mehrfach ungefragt erwähnt, dass sie sowohl Elias als auch Kechter zutrauen, Leon Draisaitl und Tim Stützle nachzufolgen, die derzeit für ein kleines deutsches Eishockeywunder sorgen. Draisaitl wurde in der NHL, der weltbesten Liga, zum wertvollsten Spieler gewählt, Stützle gilt in der NHL als kommender Superstar. Aber wenn man Kechter zum ersten Mal spielen sieht, versteht man, warum er selbst mit diesen Vergleichen wird zurechtkommen müssen. Gegen Straubing verteidigte er neben Tom Gilbert, seit Sonntag wie Reimer 38 Jahre alt. In der Drittelpause durfte der US-Amerikaner schwärmen. "Er spielt mit der Selbstverständlichkeit eines Routiniers, er überblickt das ganze Eis", sagte Gilbert, "wir haben nur mit ihm geredet, um ihm die Nervosität zu nehmen. Vielleicht wäre das gar nicht nötig gewesen."

Minderjährige Eishockeyspieler müssen Gitter tragen. Alle wissen, dass der Vollschutz Verletzungen verhindert – und regelmäßige Besuche beim Zahnarzt. Trotzdem ist der 18. Geburtstag für jeden Spieler eine Befreiung, keiner trägt danach noch ein Gitter am Helm. Auch Kechter wird es am 16. Februar 2022 für immer abnehmen – obwohl er es seit Sonntag besser wissen sollte. Nach seinem ersten Foul in der DEL hätte ihn der Schlittschuh seines fallenden Gegners im Gesicht getroffen. So verschob sich nur das Gitter, was so schmerzhaft war, dass Fischöder ihn präventiv herausnahm. Am Montag "wird er wieder dastehen". Genau so kam es dann auch.

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