Krise beim Kleeblatt
„Da kannst du dich nicht verpissen“: Zorniger ruft nach Derby-Debakel Charaktertest aus
21.10.2024, 14:01 Uhr"Der Faktor Glück, das Momentum, der Zufall, das sind Dinge, die einen Rieseneinfluss haben. Das will niemand hören, das ist unpopulär, weil man immer glaubt, derjenige mit dem besseren Matchplan würde gewinnen", erklärte Christoph Kramer, der derzeit zu den beliebtesten deutschen Fußball-Erklärern zählt, in einem Interview mit dem "Spiegel". Der Weltmeister nimmt dabei ein geflügeltes Wort im Fußball-Duktus in den Mund, welches von "FIFA"-Zockern vermutet, bei manchen Experten verpönt und bei Anderen Teil jeder fußballerischen Einordnung ist: Momentum. Ein Parade-Beispiel, was es mit diesem Begriff im Fußball auf sich hat, lieferte die SpVgg Greuther Fürth – zu Saisonbeginn und zuletzt beim 273. Frankenderby.
In der Frühphase der Spielzeit 2024/25 entwickelte sich die Fürther Spielvereinigung zum heimlichen Aufstiegsanwärter, rangierte etwa am vierten Spieltag – an dem die Tabelle freilich noch keine Aussagekraft besitzt – auf Relegationsrang drei. An diesem Spieltag hatte die Elf von Cheftrainer Alexander Zorniger mit 4:0 beim SSV Jahn Regensburg gewonnen – ein Kantersieg, dessen Ergebnis eine immense Überlegenheit nahelegt. Die "Expected Goals"-Statistik, welche die Chancenqualität beider Teams pro Spiel beziffert, spricht indes eine gänzlich andere Sprache: Mit 1,86 xG auf Seiten der Oberpfälzer und 1,89 xG auf Seiten der Franken befanden sich beide Teams nahezu auf einem Level. Gerade in der Schlussphase des ersten Durchgangs rollte eine drückende Regensburger Angriffswelle auf das Fürther Tor zu, teils in höchster Not musste die Kleeblatt-Defensive um Torwart Nahuel Noll retten – es blieb bei der schmeichelhaften 1:0-Führung für die fränkischen Gäste, die im zweiten Durchgang weiter effizient blieben und letztlich einen 4:0-Sieg feierten. Damals, im Spätsommer, lag das Momentum noch auf Seiten der Fürther: Zwar agierte die Zorniger zwar auch damals schon defensiv anfällig, aber kompensierte diese Anfälligkeit mit ihren offensiven Qualitäten.
Und nun? Ist das Momentum scheinbar gekippt. Seit fünf Spielen, also seit August, ist das Kleeblatt sieglos, kassierte in dieser Zeit zehn Gegentore und traf selbst nur dreimal. Ihren traurigen Tiefpunkt fand die Fürther Durststrecke nun im Derby: Gegen den Erzrivalen offenbarte die Zorniger-Elf abermals große Lücken zwischen den Mannschaftsteilen. Der Club kam durch teils simple Spielzüge und Abläufe immer wieder hinter die Kette und in Überzahlsituationen, zudem boten sich den Nürnbergern insbesondere in Umschaltsituationen riesige Räume. Entsprechend hatten die Fürther Probleme, in Zweikämpfe zu kommen – und wenn, dann verloren sie diese meist: In nur 33 Prozent der Duelle setzte sich ein Kleeblatt-Akteur durch. "Wir waren von Anfang an vor allem im Zweikampfverhalten nicht auf dem Level, das wir mit unserer Spielweise brauchen, vor allem im Derby", bemängelte Cheftrainer Alexander Zorniger.
Teil der Wahrheit ist aber auch: Beim Club gelang nahezu alles. Spätestens nach dem Traumtor von Mahir Emreli spielte sich der Club in einen Rausch, das Kleeblatt ließ dies aber auch zu. "Spielerisch hat heute sehr viel funktioniert, vermutlich mehr als wir uns vorgestellt haben. Ich denke, wir hätten in diesem Durchgang sogar noch mehr Tore schießen können", bilanzierte etwa FCN-Verteidiger Finn Jeltsch. Auch Coach Miroslav Klose gab zu Protokoll: "Alles, was wir uns vorgenommen haben, hat geklappt." Das ist dann wohl dieses Momentum, das dem Kleeblatt derzeit fehlte, griff doch auf Fürther Seite kein Rädchen ins Andere.
"Die Jungs waren nicht nicht bereit"
Zwar lobte man auf Seiten der Derbysieger vielfach deren Mentalität, Energie und Leidenschaft, die sie an diesem Sonntagnachmittag im Fürther Ronhof an den Tag legten. Allerdings sei auch der Kleeblatt-Truppe nach Ansicht des Cheftrainers der Wille und die Einsatzbereitschaft nicht abzusprechen: "Die Jungs waren sicherlich nicht nicht bereit, bestimmte Dinge zu tun", so Zorniger, denn dafür seien "viel zu viele, denen der Verein extrem wichtig ist" in seinem Kader. Im Gegenzug sah der 57-Jährige sein Team in manchen Situationen gar "drüber, zu motiviert, zu emotionalisiert". Kapitän Branimir Hrgota ging indes hart mit der Mannschaft ins Gericht: "Es darf in keinem Spiel passieren. Aber vor allem bei so einem Spiel, in dem es um sehr, sehr viel geht für unsere Fans", so Hrgota. "Du darfst kein Derby verlieren. Aber vor allem in so einer Höhe ist es nicht erlaubt."
Vor allem nicht in einer solchen Höhe, vor allem aber auch nicht in einer solchen Art und Weise. Die SpVgg Greuther Fürth agierte zusätzlich zur labilen Defensive über weite Strecken harmlos – selbst im zweiten Durchgang, als der Club einen Gang zurückschaltete und dem Kleeblatt die Spielkontrolle überließ, entwickelten die Hausherren kaum Torgefahr. "Wir haben ganz viele Offensivaktionen gefühlt so ein bisschen aus dem Stand versucht zu Ende zu spielen", kritisierte Zorniger und fügte an: "Wir haben nicht das geschafft, was wir sonst zu leisten im Stande sind."
Das, wozu die Mannschaft zu leisten im Stande ist, gilt es nun am kommenden Samstag wieder abzurufen: Um 13 Uhr trifft die SpVgg Greuther Fürth in der Veltins-Arena auf den FC Schalke 04. Das Gastspiel im zweitgrößten Stadion der 2. Bundesliga und einer der stimmungsvollsten Fußballtempel des Landes sieht Zorniger als genau richtiges Duell, um eine Trotzreaktion zu zeigen: "Wenn du die richtigen Spieler hast, und davon gehe ich aus, dann kann es zeigen: So nicht!" Der Kracher auf Schalke sei zugleich ein Charaktertest für die junge Kleeblatt-Truppe: "Da kannst du dich nicht verpissen! Da kannst du dich nicht wegducken! Ich bin sicher, dass das den Jungs klar ist."
Dass selbst ein Triumph bei den Königsblauen das Derby-Debakel nicht wettmachen werde, dessen sich Zorniger bewusst. Analog zu bisherigen Derby-Kantersiegen werde auch diese desaströse Niederlage den Anhängern lange in Erinnerung bleiben. Und: Das 273. Frankenderby wird "mit dem Namen Zorniger und allen Spielernamen in Verbindung gebracht werden, das ist extrem bitter." Dennoch: Ein Sieg in Gelsenkirchen wäre nun nicht nur als Trotzreaktion, sondern auch als Erfolgserlebnis in der gegenwärtigen Krise wichtig. Vielleicht braucht es schlichtweg eine solche Erfahrung, um das Selbstvertrauen wieder zu finden - und damit das Momentum.
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