Viel Geld, wenig Rücklagen: Der Fußball im Corona-Dilemma
22.4.2020, 14:45 UhrDas Interview mit einem Internet-Portal lief relativ unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit, hat es aber in sich. Darin zu Wort kommt Rachid Azzouzi, der Geschäftsführer Sport der SpVgg Greuther Fürth und damit eines Zweitligisten, der eigentlich schon immer sparen musste, aber mindestens genauso lange für saubere Kalkulationen steht. Auch und gerade jetzt - da viele Mitbewerber nicht mehr wissen, wie sie bis Ende der Woche über die Runden kommen sollen.
"Das große Dilemma ist, dass relativ viel Geld im Fluss ist, aber relativ wenig Rücklagen gebildet wurden", so Azzouzi, "weil man, das muss man ehrlicherweise sagen, unter extremem Erfolgsdruck steht." Der Erfolgsdruck soll also schuld sein an der offenbar weit verbreiteten Zocker-Mentalität unter Fußball-Managern?
48 Seiten stark ist der "Wirtschaftsreport 2020" der Deutschen Fußball-Liga. 48 Seiten, auf denen sich der Zusammenschluss der 36 Profivereine selbst feiert. Vor allem für rund 4,8 Milliarden Euro Umsatz in der vergangenen Spielzeit.
Rund 4,8 Milliarden - die, abzüglich der 1,4 Milliarden für Steuern, Abgaben und Versicherungsbeiträge, aber praktisch komplett ins operative Geschäft flossen. Auf die berühmte hohe Kante legten die wenigsten etwas, zum Beispiel für komplizierte Zeiten wie diese. Mit deren gefährlicher Dimension angeblich niemand rechnen konnte.
Ob ihre Sorglosigkeit professionell oder einfach nur naiv gewesen sein könnte, ist schwer zu sagen. Vier Erst- und neun Zweitligisten würden nach kicker-Informationen vor der Insolvenz stehen, sollten die Medienpartner Anfang Mai nicht die vierte und letzte Tranche aus dem Vermarktungsvertrag überweisen. Oder zumindest einen satten Vorschuss.
+++ Geisterspiele um jeden Preis? +++
Auch damit wird sich die DFL-Mitgliederversammlung am Donnerstag in ihrer nächsten Videokonferenz beschäftigen, ebenso mit den ab dem zweiten Mai-Wochenende denkbaren Geisterspielen. Denn: Ohne Geisterspiele auch keine weiteren 300 TV-Millionen.
Meeske und "Maximalinvestition"
Selbst für nationale Größen wie den FC Schalke, Werder Bremen oder den HSV geht es jetzt schlichtweg um die Existenz, letztlich auch, weil sie lange, zu lange über ihre Verhältnisse gelebt haben. Michael Meeske, ehemals Kaufmännischer Vorstand des 1. FC Nürnberg und seit November 2018 einer der Geschäftsführer beim VfL Wolfsburg, möchte mit seiner Branche dennoch nicht zu hart ins Gericht gehen. "Der Marktmechanismus des Fußballs, in dem Geld eben auch ein entscheidender Erfolgsfaktor ist, regt zur Maximalinvestition an", sagt Meeske dieser Zeitung, folglich würden nur in seltenen Fällen auch "relevante Rücklagen" gebildet. Wer auch an morgen oder übermorgen denkt, wer auch mal die eine oder andere Million zurücklegt, hat weniger für heute und gerät gegenüber weniger geizigen Konkurrenten ins Hintertreffen. Ein: Dilemma.
Genau das bringt Klaus Hofmann, den Präsidenten des FC Augsburg, schon länger auf die Palme: "Wenn es Profivereine gibt, die Ende Mai nicht mehr liquide und daher im Grunde nur einen Monat durchfinanziert sind, dann ist das nicht mehr akzeptabel", polterte er kürzlich in der Augsburger Allgemeinen.
Die Corona-Krise bringt dabei nur an den Tag, was bereits über Jahre schief lief, auch im Lizenzierungsverfahren der Deutschen Fußball-Liga. 100 Millionen Schulden oder mehr? Egal, solange der Verein im nächsten Geschäftsjahr flüssig bleibt, irgendwie. Das finden vor allem die nicht sonderlich seriös, die jeden Euro dreimal umdrehen müssen wie Rachid Azzouzi aus Fürth oder sein Nürnberger Kollege.
Natürlich zeigt auch Niels Rossow nicht mit dem Finger auf andere, das gehört sich nicht. Was der Kaufmännische Vorstand aber "als relativer Neuling im Fußballgeschäft" sagen kann: "Dass die Versuchung, trotz im Umlauf befindlicher signifikanter Geldsummen von der ‚Hand in den Mund‘ zu leben, eine sehr große ist." Also ohne Weitsicht und Vernunft zu planen. "Ein sensibleres Vorgehen beim Bilden von Rücklagen erscheint gerade auch für den Fußball sinnvoll", betont sein Vorgänger Michael Meeske, ehemals auch DFL-Präsidiumsmitglied, "aber eben nicht um jeden Preis."
Mehr als ein Fußball-Problem?
Und schon dreht sich das Rad wieder, schnell und schneller. "Erfolgsrelevantes Kapital", erläutert Meeske, könnte so in normalen Zeiten "nicht sinnvoll genutzt werden", sprich wäre dem Investitionsbudget entzogen. Meeske sieht darin kein klassisches Problem von Fußball-Unternehmen, in anderen Wirtschaftszweigen läuft es offenbar sehr ähnlich.
Trotzdem wird die DFL in ihrem "Wirtschaftsreport 2021" wohl den achten Umsatzrekord in Folge vermelden; allein der neue Fernsehvertrag, gültig ab der nächsten bis zur Saison 2024/25, soll den 36 Profiklubs insgesamt 5,2 Milliarden auf die Konten spülen, fast 600 Millionen mehr als beim letzten Deal. Aber wahrscheinlich immer noch zu wenig für eine angemessene Sparquote.
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