Weltmeister ohne Medaille
29.10.2007, 00:00 UhrDas Foto liegt griffbereit. Ganz links neben seinen Klassenkameraden steht Sven Lorenz, dick, dunkles Sweatshirt im XXL-Fromat, mürrischer Blick. Man ahnt, welche Sprüche er sich damals anhören musste. Kunden, die heute in seinem Fitness-Studio schnaufend ihre Pfunde abschmelzen, ahnen nicht, dass dieser muskelbepackte Sonnyboy nur zu gut weiß, was sie durchmachen. Daher das Foto, als Beweis für eine Zeit mit 30 Kilogramm zu viel auf den Rippen.
Auch heute ist er alles andere als ein Hänfling, doch unter dem T-Shirt wölben sich imposante Muskelberge und mit seinem Oberkörper könnte er locker als Prellbock bei der Eisenbahn aushelfen. Zahlreiche Pokale funkeln dezent hinter der Theke, zwei sind jüngst dazugekommen, dabei hätte Lorenz lieber einen Nagel in die Wand geschlagen, um Medaillen aufzuhängen. Eine WM ohne Medaillen? Seltsam sei das gewesen, sagt Lorenz und blickt scheel auf die Trophäen. Auch das würde man nicht unbedingt in der dritten Etage der Alten Leonischen Drahtwerke in Mühlhof vermuten: Dass einem ein Weltmeister die Energy-Drinks einschenkt.
Winziger Haken
Im österreichischen Horn hat der 28-Jährige bei der Kraftdreikampf-WM in der Gewichtsklasse bis 100 kg insgesamt 775 kg (Kniebeuge 300 kg/Bankdrücken 225 kg/Kreuzheben 250 kg) in die Höhe gewuchtet und damit Gold geholt. Sein bisher größter Triumph, allerdings mit einem winzigen Haken. Wie im Boxen stehen auch in der Schwerkraft-Sparte einige Verbände in Konkurrenz zueinander: Der größte ist die IPF (International Powerlifting Federation), daneben gibt es unter anderem die WPC (World Powerlifting Congress) oder eben die WUAP (World United Amateur Powerlifting), bei deren Welttitelkämpfen Lorenz jetzt erfolgreich war.
Insider munkeln, dass viele Athleten die IPF meiden, weil dort deutlich öfter Dopingkontrollen stattfinden. Lorenz widerspricht auch gar nicht, redet offen über die Problematik. Er erzählt von Konkurrenten, die unerklärliche Entwicklungsschübe gemacht haben und bei denen dann die Gelenke, die Bänder streikten. Oder diese Sache mit der Bayerischen Meisterschaft: Kaum hatte der Verband Kontrollen angekündigt, hagelte es auf einmal Absagen. Dopingkontrollen sind teuer, deshalb gehen einige Verbände etwas laxer damit um. Er habe immer, schon aus Angst vor Verletzungen, dosiert aufgestockt, als deutscher Meister musste auch Lorenz zum (negativen) Dopingtest - das soll reichen als Glaubwürdigkeitsattest.
25 Stunden Training pro Woche
Der Schwabacher würde ja auch gerne an den IPF-Wettkämpfen teilnehmen, doch deren Statuten verbieten Mehrfachstarts. Für jemanden wie Lorenz, der sich seine Saison und Wettkämpfe klug einteilen muss, ein großes Problem, ein Student wie das Nürnberger ASC-Kraftpaket Jewgenij Kondraschow ist da etwas freier in seiner Terminwahl. Daher nimmt Lorenz in Kauf, in einem vielleicht nicht ganz so angesehenen Verband zu starten, zumal es dort deutlich familiärer zugehe.
Was ist aber nun das Geheimnis seines Erfolgs? 25 Stunden Training pro Woche, die der Autodidakt nach einem eigenen Plan, basierend auf Fachbüchern, absolviert. Lorenz ist zwar seit Anfang des Jahres Mitglied beim Ex-Bundesligisten ASC Süd, doch am Hummelsteiner Weg hat man ihn bisher kaum gesehen. «Na ja», sagt Lorenz entschuldigend und macht eine vielsagende Handbewegung in den Raum hinein, «ich bin selbstständig mit langen Arbeitszeiten und habe zudem hier meine Geräte.»
Eigentlich sollte auf die WM eine längere Regenerationspause folgen, doch der gelernte Gas- und Wasserinstallateur will endlich die 800-kg-Marke knacken, eine magische Grenze: «Das wäre das achtfache meines Körpergewichts.»
Nächste Möglichkeit ist im November beim Weltcup in der Slowakei, und einer wird auch dort nicht fehlen: Vater Karl-Heinz. Der 47-Jährige betreut seinen Sohn seit Jahren bei Wettkämpfen - und hat nun selber einen dieser Pokale. Im Bankdrücken holte er in der Gewichtsklasse bis 82,5 kg mit 147 kg bei der WM in Horn in seiner Altersklasse Bronze. Ziemlich stark, diese Familie. ULRIKE ASSMANN