Kunstrad

Weltmeisterin Milena Slupina aus Roth will es noch immer wissen

Oliver Haas

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11.8.2021, 05:55 Uhr
Weltmeisterin Milena Slupina aus Roth will es noch immer wissen

© Hubert Dandl

Ob es wirklich ein Stromschlag war, der Milena Slupina im Alter von zehn Jahren die Eingebung gegeben hat Kunstrad-Fahrerin zu werden, ist sich die 26-Jährige nicht wirklich sicher. Zumindest hat sie sich kurz darauf bei der Solidarität Roth (heute Radsportabteilung des TSV Bernlohe) aufs Rad geschwungen oder besser gesagt gestellt.

Auf dem Hinterrad eines ganglosen Fahrrads balancieren, während ein Bein scheinbar locker über den Lenker hängt. Kopfüber im Handstand auf Sattel und Lenker gestützt, während das Rad bei mäßiger Geschwindigkeit vor sich hinrollt. Für Milena Slupina alles kein Problem, auch wenn das natürlich viel Übung und Zeit kostet. Je nach Schwierigkeitsgrad könne man auch schon Jahre damit verbringen, bis eine anspruchsvolle Figur so richtig perfekt sitzt, erzählt die Sportlerin. Doch wie kommt man auf so ein Hobby?

Damals hat in Roth eine "Bayern Rundfahrt" halt gemacht, auf der Kunstrad-Sportler einen kleinen Show-Auftritt vorführten. "Das hat mich schon sehr begeistert und ich wollte das unbedingt ausprobieren", erinnert sich Milena. "Mit zehn war ich aber schon verhältnismäßig alt für den Einstieg. Viele fangen bereits mit sechs oder sieben Jahren an." Ihre Mutter musste Anfangs immer mit zum Training kommen, um sie auf dem Rad festzuhalten. Dadurch seien die Beiden "zusammen da reingewachsen", sodass ihre Mutter Petra Slupina sie nun seit 2014 allein trainiert.

Sportlich war Milena schon immer. Zunächst hat sie sich sehr Roth-typisch am Triathlon versucht. "Die Karriere hab ich aber mit neun Jahren beendet", scherzt sie und fügt hinzu: "Das Schwimmen hat mir einfach nicht so getaugt." Im Nachhinein die richtige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass sie in "ihrem" Sport bereits die höchstmögliche Auszeichnung erreicht hat.

Ganz oben auf dem Treppchen

Das Jahr 2019 markiert den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere, was in diesem Sinne "nicht mehr zu toppen ist", wie Milena Slupina selbst sagt. In dem Jahr hat sie zunächst den Weltrekord (gemessen an der gefahrenen Punktzahl) geknackt, nur um kurz darauf abermals ihren eigenen zu brechen. Am Ende des Jahres war sie dann nicht nur Weltcupsiegerin, sondern auch eben Weltmeisterin. All das hätte sie sich zu Beginn ihrer Karriere vermutlich nicht erträumen lassen.

Wer ganz oben auf dem Treppchen stehen will, muss aber auch unglaublich viel Zeit investieren. Das begann bereits in der Schule. Schnell die Hausaufgaben erledigen, um nahezu jeden Tag aufs Rad zu steigen oder auch mal eine Befreiung beim Lehrer holen, um an wichtigen Wettkämpfen teilnehmen zu können.


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Am Zeitaufwand habe sich wenig verändert. Nur dass sie mittlerweile "tröpfchenweise" ihren Urlaub nehmen muss, um auf Wettkämpfe zu fahren. Denn eins steht fest: "Kunstrad ist nichts zum Geld verdienen, eher zum Ausgeben", sagt Milena lachend: "So etwas wie Siegesprämien und sonstige Einnahmen gibt es nicht. Man zahlt seine Reisen und Übernachtungen auf Wettkämpfen selber." In ihrem Erfolgreichsten Wettkampfjahr sei so unterm Strich gerade mal ein Betrag im niedrigen dreistelligen Bereich rausgekommen.

Es ist also der pure sportliche Ehrgeiz und der Spaß am Hobby, der Milena wachsen hat lassen. Mittlerweile zählt sie auf den Wettkämpfen auch zu den erfahrenen Fahrerinnen, denn so eine Kunstrad-Karriere endet in etwa mit Mitte oder Ende 20, sagt die 26-Jährige. Schluss sei für sie deshalb aber noch lange nicht. Erst im Juli holte sie sich in Oberschleißheim ihren 7. Bayerischen Meistertitel in Folge und auch beim Weltcup vergangenes Wochenende in Lemgo (Nordrhein-Westphalen) belegte sie den ersten Platz.

Gefühl statt Technik

Im Berufsleben arbeitet die studierte Maschinenbauerin in einer Maschinenfabrik im benachbarten Landkreis. Zwar kommt es auch beim Kunstradfahren viel auf die Technik an, zu technisch wolle sie aber nicht an die Sache herangehen. "Ich mache eigentlich alles nach Körpergefühl." Ansonsten seien mit Kommilitonen im Studium schon mal Gespräche über die Achsen am Rad entstanden, erinnert sich Milena lachend.

Obwohl es eine Doppelbelastung war, habe ihr der Sport schon geholfen gut durch die Schule und das (duale) Studium zu manövrieren. "Konkret in Prüfungssituationen die Ruhe zu bewahren, sich zu konzentrieren und unter Zeitdruck eingeübtes abzurufen", fasst sie zusammen.


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Denn darauf komme es auch bei Wettkämpfen an. Für eine "Kür" haben die Fahrer fünf Minuten Zeit, um ihr vorher einstudiertes Programm abzuliefern. Jede Übung hat dabei eine gewisse Punktzahl. Am vorher durch die Teilnehmer zusammengestellten Programm, ergibt sich daraus ein Ausgangswert, von dem die Kampfrichter Punkte abziehen, sollte eine Figur nicht sauber ausgeführt worden sein, mit den Füßen der Boden berührt oder gestürzt werden. Milena Slupinas Rekord liegt bei 195,35 Punkten.

Zwischen Zeitdruck und Stürzen

"Ich bin selber immer wieder überrascht, was man alles für Figuren machen kann. Was zunächst unmöglich erscheint, geht dann doch", begründet Milena ihre Faszination für den Sport. Es erfordert allerdings viel Kraft, Balance und ein hohes Maß an Konzentration. Zu ihrer Spezialitäten gehören vor allem Handstände in verschiedenen Ausführungen, die zugleich auch die meisten Punkte bringen. Auch die bei vielen Fahrern nicht beliebten Übergänge zwischen den Figuren sowie der Übersteiger, wenn ein Rad in der Luft ist, gehören zu ihren Lieblingen.

Weltmeisterin Milena Slupina aus Roth will es noch immer wissen

© Hubert Dandl

Hin und wieder gehe aber auch mal was schief. "Blöd runter fallen muss jeder mal. Das gehört einfach dazu", sagt Milena sachlich. Erst kürzlich sei sie beim Übergang mit dem Schenkel am Lenker hängen geblieben und auf ihr Handgelenk und Kinn gestürzt. "Das zählt für mich schon als schlimmer Sturz. Bis auf mal einen gestauchten Knöchel oder gedehnte Bänder hatte ich zum Glück noch keine schlimmeren Verletzungen", sagt sie tiefenentspannt.

Das Milena Slupina so leicht nichts aus der Ruhe bringt, merkt man spätestens, wenn man der Weltmeisterin gegenübersitzt, wenn auch nur digital. Aber auch durch den Computerbildschirm strahlt die sympathische Ausnahmesportlerin aus Roth eine tiefe Gelassenheit aus.

Vergangenes Wochenende hat die Weltmeisterin beim Wettkampf in Lemgo mit 184 Punkten und ein paar "blöden Fehlern" wie sie selbst sagt, zwar nicht ihr volles Potenzial ausgeschöpft. Dennoch reichte es für den ersten Platz. Für den kommenden German Masters samt WM-Qualifikation Ende August, will sie nochmal vermehrt ihre Spezialität die Handstände trainieren, um in gewohnter Perfektion gut abzuschneiden.

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