Weltcup-Finale am Holmenkollen
Die Bö-Brüder machen Schluss: „Biathlon wird anders sein“
17.03.2025, 11:07 Uhr
Bei Ole Einar Björndalen hätte es dieses Karriereende so niemals gegeben. "Er ist doch noch so jung", sagte Norwegens Biathlon-Ikone über seinen Landsmann Johannes Thingnes Bö. Im Gesicht des mittlerweile 51-Jährigen ist das Unverständnis herauszulesen, dass Bö mit gerade mal 31 Jahren Schluss macht.
Selbst die Aussichten auf weitere Olympia-Medaillen in knapp einem Jahr konnten Bö nicht davon überzeugen, seine Laufbahn fortzusetzen. Und so kommt es ab Freitag zum emotionalen Abschied des vielleicht besten Biathleten der Geschichte - ausgerechnet am heimischen Holmenkollen.
Erfolge für die Ewigkeit
Zehntausende Fans werden sich an den drei Wettkampftagen auf den Weg aus dem Herzen Oslos mit der Bahn-Linie 1 auf den Weg ins Mekka des nordischen Skisports machen, um Johannes Thingnes Bö und seinen fünf Jahre älteren Bruder Tarjei Bö beim Heimspiel zu verabschieden.
23 Mal gewann der Jüngere WM-Gold und holte fünf Olympiasiege, insgesamt sind es bis jetzt 90 Karrieresiege. Nur Björndalen hat mit 95 mehr. Zwölf WM-Titel und drei Olympiasiege gingen an Tarjei. Beide prägten ihren Sport mehr als ein Jahrzehnt lang und werden nicht nur in Norwegen eine große Lücke hinterlassen.
"Muss fast nicht trainieren, um die Nummer eins zu sein"
"Es reicht nicht, um noch ein Jahr weiterzumachen", hatte Bö im Januar gesagt, als er für viele überraschend unter Tränen in Ruhpolding verkündete, dass seine einzigartige Laufbahn ein Jahr eher enden wird, als er das ursprünglich geplant hatte.
Dabei geht es keineswegs um seine Leistungsfähigkeit, denn ziemlich sicher hätte Bö auch bei Olympia 2026 wieder Medaillen gesammelt. Acht davon holte er schon. "Ich weiß, dass ich es schaffen könnte, noch öfter zu gewinnen, weil ich eine unglaubliche Gabe habe. Ich muss fast nicht trainieren, um die Nummer eins zu sein", sagte Bö über sich selbst.

Doch es mangelt an Motivation. Die Schinderei im Sommer, die endlosen Trainingskilometer und die vielen Tage weit weg von seiner Familie - darauf hat Rekordjäger Bö keine Lust mehr. "Es nimmt dir und den Menschen um dich herum sehr viel, die Nummer eins in deinem Sport zu bleiben", sagte er. Der fünfmalige Gesamtweltcupsieger freut sich stattdessen auf die Zeit mit seiner Familie. Neben Frau Hedda warten auch die Kinder Gustav und Sofia.
Ein Nachfolger steht schon bereit
"Die nächsten Rennen und Punkte sind nicht ganz so wichtig, wenn man eine Familie hat", sagte Bö. Und trotzdem: Eigentlich wollte er sich vor seinem Heim-Publikum mit dem sechsten Gesamtweltcupsieg verabschieden. Doch das dürfte nicht gelingen, weil Bö am vergangenen Wochenende beim Weltcup in Slowenien krank fehlte. Der lange Zeit unantastbare Dauersieger flog nach Hause, entspannte sich bei einem Wellness-Wochenende, um doch noch wieder zu Kräften zu kommen.
104 Punkte beträgt der Rückstand auf Landsmann Sturla Holm Laegreid vor seinem letzten Sprint am Freitag (13.30 Uhr/ARD und Eurosport). Zwar werden in drei Rennen bis Sonntag noch maximal 270 Zähler verteilt, doch Laegreid wird sich den Vorsprung nicht nehmen lassen.
Der 28-Jährige gilt als Nachfolger von Bö, weitere norwegische Talente warten auf ihre Chance. Die schwächelnden deutschen Männer dürften kaum vom Rückzug der Bö-Brüder profitieren, zu weit weg sind sie derzeit von der Spitze, zu der vor allem auch die Franzosen um Eric Perrot, Emilien Jacquelin und Quentin Fillon Maillet gehören.
Bö verschob die Grenzen des Machbaren
Biathlon werde zwar "sicher weitergehen, aber es wird anders sein", sagte der deutsche Sportdirektor Felix Bitterling. Die Sportart verliert ihr Gesicht und muss erst einen würdigen Nachfolger finden. "Er ist absolut einzigartig", sagte auch Bruder Tarjei Bö: "Was soll ich sagen? Er hat eine Urgewalt." Der begnadete Langläufer Johannes verschob auch im Schießen die Grenzen des Machbaren und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass viel schneller und mit viel mehr Risiko geschossen wird, als das vor seiner Zeit der Fall war.

Bö ist "läuferisch wie von einem anderen Stern unterwegs", sagte auch Bitterling. Der achtmalige Olympiasieger Björndalen, der von Johannes Thingnes Bö zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Lenzerheide im Februar als Rekordweltmeister abgelöst wurde, nannte ihn ebenfalls "eine Legende" und schob nach: "Würde er weitermachen, hätte er all meine Rekorde gebrochen."
Björndalen wurde noch mit 42 Weltmeister
Doch auch wenn Björndalen das große Vorbild von Bö ist, wird es dazu nicht mehr kommen. Bö will Abstand vom Biathlon, könnte sich aber vorstellen, später zum Beispiel als TV-Experte zurückzukehren. Björndalen übt diesen Job schon aus. Er wiederum trat übrigens erst mit 44 Jahren zurück und schaffte es bis ins hohe Alter erfolgreich zu bleiben. 2016 gewann er mit 42 seinen letzten WM-Titel - an der Seite der Bö-Brüder mit der Staffel am Holmenkollen.
