Privatsache oder nicht?

Wirbel um Kimmichs Nicht-Impfung: Warum der Nationalspieler kein gutes Vorbild ist

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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25.10.2021, 08:49 Uhr
Ein hellsichtiger Fußballprofi auf dem Platz, ein vorsichtiger Menschen daneben: Joshua Kimmich sieht sich vor allem nicht als Impfgegner. 

© Marius Becker, dpa Ein hellsichtiger Fußballprofi auf dem Platz, ein vorsichtiger Menschen daneben: Joshua Kimmich sieht sich vor allem nicht als Impfgegner. 

Es gab eine Zeit, in der man "persönliche Bedenken" haben durfte, so wie Joshua Kimmich. Seit einem dreiviertel Jahr aber werden täglich weltweit Millionen Menschen geimpft – mit mRNA-Impfstoffen (Biontech/Moderna) oder Vektor-Impfstoffen (Astrazeneca/J&J). Man weiß mittlerweile ob extrem seltener Nebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen (mRNA) oder Thrombosen (Vektor). Man weiß, dass sich die Bestandteile der Impfstoffe im Körper schnell abbauen. Über tatsächliche Langzeitschäden ist hingegen auch weiterhin nichts bekannt, sehr wohl über die Todesraten und die möglichen Langzeitfolgen von Covid-19. Das alles ist in sämtlichen seriösen Medien nachzulesen, nachzuhören oder zu nachzusehen oder wurde von unabhängigen Instituten verbreitet. Wer abwägt zwischen den Risiken der Impfung und den Risiken einer Infektion, der kann nach derzeitigem Kenntnisstand nur zu einem Ergebnis kommen.

Dass ein als reflektiert wahrgenommener Fußballprofi wie Kimmich entgegen der Empfehlungen seines Arbeitgebers, der DFL, des DFB und seiner eigenen Initiative noch immer Bedenken hat und sich deshalb nicht impfen lässt, ist ein Problem; dass er eine Kinderkrebsstation besucht hat, ist unverantwortlich; und dass er in seiner Sonderrolle Privilegien genießt, ist unverschämt. Der Bayern-Profi wird in Stadien spielen, in der er als Zuschauer nicht eingelassen werden würde, in denen er als Wurstverkäufer nicht arbeiten dürfte. Die Tests, die dafür sorgen, dass er überhaupt arbeiten darf, bezahlt derweil der FC Bayern. Das mag eine Marginalie sein, andere Bedenkenträger aber müssen ihre Tests selbst zahlen, um überhaupt arbeiten zu dürfen, und es bestätigt das Bild einer Berufsgruppe, die mit der Lebensrealität der Menschen, die letztlich ihr Gehalt bezahlen, nichts zu tun hat.

Vom Bedenken- zum Hoffnungsträger

Wirklich verheerend aber ist, dass Kimmich schon jetzt von jenen gefeiert wird, die den ersten Absatz dieses Meinungsbeitrags hämisch lachend überflogen haben, die wissenschaftlichen Konsens anzweifeln und so lange "im Internet", "auf Facebook" und in WhatsApp-Gruppen suchen, bis sie falsche oder falsch interpretierte Zahlen, krude Meinungen von vermeintlichen und echten, aber skrupellosen Wissenschaftlern finden, die ihren Trotz rechtfertigen. Und gefährlich ist, dass Kimmich denjenigen endgültig den Mut nimmt, die Angst haben, weil sie Menschen mit Impfnebenwirkungen kennen, deren Bedenken nachvollziehbar sind, die informiert und mitgenommen werden müssen, um uns allen ein freies Leben zu ermöglichen.

Kimmich wollte das alles nicht. Das darf man ihm glauben. Genauso wie man hoffen darf, dass er wie viele Millionen Menschen erkennt, wie wichtig es für alle, für seine Kollegen, seine Freunde und Familie und für ihn selbst ist, wenn er sich impfen lässt.

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