WM-Kolumne: Vielleicht war Mexiko… einfach nur gut?
18.6.2018, 05:46 UhrEs gibt wunderschöne Fotos von Hirving Rodrigo Lozano Bahena. Fotos, auf denen er seine Freude herausschreit in den Olimpijski kompleks Luschniki. Lozano schießt, blickt dem Ball hinterher, dreht ab. Lozano rutscht auf dem Rasen ins Glück. Auf den nächsten Fotos verschwindet er hinter der schönen mexikanischen Mauer, die sie spontan in Moskau errichtet haben. Es sieht so aus, als müsste El Tri ihren Helden trösten. Man muss das genau beschreiben, weil man diese Fotos in Deutschland nicht zu sehen bekommt. In Deutschland sieht man nur Deutschland.
Diese ausschließlich deutsche Perspektive nervt. Özil singt nicht mit, Plattenhardt darf erst mitspielen, dann aber doch nicht so richtig. Boateng grätscht. Müller irrlichtert – aber nicht in diesem herrlichen müller‘schen Sinn. Khedira enttäuscht. Kroos enttäuscht. Draxler enttäuscht. Werner enttäuscht. Kimmich enttäuscht und trotzdem läuft jeder Angriff über rechts. Plattenhardt kann gar nicht enttäuschen, er spielt links. Reus kommt – aber zu spät.
Özil alleine mit Lozano
Alle enttäuschen. Hummels fühlt sich danach alleine gelassen, dabei war er es doch, der Özil alleine mit Hirving Rodrigo Lozano Bahena gelassen hatte. Ist diese Mannschaft schon zu alt, zu satt, zu zerrissen? Sind Erdogan und Gündogan schuld? Oder doch wieder nur Özil und Merkel? Waren die Löcher im Mittelfeld so groß wie Sibirien oder doch nur wie das Saarland? Ist Löw noch der richtige Trainer?
Für jede noch so abwegige, respektlose, provokante Meinung gibt es einen Kommentar, einen Tweet, ein Meme. Immer nur geht es um Deutschland und das historische 0:1 gegen Mexiko. Nie geht es um das historische 1:0 von Mexiko. Dabei gibt es doch eine Frage, die nicht gestellt wird. Was ist denn eigentlich, wenn Deutschland zwar ungeordnet und uninspiriert gespielt hat, Mexiko aber vor allem extrem stark?
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Natürlich konnten sich die Mexikaner am Ende auf das Glück und Torhüter Guillermo Ochoa verlassen. Aber eben nur, weil sie den Weltmeister so lange gereizt hatten: die Dauerläufer Carlos Vela und Miguel Lozano; Hector Herrera sah schon vor dem Anpfiff so mitgenommen aus wie andere nach dem Schlusspfiff, dazwischen aber leitete er einen klugen Angriff nach dem nächsten ein, die der junge Hirving Lozano sich zunächst noch abzuschließen zierte.
Mexiko spielte wild
Und hätte nicht auch noch der zwielichtige Rafa Marquez eine Viertelstunde lang mitspielen dürfen, wäre das ein grundsympathischer Auftritt geworden. Mexiko spielte wild, genauso wie es Löw erwartet hatte. Zähmen konnte seine Mannschaft jenen Gegner aber trotzdem nicht, der zudem sehr lange frischer wirkte – gedanklich und körperlich. Und wenn sich diese großartige Mannschaft nicht selbst erst noch daran hatte gewöhnen müssen, dass sie den Weltmeister düpierte, hätte es schon früh sehr viel schlimmer für dieses seltsam heterogene deutsche Team ausgehen können.
Die deutsche Mannschaft kann noch immer zum fünften Mal Weltmeister werden. Oder nach der Vorrunde ausscheiden. Oder nach einem 1:7 im Achtelfinale gegen Brasilien. Und Mexiko auch kann noch immer frühzeitig scheitern. Wahrscheinlich ist das nach diesem schönen Fußballspiel allerdings nicht mehr.
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