Deutschland-Tour-Premiere: Schwitzen beim "Dein Ride"

23.8.2020, 15:59 Uhr
Deutschland-Tour-Premiere: Schwitzen beim

© Foto: Henning Angerer

Deutschland-Tour-Premiere: Schwitzen beim

© Foto: Wolfgang Menapace

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Deutschland-Tour-Premiere: Schwitzen beim

© Foto: Harald Sippel

Die Idee war verrückt. Ohne Rennrad bei einer Ausfahrt mit Rennrad-Fans mitzumachen, war ein gewagtes Unterfangen. Aber auch ein Aufregendes. Also habe ich mich angemeldet beim "Dein Ride" der Deutschland Tour, der Corona-Alternative zum verschobenen großen Straßenradrennen der Profis, das in einem Jahr in der Region Station macht. Erlangen ist Ziel der dritten Etappe, zum Tour-Finale fahren die Starter von der Uni-Stadt durch die Fränkische Schweiz nach Nürnberg.

Austesten konnten wir die Strecke schon jetzt: beim "Dein Ride", der Abfahrt der Original-Strecke, geführt von ehemaligen Radprofis wie Jens Voigt und Fabian Wegmann. Ebenfalls als Guide dabei war Grischa Janorschke, Ex-Profi aus Nürnberg und langjähriger Manager des Baiersdorfer Herrmann Radteams. Mit ihm fängt meine Tour an.

Ich war ja nicht so vermessen, mir eine Teil-Etappe ohne Rücksprache zuzutrauen. Also rief ich Grischa Janorschke an. Er machte mir Mut, besorgte ein Rennrad vom Herrmann Radteam und einen Helm, bastelte das Fahrrad für mich um und ließ mich zwei Wochen damit trainieren. Die Idee, über mehr als 80 Kilometer mit geübten Fahrern mithalten zu können, war dennoch kühn.

Entsprechend aufgeregt war ich am Samstagmorgen. Es regnete. Aus meinem noch kühneren Plan, morgens von meinem Wohnort Nürnberg zum Treffpunkt nach Erlangen zu fahren, wurde nichts. Ich wollte nicht schon patschnass zum Start kommen. Es war eine gute Entscheidung. Von Erlangen brachte uns ein Busshuttle nach Ebensfeld im oberfränkischen Landkreis Lichtenfels.

Mit dabei zwei Verbündete: FAU-Promotionsstudentin Lilian Vogl, ebenfalls ohne Klick-Pedale und ebenfalls eine Frau, dazu Karlheinz Hörner, ebenfalls mit einem Leih-Rennrad unterwegs. Den Startplatz hatte er in der Verlosung der Erlanger Nachrichten gewonnen. Dazu Wolfgang Menapace von der Siemens-Radsportgruppe und die Offiziellen der Stadt Erlangen, Bürgermeister Jörg Volleth, Sportamtsleiter Ulrich Klement und Christian Frank, der Chef des City-Managements.

In Ebensfeld, dem Startort unserer Teil-Etappe, regnete es immer noch. Keine guten Voraussetzungen für die erste lange Rad-Ausfahrt in einer Gruppe. Die anderen Fahrer, die bereits morgens in Ilmenau gestartet waren, kamen unaufhaltsam näher. Plötzlich tummelten sich 30 weitere Sportler auf dem Parkplatz, abgekämpft und vom Regen durchnässt, aber glücklich. 190 Kilometer ist die Gesamt-Etappe lang, gut die Hälfte hatten sie geschafft.

Einer der Fahrer, Daniel Bösch, sprach mich an. Er war am Morgen direkt von seiner Schicht bei der Erlanger Feuerwehr für den "Dein Ride" nach Ilmenau gefahren, jetzt radelte er mit dem Gewinner der Deutschland Tour 2006 und 2007, Jens Voigt, und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 31 Kilometern pro Stunde zurück nach Erlangen. Zum Vergleich: Unsere Truppe sollte die 87 Kilometer mit durchschnittlich 26 Kilometern pro Stunde fahren. Und das machte mir schon Angst. Noch nie zuvor war ich so weit mit dem Rennrad gefahren, noch nie zuvor in einer Gruppe.

Als wir uns am Start versammelten, sah man mir das auch an. Zwar war mein geliehenes Rennrad spitze, der Style-Faktor aber fehlte. Mit Laufschuhen, einer ebenfalls geliehenen Radhose, einem schulterfreien Sport-Shirt und einer Alltags-Sonnenbrille kann man in der Szene niemanden überzeugen. Die richtigen Radfahrer liefern sich schließlich nicht nur mit ihren teuren Rennmaschinen eine Materialschlacht, auch knallige Helme, Brillen, Trikots und Socken gehören zur Grund-Ausstattung.

Mitgenommen haben sie mich trotzdem. Und das fühlte sich schon einmal gut an. Vorneweg fuhren Grischa Janorschke und seine Frau Sandra, dahinter reihten sich die farbenfrohen Radtrikots aneinander. Meine Beine wirkten frisch, ich fand schnell einen ersten Gesprächspartner, und so radelten wir in Zweier-Pärchen nebeneinander los. Gefühlt ging es mehr bergab als bergauf, nur einmal mussten wir über Kopfsteinpflaster rütteln. Und in der Gruppe lief es fast wie von selbst. Es ist tatsächlich so: Im Windschatten kann man bis zu 40 Prozent an Kraft sparen.

An Wiesen und Feldern vorbei fuhr unser Trupp, kaum waren wir aus der zweiten Ortschaft heraus, schien auch die Sonne. Meine Aufregung war wie weggeblasen vom erfrischenden Fahrtwind. Ich rollte einfach mit. Zuerst relativ weit hinten im Feld, dann immer weiter vorne. Lilian — im Radsport sind wir beim "Du" — neben oder hinter mir, Wolfgang als stetigen Begleiter. Ich frotzelte mit Rennrad-Nerd Marcel aus Erfurt und dem ehemaligen Adidas-Mitarbeiter Herwig, ein Riesentyp mit besonders bunten Socken.

Herwig erzählte von seinem Plan, bei allen vier Etappen dabei zu sein, dem Wild-Campen in den Nächten, von Ralf und Fabian Bingenheimer, die dals Vater-und-Sohn-Event mitfahren. "Hier bist du nur unter Verrückten", sagte Herwig zu mir. Ich dachte, dass ich gut dazu passen würde, es war ja auch verrückt, als Anfänger mitzufahren.

Als es zum ersten Anstieg ging, merkte ich ihn kaum. Die Fahrer vor mir waren wie ein Sog, der mich überall mitzog. Als ein Vorderrad meinen Hinterreifen streifte, durchfuhr mich der erste Schreck. Hinter mit stürzte Lilian, direkt am Berg zum Glück langsam und daher nicht so schlimm. Fast zeitgleich musste Jörg Volleth absteigen. Die Schaltung streikte. Im Radsport aber hilft man sich, und so reparierte der mehrfache Deutsche Meister Fabian Wegmann direkt am Hang das Fahrrad des Erlanger Bürgermeisters.

Wenig später hatten alle die erste Steigung gemeistert, oben gab es frisches Wasser und Müsliriegel. Ich fühlte mich super und wollte unbedingt weiterfahren. Weiter über den Asphalt, durch kleine Gemeinden, immer rasend schnell. Bei den Abfahrten wedelte mein Namensschild an meiner Bauchtasche im Wind. Genauso wirbelte in mir das Adrenalin. Die Schweißperlen trockneten direkt auf den Wangen. Die Beine treten scheinbar mühelos. Als mir jemand sagte, dass wir die 70-Kilometer-Marke überschritten hatten, wollte ich es kaum glauben.

Wir erreichten den Landkreis Forchheim und schließlich den Landkreis Erlangen-Höchstadt, die Namen auf den Ortsschildern wurden vertrauter: Schnaid, Willersdorf, Hemhofen, Erlangen kam immer näher. Bei Bräuningshof wartete der zweite Anstieg dieser insgesamt flacheren Teil-Etappe. Die Gruppe riss ein wenig auseinander, manche sprinteten voraus, andere hechelten hinterher. Ich war mittendrin, mit Sandra Janorschke kletterte ich die letzten Höhenmeter hinauf.

In Erlangen rasten wir die Drausnickstraße entlang, auf der 2021 auch die Profis ins Ziel sprinten werden. Bis zum Bohlenplatz waren es keine fünf Minuten mehr, der rote Torbogen der Deutschland Tour kam in Sicht, ich rollte durch, klatsche mein Team ab, grinste. 84 Kilometer in 3:50 Stunden sind wir gefahren, wie gefordert im Schnitt in 26 Kilometern pro Stunde. Manchmal also sehr viel schneller, bei den Anstiegen etwas langsamer.

Die Profis werden das in einem Jahr natürlich noch einmal viel schneller und verbissener fahren, umjubelt von Tausenden Zuschauern. Für mich war es ein Riesenspaß und eine große Herausforderung. Das Gefühl, in der Gruppe etwas schaffen zu können, das man alleine niemals schaffen würde, überwältigt mich immer noch.

Das Rennradfahren wird mich nicht mehr loslassen. Auch wenn ich mich nicht gleich auf die vierte Etappe von Erlangen über Gößweinstein nach Nürnberg — 150 Kilometer und 2000 Höhenmeter — getraut habe: Das nächste Mal werde ich dabei sein. Dann aber werde ich die Sonnencreme nicht vergessen. Das Einzige, was jetzt schmerzt, ist der Sonnenbrand auf den Schulterblättern.

Viele weitere Bilder online unter
www.nordbayern.de/erlangen

Das Adrenalin

wirbelt so wild

in mir wie Wind

bei der Abfahrt

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