Tagung: Lässt sich die Zukunft vorhersagen?
23.7.2019, 18:27 UhrEin Schildkrötenpanzer diente den Chinesen der Shang-Dynastie als Orakel. Gelehrte in Mesopotamien untersuchten die Leber eines Opfertieres. Die Azteken konsumierten psychoaktive Substanzen, um Visionen auszulösen.
Seit jeher sind die Menschen erfinderisch beim Versuch, in die Zukunft zu schauen. Es wäre ja auch wirklich praktisch zu wissen, was in fünf, zehn oder 50 Jahren passiert. Was ihnen dabei über die Jahrtausende alles eingefallen ist, untersuchen Wissenschaftler am Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) an der Universität Erlangen-Nürnberg. Das Kolleg feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen und nimmt den Geburtstag zum Anlass, einen Blick in die Zukunft der Zukunftsforschung zu werfen. Seit gestern treffen sich dazu rund 100 Experten und Gäste in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen.
Schwanger oder nicht schwanger?
"Über die Jahrhunderte hat sich immer wieder gezeigt, dass es grundsätzlich nichts gibt, was nicht vielleicht irgendwann vorhersagbar ist", sagt Christof Niederwieser, der die Konferenz organisiert. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und schreibt gerade an einem mehrteiligen Buch über Vorhersagen "Von Babylon bis Börsenprognostik."
Bis vor hundert Jahren war es etwa nicht möglich "vorherzusagen", wann eine Frau schwanger war und ob sie eine Tochter oder einen Sohn zur Welt bringen würde. "Gerade in patriarchalischen Kulturen war das eine wichtige Frage, an der sich viele abgemüht haben, mit Berechnung der Mondphasen, Ritualen, Auspendeln und anderen, unzähligen Methoden", sagt Niederwieser. "Damals hätten die meisten Forscher gesagt: Das haben wir jetzt schon so lange probiert, das finden wir nie heraus!" Heutzutage machen chemische Tests und bildgebende Verfahren die Prognose ganz einfach.
Früher befragten Herrscher eine Gottheit oder die Sterne, um zu einer Entscheidung zu kommen, heute holen sich Politiker Rat von Wirtschaftsweisen und anderen Experten, die den möglichen Verlauf der Dinge prognostizieren. "Unabhängig von der Methode, der Zeit und Kultur haben Vorhersagen auch eine soziale Funktion als Machtinstrument und um eine Gesellschaft zusammenzuhalten."
Heute Aberglaube, früher selbstverständlich
Niederwieser beschäftigt sich mit der Frage, wie sich manche Methoden wie die Leberschau und das Schildkrötenorakel über Jahrhunderte gehalten haben, obwohl die Zeit zwangsläufig gezeigt hat, ob sie richtig lagen oder falsch. "Aus heutiger Sicht beurteilen wir vieles als Aberglauben, aber früher war es normal zu sagen, dass das Orakel selbstverständlich Recht hatte, aber der Deuter sich geirrt haben muss." Opfergaben sollten negative Vorhersagen abmildern und schlechtes Verhalten konnte dafür sorgen, dass Positives doch nicht eintrat. "Da gab es viele psychologische Tricks", sagt der Experte.
Bis heute wirkt der Unterhaltungseffekt: Glückskekse im Restaurant, Kartenlegen auf dem Jahrmarkt, Bleigießen an Silvester und Horoskope in Zeitschriften machen vielen Leuten Spaß. "Dabei kann man seinen Gedanken freien Lauf lassen und sich spielerisch mit anderen über die Zukunft austauschen", erklärt Niederwieser.
Bei der Tagung in Erlangen setzen sich die Profis ernsthaft mit der Zukunft auseinander. Detlev Majewski vom Deutschen Wetterdienst erklärt, wie gut ihre Vorhersagen inzwischen sind. Ein weltweites Netz aus Messstationen liefert eine nie dagewesene Fülle an Daten, die die Computer heutzutage auch verarbeiten können.
Jutta Gampe vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock zeigt, wie sich berechnen lässt, wie viele Menschen im Jahr 2050 in Deutschland leben werden – und wie alt sie dann sind. "Wenn man sich heute die Prognosen der Demografen aus den 1960er Jahren anschaut, sind sie erstaunlich genau eingetroffen", sagt Niederwieser.
Einerseits haben technologische Entwicklungen Vorhersagen inzwischen weit über Schildkröten-Niveau hinaus gebracht. Andererseits erschwert das Prognosen aber auch: "Unsere Welt wird immer komplexer und kurzlebiger und dadurch auch schwieriger vorherzusehen", sagt Niederwieser.
Kristallkugel und Kaffeesatz
Zur Konferenz hat er Vertreter aus den führenden Disziplinen eingeladen, die auf wissenschaftlicher Basis Vorhersagen treffen. "Wir wollen eine Bestandsaufnahme der Prognostik machen und gemeinsam Visionen ersinnen, wo unser Fach in den nächsten Jahrzehnten hinführen kann." Wahlforscher, Zukunftsforscher, Klimaforscher und Genetiker sind mit dabei. Früher haben Seher Zeichen in der Kristallkugel, im Kaffeesatz oder im Feuerrauch interpretiert. Heute analysieren Experten sogenannte Bioindikatoren in Pflanzen: Wenn sich Schadstoffe ansammeln, lassen sich daraus Zeichen für die Umwelt und den Menschen ablesen.
"Vorhersagen sind wichtig für die Menschen zur Planung, Motivation und Inspiration", sagt der Experte. Wer ein Haus bauen will, muss sich beispielsweise überlegen wie sein Leben in Zukunft wohl sein wird: Wie viele Leute sollen dort wohnen? Wie viel Gehalt ist nötig, um den Kredit zu bezahlen? "Viele Fragen des Alltags sind Annahmen über die Zukunft ", sagt Niederwieser. Soll ich mir einen neuen Job suchen, eine neue Wohnung, einen neuen Partner? Werde ich dann glücklicher sein? "Jeder von uns prognostiziert permanent, um für solche Überlegungen das Für und Wider abzuwägen."
Was davon eintritt, bleibt abzuwarten. "Wir können verschiedene Szenarien entwickeln, wie unsere Welt in 30 Jahren aussehen wird und uns dann überlegen, ob das erstrebenswert ist." In der Gegenwart lässt sich die Zukunft schließlich noch beeinflussen.
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