Routinen, Lob, Verständnis

Sechs Tipps: So bringen Sie Kindern gute Gewohnheiten bei

29.11.2023, 15:57 Uhr
Eine klare Routine im Alltag bietet Kindern Sicherheit.

© Christin Klose/dpa-tmn Eine klare Routine im Alltag bietet Kindern Sicherheit.

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Sie möchten, dass Ihr Kind beim Radfahren den Helm aufsetzt? Dass es sich abends selbstständig die Zähne putzt? Dass es erst die Hausaufgaben macht, bevor es die Spielkonsole anschmeißt? Oder wünschen Sie sich, dass Ihr Kind zu Hause keine Schimpfwörter mehr benutzt?

Bei Erwachsenen hängen viele negative Verhaltensweisen mit schlechten Angewohnheiten zusammen. Das funktioniert so: Ein Auslöser in der Umgebung triggert eine Routine mit dem Ziel einer Belohnung. Diese Handlung kann negative Konsequenzen haben.

Beispiel: Man lässt sich in bestimmten Situationen zum Naschen verführen, die Gesundheit leidet.

Gewohnheiten prägen auch das Verhalten von Kindern – im positiven wie im negativen Sinne. Doch wie bringt man den Kleinen gute Angewohnheiten bei und überwindet schlechte? Experten erklären, worauf es ankommt.

Zunächst einmal ist wichtig: Genauso wie Erwachsene brauchen Kinder im Alltag eine Struktur aus gewohnheitsmäßigen Handlungen.

"Routinen sind wichtig für die psychische Gesundheit von Kindern, weil sie Orientierung und Sicherheit geben", erklärt der Kinder- und Jugendpsychologe Prof. Julian Schmitz von der Uni Leipzig. "Wenn der Lebensalltag chaotisch ist und es keine Regeln gibt, ist das eine Belastung für Kinder."

Das heißt auch: "Eltern sollten sich konsistent und vorhersehbar verhalten", so Schmitz. Konkret also: "Es ist gut, wenn es klare Regeln gibt und bestimmte Dinge immer ähnlich gemacht werden."

Erziehung sei eben auch das Beibringen von positiven Gewohnheiten, erklärt der Fachmann.

Die Gewohnheiten müssen natürlich zum Alter des Kindes passen: "Dass eine Zweijährige sich jedes Mal selbstständig die Zähne putzt, ist schwierig", gibt Schmitz als Beispiel. "Anders sieht es bei einem Sechsjährigen aus."

Wann sich welche regelmäßigen Routinen genau entwickeln, ist dem Experten zufolge von Kind zu Kind natürlich etwas unterschiedlich. Spätestens in der Kita muss das Kind aber bestimmte Regeln befolgen.

"Das sind ja meistens Routinen, und die Kinder werden dazu motiviert, sich daran zu halten", sagt Schmitz. Was ihnen in der Regel auch leicht fällt. Sie haben ein großes Bedürfnis nach sozialer Anbindung. Wichtig seien hier die kindgerechte Anleitung, Zuwendung und Geduld.

Kinder irgendwann in die Abläufe mit einbeziehen

Der Sozialpädagoge und Familientherapeut Sebastian Arnold sagt: "Rituale geben Kindern Sicherheit. Man kann sie bewusst einsetzen, um den Tag zu strukturieren. Das reduziert Konflikte."

Tipp: Wenn Kinder etwa sechs, sieben Jahre alt seien, könne man sie hier auch in Planung und Gestaltung einbeziehen.

Wenige, klare Regeln

"Regeln sollten eindeutig sein. Und es sollte auch nicht zu viele geben", bestätigt Arnold, der auch Mitglied im Vorstand des Berufsverbands der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und -therapeuten ist.

Hilfreich seien kleine Erinnerungen im Alltag, rät der Psychologe.

Ein einfaches Beispiel: "Wenn ich möchte, dass das Kind sich immer die Hände wäscht, kann ich ein kleines Bildchen im Bad aufhängen." Irgendwann wird sich das Kind nach der Toilette auch ohne dieses Bild immer die Hände waschen.

Ganz wichtig sind Klarheit und Kommunikation: "Manches Verhalten schleicht sich durch unklare Regeln ein – oder auch weil nie darüber gesprochen wird", sagt Arnold. Spätestens hier sind wir beim zweiten wichtigen Punkt.

Rituale geben Kindern Sicherheit. Das reduziert auch Konflikte.

Rituale geben Kindern Sicherheit. Das reduziert auch Konflikte. © Christin Klose/dpa-tmn

Kinder ticken nicht grundlegend anders als Erwachsene. Sie können sich daher auch Gewohnheiten beibringen oder diese automatisch entwickeln. Von den Denkprozessen im Gehirn her gebe es keinen großen Unterschied, sagt der Neurowissenschaftler und Bestseller-Autor Henning Beck.

Es gibt aber einen großen Unterschied zu Erwachsenen. "Wir bauen uns im Laufe unseres Lebens ein Modell von der Welt", erklärt Beck. Bei kleinen Kindern liege das noch sehr stark bei den Eltern und der Umgebung.

"Man kann Kinder sehr viel leichter anlernen als ältere Menschen, weil die Kinder noch kein fertiges Modell von der Welt im Kopf haben", sagt Beck. "Ältere Menschen lassen sich irgendwann nur noch ungern etwas sagen."

Es kommt daher darauf an, gute Gewohnheiten vorzuleben. "Kinder schauen sich viel ab, imitieren." Eltern müssen daher echte Vorbilder sein.

Eine Alltagsszene: An der Supermarktkasse gilt die Regel, dass dort nichts gekauft wird. "Die Eltern sollten dort natürlich selbst nichts kaufen", sagt Beck. Diese Handlung müsse konsequent vorgelebt werden. Ein anderes Beispiel: kein Smartphone beim gemeinsamen Abendessen.

Auch andere Bezugspersonen haben eine große Wirkung

Kinder reflektieren nicht so sehr, ob ihre Gewohnheiten gut oder schlecht sind. Hier braucht es die Eltern mit ihrer Vorbildfunktion.

"Wenn sie eine Gewohnheit bekräftigen, beflügelt das den Lernerfolg des Kindes", erklärt Sebastian Arnold. "Ihr Verhalten hat eine direkte Wirkung."

Das gilt allerdings auch für andere Bezugspersonen.

"Je jünger das Kind, umso wichtiger sind die Eltern", sagt Arnold. Später werden dann zunehmend auch andere Menschen wichtig. "Die Bezugsperson kann auch die Oma sein oder die Lieblingserzieherin im Kindergarten."

Diese Orientierung an Bezugspersonen kann auch negative Folgen haben: "Wenn ein Jugendlicher andere Kinder ärgert, und die Klassenkameraden finden das gut, dann wird der Junge darin bestätigt, sich weiter so zu verhalten", gibt Arnold als Beispiel.

"Auch wenn die Eltern sich noch so bemühen – Kinder schauen sich Verhaltensweisen von anderen ab. Das ist normal. Wenn man da ein offenes Ohr und offene Augen hat, kann man bei Bedarf gegensteuern", sagt Arnold.

Und eines ist sowieso klar: Eltern sind auch nicht immer perfekt.

"Wenn Eltern stark beansprucht sind, achten sie manchmal nicht darauf, dass Routinen eingehalten werden", sagt Psychologe Julian Schmitz. Denn das koste Kraft – egal ob bei Fernsehzeiten, Medienkonsum oder Schlafenszeiten.

Das heißt: Es ist natürlich, dass Eltern nicht ständig optimale Vorbilder sein können.

Wie verstärke ich gute Gewohnheiten von Kindern nun am besten?

Die Experten empfehlen hier ein paar wichtige Leitregeln, um das Verhalten des Kindes in die richtige Richtung zu lenken:

  • Sebastian Arnold rät dazu, nicht die Leistung zu loben, sondern den Weg dorthin. Konkret kann das so aussehen: "Ich bin stolz, dass du dich so bemüht hast."
  • Wichtig sei es auch, den Erfolg beim Kind zu belassen, etwa bei schulischen Leistungen. Und nicht etwa zu sagen: "Das haben wir aber gut hinbekommen mit dem Lernen." Genauso wenig sollte man dem Kind gegenüber einen Erfolg der Erzieherin zuschieben.
  • Lob ist eine gute Belohnung und besser als Strafen, nennt Julian Schmitz als Grundsatz. "Ich kann das Kind dafür loben, gewisse Dinge nicht gemacht zu haben." Eltern können sagen: "Ich freue mich darüber, dass du dieses Mal anders reagiert hast" – etwa nicht wütend.
  • Die wertvollste Belohnung ist gemeinsame Zeit mit den Eltern, wie Schmitz erklärt. Also ein gemeinsames Spiel, zusammen ein Eis essen gehen. "Es muss nicht der Freizeitpark oder ein großes Geschenk sein. Der kleine ehrliche Zuspruch ist meist besser."
  • Lehnen Eltern ein Verhalten ab, sollten sie das klar kommunizieren, rät Schmitz – und auch erklären, warum das so ist.

Das kann so aussehen: "Schimpfwörter sind verletzend. Wenn du sie benutzt, macht mich das traurig." Oder man fragt das Kind: "Wie würde sich das für dich anfühlen, wenn dich andere Kinder beleidigen?"

Kann man es mit Belohnungen übertreiben?

"Ja", sagt Schmitz. "Wenn Kinder jedes Mal für Kleinigkeiten eine besondere Belohnung bekommen, fordern sie diese immer häufiger. Belohnungen sollten deswegen gut überlegt eingesetzt werden."

Was tun, wenn Eltern mit positivem Zuspruch nicht weiterkommen – und das Kind etwa trotzdem einfach weiter Schimpfwörter benutzt?

Arnold rät hier: "Eltern sollten einmal ganz klar sagen: Ich möchte nicht, dass so ein Wort gesagt wird." Oder auch: "Es verletzt mich, wenn du das zu mir sagst und es macht mich traurig."

Ein häufiger Fehler sei hier, mehr Worte als nötig zu verlieren. Wieder gilt: "Man sollte sich eher dem positiven Verhalten widmen und das gewünschte Verhalten herausstellen."

Wenn das nicht mehr hilft, sollte etwas folgen, das Fachleute "logische" oder auch "natürliche Konsequenzen" nennen, wie Arnold erklärt.

Was heißt das übersetzt? Die Konsequenzen sollten mit dem problematischen Verhalten in Zusammenhang stehen.

Beispiele:

  • "Vier Wochen Fernsehverbot hilft nicht, wenn das Kind immer auf die Straße rennt", sagt Arnold. Besser hier: "Wenn du nicht nach links oder rechts schaust, musst du an der Hand gehen."
  • Wenn das Kind sich nicht die Zähne putzt, gibt es keine Süßigkeiten.
  • Das Kind setzt keinen Helm auf, also darf es auch nicht Fahrrad fahren. "Die Wahl bleibt hier beim Kind", betont Arnold.
  • Julian Schmitz nennt etwa den Streit im Kindergarten: "Wenn der Sohn ein anderes Kind gehauen hat, muss er hingehen und sich entschuldigen und vielleicht eine Wiedergutmachung leisten."

Wichtig hier: Der zeitliche Abstand zwischen dem problematischen Verhalten und der Konsequenz sollte nicht zu groß sein. "Je kleiner die Kinder sind, umso schwieriger wird der zeitliche Übertrag", erklärt Arnold.

Was aber durchaus funktioniert: "Wenn das Kind sich gestern nicht die Zähne geputzt hat, gibt es heute keine Süßigkeiten."

Auch bei den Konsequenzen ist es wichtig, konsistent zu bleiben. "Wenn Konsequenzen nur bei jedem dritten Mal drohen, lernt das Kind: Zweimal komme ich damit durch", erklärt Psychologe Schmitz.

Andererseits sollten Eltern auch nicht unnötig hart sein, wenn das Kind Einsicht zeigt: "Man muss das Rad nicht zwei Wochen wegsperren", rät Arnold. "Ich würde es ruhig herausgeben, wenn das Kind sich doch entscheidet, den Helm aufzusetzen. Das ist dann eine Ermutigung."

Das Kind wird in der Fähigkeit bestärkt, sich umzuentscheiden – und die Regel zu akzeptieren.

Kinder machen auch unangenehme Erfahrungen

Familientherapeut Arnold betont noch eine Tatsache: "Manche negativen Erfahrungen müssen Kinder dann einfach machen."

Beispiel: Man kann dem Kind hundertmal sagen, dass es im Schwimmbad auf den nassen Fliesen nicht rennen soll – irgendwann rutscht es aus und erkennt: Das tut weh, das ist nicht schön. Der Lerneffekt ist da.

Natürlich sollten Kinder nicht jede Erfahrung machen, um daraus zu lernen. Das wäre gefährlich. Hier gibt es Grenzen, etwa den Straßenverkehr.

Arnold nennt auch das Zähneputzen als einen Fall: "Man kann nicht warten, bis der Zahnarzt alle Zähne ziehen muss."

Einen Helm tragen, kann zu einer positiven Angewohnheit werden.

Einen Helm tragen, kann zu einer positiven Angewohnheit werden. © Bodo Marks/dpa/dpa-tmn

Auch wenn Eltern gute Vorbilder sein sollten – das heißt natürlich nicht, dass für sie immer die gleichen Regeln wie für Kinder gelten müssen.

"Kinder müssen lernen, dass Erwachsene andere Dinge dürfen", sagt Schmitz. Und wie lernen sie das? "Ich muss es ihnen erklären."

Zwei Beispiele:

  • Der große Bruder darf länger draußen bleiben. "Hier kann ich erklären, dass er schon besser die Uhr lesen kann und selbst nach Hause findet."
  • Thema Schlafengehen: "Ich kann erklären, dass Erwachsene weniger Schlaf brauchen."

Hilfreich sei auch, einen positiven Ausblick zu geben: "Wenn du soundso alt bist, dann darfst du das auch."

Eine Erklärung, die Kinder eher ratlos zurücklässt: Das ist eben so.

Eine Schramme am Knie ist unschön, aber der Lerneffekt ist da.

Eine Schramme am Knie ist unschön, aber der Lerneffekt ist da. © Hendrik Schmidt/dpa/dpa-tmn

Trotz aller Bemühungen um gutes Verhalten dürfen Eltern nicht vergessen: Kinder bleiben Kinder.

Folgende Dinge sind den Experten zufolge wichtig:

  • Nicht zu viel wollen: "Fünf Gewohnheiten auf einmal zu ändern, schaffen wir Erwachsenen auch nicht", sagt Arnold. Oft veränderten sich andere Dinge mit, wenn man an einer Stellschraube drehe.
  • Mit Rückschlägen rechnen: Sie bedeuten nicht, dass man etwas falsch gemacht hat. "Es kann sein, dass Kinder Regeln verweigern oder Routinen wieder aufgeben", sagt Julian Schmitz. Die Trotzphase beginne meist im zweiten Lebensjahr und könne sich bis ins vierte fortsetzen.
  • Geduldig sein: "Neue Gewohnheiten brauchen Zeit, wie bei Erwachsenen auch. Nach einer Woche weiß ich noch nicht, ob es klappt oder nicht", erklärt Arnold. "Das heißt nicht, dass man seine Strategie ändern muss." Vorwürfe sollte man vermeiden. "Sonst kann man erste Erfolge, die man vielleicht noch gar nicht sieht, wieder ruinieren."
  • Sich für Fehler nicht verteufeln: Was erlaube ich? Wo bin ich streng? "Diese Gratwanderung ist unheimlich schwierig. Hier dürfen Eltern auch Fehler machen", sagt Arnold. "Und sich auch beim Kind entschuldigen, sollten sie zu streng gewesen sein." Das sei kein Zeichen von Schwäche, sondern zeige Kindern, dass Fehler möglich sind – und man sein Verhalten dann trotzdem ändern kann.
  • Nicht alles kontrollieren wollen: Es sei trotz allem wichtig, den Kindern auch Freiräume zu lassen, mal Fünfe gerade sein zu lassen, sagt Schmitz. "Man muss nicht immer an starren Routinen festhalten." Vielleicht erweist sich eine Gewohnheit schlicht als untauglich – etwa ab einem bestimmten Alter. "Dann sollte man gemeinsam Ideen sammeln, wie man es anders machen kann", rät Sebastian Arnold.

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