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Toxische Beziehung: So erkennen und beenden Sie sie

8.11.2023, 07:08 Uhr
Ist das Miteinander vergiftet, hilft oft nur noch eins: Raus aus der Beziehung.

© Christin Klose/dpa-tmn Ist das Miteinander vergiftet, hilft oft nur noch eins: Raus aus der Beziehung.

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Von toxischen Beziehungen ist in letzter Zeit häufig Rede. Und von toxischen Menschen, die man besser aus seinem Leben entfernt. Was hat es mit diesem Begriff auf sich? Und trägt wirklich immer ein narzisstischer Partner die Schuld, wenn sich in einer Beziehung eine ungesunde Dynamik entwickelt?

Eines vorweg: So einfach ist es nicht. In diesem Überblick erfahren Sie, was wirklich hinter toxischen Beziehungen steckt. Und wie Sie damit umgehen, falls Sie in einer solchen Partnerschaft stecken.

Toxisch ist ein Modewort, das inflationär gebraucht wird.

Denken wir an eine toxische Beziehung, entsteht meist folgendes Bild im Kopf: Auf der einen Seite der Narzisst, der die toxische Dynamik erzeugt, auf der anderen der Empathische, der extremes Leid verspürt und nicht aus der Beziehung rauskommt. "Das ist der Klassiker", sagt Annika Felber, Systemische Beraterin aus Koblenz.

Genauso gut könnten aber beide Partner zu einer ungesunden Dynamik beitragen und damit eine toxische Beziehung erzeugen, sagt Felber, die ein Buch zu dem Thema geschrieben hat ("Du tust mir nicht gut!"). Einen Narzissten brauche es dafür erst einmal nicht.

Die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki aus München sieht das ähnlich: "Es sind immer zwei Personen beteiligt, nicht nur eine", sagt sie.

Die Buchautorin ("Und das soll Liebe sein?") hält nichts von den Kategorien Täter (oft der Mann) und Opfer (in der Regel die Frau). Jedenfalls, solange sich niemand tatsächlich im juristischen Sinne als Täter verhält, indem er etwa gewalttätig wird.

Toxische Beziehungen würden häufig mit narzisstischen Beziehungen in Zusammenhang gebracht, in denen eine Person versuche, manipulativ Macht und Kontrolle auszuüben, so Wardetzki. "Aber nur, weil jemand Macht ausübt, muss er kein Narzisst sein."

Diese Kategorie ist ohnehin mit Vorsicht zu genießen.

Gut zu wissen: In der ICD-11, der neusten internationalen Klassifikation von Krankheiten, findet sich die narzisstische Persönlichkeitsstörung als Unterkategorie nicht mehr.

Wardetzki sieht es vielmehr so: Jeder, der sich in einer Beziehung dem anderen gegenüber destruktiv verhält, hat ein ungelöstes Bindungsthema. "Im Grunde sind das Nöte. Man verhält sich oft so, weil man Angst hat, dass der andere wieder geht."

Die Expertin lehnt daher den Begriff toxische Beziehung ab. Sie drückt es lieber so aus: "Es gibt nur zwei Menschen, die schlecht miteinander umgehen und sich dadurch verletzen."

Ob man den Begriff nun benutzen will oder nicht: Zweifellos gibt es ungesunde Beziehungen, die Menschen in tiefes Unglück stürzen.

Folgende Merkmale können für eine toxische Beziehung sprechen:

  • Gewalt: "Jegliche Form von Gewalt - ob körperlich, sexualisiert oder psychisch - ist ein ganz eindeutiges Merkmal für eine toxische Beziehung", sagt Annika Felber. Psychische Gewalt ist allerdings oft nicht sofort als solche zu erkennen. Das macht es schwierig.
  • Gefühltes Leid: Nach Ansicht von Felber ist subjektives Leiden ein Hauptmerkmal von toxischen Beziehungen. Betroffene können sogar psychosomatische Beschwerden entwickeln. "Das passiert recht oft, dass der Körper irgendwann Alarm schlägt", sagt sie.
  • Ungleichgewicht: In destruktiven Beziehungen gehen die Partner nicht auf Augenhöhe miteinander um. "Es kann sein, dass der andere mich dauerhaft bemuttert und kleinhält oder ständig alles besser weiß", sagt Felber. Eine Person zieht immer den Kürzeren.
  • Kontrollverhalten: Häufig fängt ein Partner an, den anderen zu kontrollieren, oft aus krankhafter Eifersucht heraus. Das Handy wird zum Beispiel durchsucht. Oder der Mann verbietet der Frau den Umgang mit bestimmten Freundinnen. "In solchen Beziehungen geht es viel um Macht, Angst und Unterordnung", sagt Wardetzki. Häufige Folge: Ein Partner verliert zunehmend die Autonomie.

Nein. Zumindest fühlen sie sich meistens nicht so an.

"Viele Frauen sagen zu mir: Am Anfang war es immer so wunderschön", berichtet Wardetzki aus ihrer Beratungspraxis. "Die Beziehung beginnt oft wie ein Feuerwerk. Man schwebt auf Wolke sieben und glaubt, den Traummann oder die Traumfrau gefunden zu haben."

So weit, so normal. Nur kommt irgendwann der Kipppunkt.

"Plötzlich erinnern sich die Betroffenen, dass der andere zum Beispiel schon am Anfang wegen Kleinigkeiten außer sich war", erzählt Wardetzki.

Oft wird ein solches Verhalten entschuldigt oder erklärt. Oder man sieht erst einmal darüber hinweg und macht sich nichts draus. "Weil man Angst hat, dass sonst die Beziehung flöten geht."

Dabei gibt es nach Annika Felbers Erfahrung meist frühe Warnzeichen.

"Ich habe nur ganz selten jemanden, der sagt: Ich habe gar nichts gemerkt", sagt die Paarberaterin. Oft ist es so: Was zunächst imponiert, erscheint im Rückblick als verdächtig.

  • Typisch ist Love Bombing. Schon nach dem ersten oder zweiten Date wird die oder der Angehimmelte mit Liebesbeweisen überhäuft: große Worte, große Gesten, große Geschenke.
  • Oft stellt sich im Rückblick auch heraus: Schon ganz früh haben sich Aussagen widersprochen. Das Bild, das der andere von sich gezeichnet hat, war nicht stimmig und authentisch.
  • Problematisches Verhalten wie Bevormundung zeigt sich schon im Kleinen. Annika Felber nennt ein Beispiel: Der Mann fragt die Frau beim Date: "Willst du wirklich diese Pizza essen?"

Solche Warnzeichen werden allerdings gerne ignoriert. "Das ungute Bauchgefühl wird oft übergangen, weil hinter der Begegnung starke Bedürfnisse und Wünsche stecken", sagt Felber.

Irgendwann ahnen die Betroffenen, in was sie da hinein geraten sind. Die Indizien verdichten sich. Aber man will es nicht wahrhaben. "Es können Jahre vergehen, bis jemand aktiv wird", sagt Felber.

Die destruktive Beziehungsdynamik tritt mit der Zeit immer stärker in den Vordergrund. Das ist meist ein schleichender Prozess:

  • Es fängt mit vermeintlich harmlosen Dingen wie der Frage nach der richtigen Pizza an. Dann entscheidet einer immer für beide.
  • Irgendwann kommt zum Beispiel die Aufforderung: "Zeig mir dein Handy! Ich will wissen, mit wem du da schreibst." Die Kontrolle wird immer enger, die Auseinandersetzungen werden heftiger.
  • Im Extremfall sperrt der Mann die Frau irgendwann zu Hause ein (oder andersherum die Frau den Mann, auch das gibt es natürlich).

Das Perfide: Viele manipulieren ihr Gegenüber dahingehend, dass dieses ihr Verhalten akzeptiert. Sie erfinden zum Beispiel eine Opfergeschichte.

Ein Beispiel aus Felbers Coaching: Der manipulative Partner verweist immer wieder auf eine schlimme Kindheit.

Die Folge: Die Betroffenen empfinden am Ende mehr Empathie mit dem anderen als mit sich selbst. Das Verhalten des Partners wird wortreich erklärt und gerechtfertigt, die eigenen Bedürfnisse bleiben auf der Strecke. "Und das hat System", sagt Felber.

Angst, dass der andere geht, kann in einer Beziehung zu destruktivem Verhalten führen.

Angst, dass der andere geht, kann in einer Beziehung zu destruktivem Verhalten führen. © Christin Klose/dpa-tmn

Betroffene berichten, dass sie durch die ständigen Vorwürfe, Anklagen und Entwertungen immer mehr verunsichert werden. "Irgendwann denken sie: Ich mache ja wirklich alles falsch", sagt Wardetzki.

So entsteht ein Teufelskreis: Wegen des fehlenden Selbstvertrauens können sich Betroffene immer weniger von ihrem Partner abgrenzen.

"Halt, so geht es nicht mehr - das sagen sie erst, wenn es wirklich nicht mehr anders geht", weiß Wardetzki aus ihren Gesprächen. "Das kann Jahrzehnte dauern, vor allem, wenn Kinder da sind."

Für eine toxische Beziehung braucht es immer zwei Menschen. Eine Person, die dazu neigt, andere zu manipulieren. Und eine andere Person, die das zulässt. Diese ist genauso verantwortlich.

Annika Felber erklärt, was damit gemeint ist: Wer eine heile Kindheit mit stabilen Bindungen hatte, wird einen Menschen mit destruktiven Zügen schnell zum Teufel schicken. "Jeder kann in eine solche Dynamik geraten, aber nicht jeder bleibt da drin."

Anders ist das bei Personen, die in ihrer Beziehungsbiografie schon Geber-Nehmer-Rollen gewohnt sind. Sie springen eher darauf an.

Beispiel: Ein Elternteil war alkoholkrank oder psychisch erkrankt. Das Kind hat sich um ihn gekümmert, auch wenn es unter der Situation gelitten hat. "So ein Muster führt man später im Leben mit dem Partner weiter", sagt Felber. "Dabei nimmt man in Kauf, dass man schlecht behandelt wird, weil es als Kind genauso war."

Auch Bärbel Wardetzki kennt solche Fälle gut. "Viele betroffene Frauen kommen aus Familien, in denen sie bereits viel Entwertung erlebt haben." Die eigenen Bedürfnisse haben nie eine Rolle gespielt, das prägt. "Ich habe mal eine Frau gefragt: Was wollen Sie? Sie hat geantwortet: Ich verstehe die Frage nicht."

Anfällig für toxische Partner sind laut Felber alle Menschen mit unsicheren Bindungsmustern. Deshalb sei eine toxische Beziehung immer auch die Chance, etwas über sich zu lernen. "Ich leite tatsächlich viele Klienten an die Psychotherapie weiter, spätestens wenn klar ist, dass ein Trauma dahinter steckt. Das ist sehr oft der Fall."

Das setzt voraus, dass beide ein aufrichtiges Interesse daran haben, ihr Verhalten zu ändern - es ist also möglich.

Gerade in einer asymmetrischen Partnerschaft, in der die eine Person die andere zunehmend kontrolliert, ist das aber oft nicht der Fall.

"Der toxische Part übt systematisch und absichtlich Gewalt aus. Warum sollte der das ändern? Er wird höchstens so tun, als ob - um die Beziehung am Laufen zu halten", sagt Felber. "Er wird hundert Mal sagen: Ich will mich ändern. Aber er tut es eben nicht."

Tipp: Versuchen Sie nicht, die Erklärungen des Partners zu verstehen und ihn zu ändern, empfiehlt die Beziehungsberaterin. "Am Ende ist es egal, was der andere genau hat, ob er Narzisst ist oder Psychopath. Diese Person tut mir nicht gut - und deshalb darf ich auch gehen."

Bärbel Wardetzki ist der Auffassung: Wenn das Paar das Ruder noch einmal herumreißen will, müssen sich beide auf den Weg machen. Im Grunde bräuchten beide einen eigenen therapeutischen Prozess, der sich mit der jeweiligen Bindungsbiografie beschäftigt.

Dabei muss man allerdings nicht die gesamte Kindheit und das Verhältnis zu den Eltern komplett aufarbeiten. "Es geht eher darum, eigene Beziehungsmuster zu erkennen", sagt Wardetzki.

Dann steht die Frage im Raum: Wofür brauche ich dieses Muster?

"Dafür brauche ich nicht mehr Mama und Papa. Da bin ich bei mir", sagt die Expertin. Das sei die eigentliche Arbeit. Am Schluss muss sich das Paar fragen: Wie wollen wir miteinander umgehen?

Das hängt von zwei Fragen ab:

  1. Wollen beide etwas ändern?
  2. Sind beide auch dazu in der Lage, etwas zu ändern?

In einseitig toxischen Beziehungen ist die Sache in der Regel klar: Der destruktive Part will sein Verhalten nicht ändern. Spätestens wenn körperliche Gewalt im Spiel ist, muss Schluss sein.

Nicht auf Augenhöhe: Kontrolle und Eifersucht können dafür sorgen, dass einer sich dem anderen unterordnet.

Nicht auf Augenhöhe: Kontrolle und Eifersucht können dafür sorgen, dass einer sich dem anderen unterordnet. © Christin Klose/dpa-tmn

In gewaltfreien toxischen Beziehungen mit Geber-Nehmer-Dynamik sei das nicht ganz so einfach, sagt Felber. "Man sollte nicht per se sagen: Ihr habt eine ungute Dynamik, ihr solltet euch trennen. Wenn beide ihre eigene Geschichte aufarbeiten, kann es klappen."

Gibt es hier jedoch keinen echten Veränderungswillen beim anderen, wird es für die Beziehung schwierig. Viele unzufriedene Partner kommen in Felbers Beratung und wollen ganz viel an sich arbeiten. "Aber das nützt ja nichts, wenn der andere das nicht tut."

Was ist mit Grenzfällen, in denen psychischer Druck ausgeübt wird?

Beispiel: Man hat einen extrem eifersüchtigen Partner, der sagt: "Ich will nicht, dass du heute Abend mit der Kollegin auf die Betriebsfeier gehst." Ist das schon psychische Gewalt?

"Das kommt darauf an", sagt Felber. "Die Frage ist, ob so etwas regelmäßig vorkommt und ob ein System dahinter steckt. Jemand kann ja auch einfach sehr misstrauisch sein, weil er in seiner vorherigen Beziehung betrogen wurde." Hier gibt es also eine klare Ursache.

"In diesem Fall kann man sicher daran arbeiten. Wenn aber weitere Dinge dazukommen, wird es schon schwierig", findet Felber. Wer sich unsicher ist, sollte sich Rat von außen holen.

Die Folge können körperliche und psychische Erkrankungen sein: innere Lähmung, Stillstand, Depression, Arbeitsunfähigkeit.

"Das ist leider keine Seltenheit", sagt Felber.

Irgendwann kommt es zur völligen Selbstaufgabe. "Am Ende lebt die oder der Betroffene nur noch für und in dieser Bindung. Man hat keine Arbeit mehr, keine Freude", schildert die Expertin.

Die Beziehung sei an diesem Punkt mit einer Drogensucht zu vergleichen: "So, wie es irgendwann nur noch die Droge gibt, gibt es irgendwann nur noch den Partner", so Felber.

Für Außenstehende mag es unverständlich sein, warum Menschen so lange in toxischen Beziehungen bleiben. Es ist aber leicht zu erklären:

"Jemand, der schwierige Bindungen in der Kindheit erlebt hat, wird maximal getriggert, wenn er gehen muss. Viele Betroffene haben eine wahnsinnige Angst davor, sich zu trennen", sagt Felber.

Deshalb brauchen diese Menschen viel Hilfe und Unterstützung, um aus der Beziehung herauszukommen. Das können gute Freundinnen, Coaches, Beratungen, Selbsthilfegruppen und Therapeutinnen sein.

Bärbel Wardetzki erzählt von einer Frau, die ihr erklärt hat: "Ich bin so froh, dass ich endlich mal einen Platz habe." Sie kam aus ungeordneten Verhältnissen und hatte Angst, wieder auf der Straße zu landen. "Diese Frau braucht also eine Wohnung und eine Arbeit, um überhaupt ein neues Leben anfangen zu können", sagt Wardetzki.

Für die Trennung selbst geben die Expertinnen folgende Tipps:

  • Vorbereitet sein: "Man sollte sich systematisch auf die Trennung vorbereiten und nicht aus einem Impuls oder Streit heraus handeln", rät Felber. Sonst hat es der manipulative Charakter leicht, Empathie für sich zu wecken und die Helfer-Rolle beim anderen zu aktivieren.
  • Ein neutraler Ort: Felber rät, das finale Gespräch nicht in der gemeinsamen Wohnung zu führen, sondern etwa auf einem Spaziergang. Und danach jemanden zu haben, den man direkt anrufen kann oder zu dem man gehen kann. "Damit man auch dabei bleibt."
  • Geschützt sein: "Wenn Sie Angst vor dem Partner haben, ist es wichtig, sich für den Auszug Hilfe von anderen Menschen zu holen, also von Freundinnen und Freunden", rät Wardetzki. So ist man geschützt, falls der Partner aggressiv wird.
  • Kontakt abbrechen: Manchmal ist es nötig, alle Kommunikationsmöglichkeiten zu kappen. "Manche ziehen auch weg, wenn sie Angst haben, gestalkt zu werden", sagt Wardetzki. Das seien aber seltene Fälle. "Es gibt viel mehr Beispiele, wo die Frau geht und der Mann sich fair verhält, gerade wenn Kinder im Spiel sind."

Die Aufarbeitung der Beziehung und der eigenen Bindungsmuster ist zentral. Eventuell empfiehlt sich dafür professionelle Hilfe.

"Ohne eine Psychotherapie gehen leider sehr viele wieder zu ihrem toxischen Partner zurück", berichtet Felber. Oder sie suchen sich einen neuen Partner, der das gleiche Muster an den Tag legt.

Allerdings braucht längst nicht jeder therapeutische Hilfe. Ganz wichtig sind gute Freundinnen und Freunde. "Ihre Rolle ist größer, als viele vielleicht meinen", sagt Felber. "Für viele Betroffene ist es ganz schwierig, über ihre Lage zu reden."

Ist es heilsam, erst einmal eine Zeitlang Single zu bleiben?

So pauschal würde Felber das nicht sagen. Aber: "Je tiefgreifender das eigene Problem ist, umso sinnvoller kann es sein, sich erst einmal mit sich selbst zu beschäftigen."