Übersicht

Von Masern bis Rotavirus: So schützen Sie Ihre Kleinen vor Kinderkrankheiten

26.7.2023, 15:55 Uhr
Nicht nur ein untrainiertes Immunsystem macht Kinder anfällig für Infektionen, denn Kinder fassen alles an, küssen sich und nehmen Dinge in den Mund.

© Christin Klose/dpa-tmn Nicht nur ein untrainiertes Immunsystem macht Kinder anfällig für Infektionen, denn Kinder fassen alles an, küssen sich und nehmen Dinge in den Mund.

In diesem Artikel:

Kinder werden in eine Welt voller Keime hineingeboren, die ihr Immunsystem noch nicht kennt. Gerade Krippen und Kindergärten sind Brutstätten für Viren und Bakterien aller Art. Das ist ein Grund, warum die Kleinen im Herbst und Winter gefühlt permanent eine Schniefnase haben.

Schlimm ist das nicht, im Gegenteil. "Krankheiten im Kindesalter sind durchaus für etwas gut", sagt der Mediziner Burkhard Rodeck. Die körpereigene Abwehr wird dadurch erst aufgebaut und lernt dazu - man baut Immunität auf.

Also alles einfach laufen lassen? Nein. So einfach ist es nicht. Klar, einen leichten Virusinfekt mit Husten und Schnupfen stecken die Kleinen gut weg. Doch es gibt Kinderkrankheiten, die nicht ohne Grund gefürchtet werden. Manchmal deshalb, weil sie weniger für die Kinder, sondern mehr für die Erwachsenen im Umfeld gefährlich werden können. Gegen viele gibt es Impfungen - dazu gleich mehr.

Rodeck erklärt es so: "Den ersten Kontakt mit dem Erreger hat man eben meist als Kind. Nach einer Infektion ist man in vielen Fällen ein Leben lang immun. Die Erkrankung kommt dann bei Erwachsenen kaum vor." Der Mediziner ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin.

Krankheitserreger werden in den meisten Fällen durch Tröpfchen- oder Schmierinfektionen übertragen.

Krankheitserreger werden in den meisten Fällen durch Tröpfchen- oder Schmierinfektionen übertragen. © Uli Deck/dpa/dpa-tmn

Prof. Reinhard Berner vom Uniklinikum Dresden ist auf Infektionskrankheiten im Kindesalter spezialisiert. Ihm zufolge gehen die ganz klassischen Kinderkrankheiten mit Hautausschlag einher:

  • Masern
  • Scharlach
  • Röteln
  • Ringelröteln
  • Drei-Tage-Fieber
  • Mumps
  • Windpocken

Diese Krankheiten haben noch zwei Gemeinsamkeiten:

  1. Sie werden wegen des Ausschlags oft klar diagnostiziert.
  2. Sie hinterlassen - vom Scharlach abgesehen - in der Regel eine dauerhafte Immunität.

Und dann gibt es noch Erkrankungen, die wegen der im frühen Lebensalter empfohlenen Impfungen vor allem mit Kindern in Verbindung gebracht werden - aber keine klassischen Kinderkrankheiten sind:

  • Diphtherie
  • Tetanus
  • Polio (Kinderlähmung)
  • Keuchhusten

Diese Krankheiten erzeugen keinen Hautausschlag, hinterlassen in der Regel keine dauerhafte Immunität und können Menschen jeden Alters treffen.

Zwei andere Krankheiten treffen überwiegend kleine Kinder:

  • Rotaviren
  • RSV

Doch man kann sie Berner zufolge auch später noch bekommen, weil die Immunität nicht dauerhaft ist.

Gut zu wissen: Würde man sie dazu zählen, könnte man genauso Grippe, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Schnupfen oder von Noroviren ausgelöste Magen-Darm-Krankheiten in die Liste der Kinderkrankheiten aufnehmen. Auch sie betreffen besonders kleine Kinder mit fehlender Immunität. Sie hinterlassen aber keine vollständige Immunität.

Eines ist klar: Mindestens unangenehm sind alle diese Krankheiten. Die gute Nachricht: Man kann ihnen vorbeugen.

Kinder fassen alles an, knutschen sich ab, nehmen Sachen in den Mund. Es ist deshalb nicht allein ihr noch untrainiertes Immunsystem, das sie anfällig für Ansteckungen macht. Die oben aufgezählten Krankheiten werden in aller Regel entweder durch Tröpfchen- oder Schmierinfektionen übertragen. Windpocken oder Masern beispielsweise sind sehr ansteckend, gleiches gilt etwa auch für Rotaviren. "Viele der Erreger sind auch umweltresistent und überleben lange an Oberflächen wie zum Beispiel Türklinken", sagt Kinder- und Jugendarzt Rodeck.

Vorbeugend helfen folglich grundsätzliche Hygieneregeln:

  • regelmäßiges Händewaschen, insbesondere nach dem Toilettengang
  • sich mit ungewaschenen Händen nicht ins Gesicht fassen

Bei Kindern ist das natürlich einfacher gesagt als getan.

Kinder müssen lernen, wie sie sich gründlich waschen. So können sie selbst das Infektionsrisiko senken.

Kinder müssen lernen, wie sie sich gründlich waschen. So können sie selbst das Infektionsrisiko senken. © Bodo Marks/dpa-tmn

Außerdem gilt: Ist ein Kind erkrankt, sollte man es nicht in die Schule oder in den Kindergarten schicken. Nicht nur wird das Kind zu Hause und in Ruhe schneller gesund. Man schützt damit auch andere vor einer möglichen Ansteckung.

Diphtherie, Polio, Mumps, Masern, Röteln und Co.: Im Laufe der ersten beiden Lebensjahre empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert Koch-Instituts (RKI) eine Reihe von Impfungen. Diese finden Eltern im Impfkalender des RKI, den es online gibt.

Aus Sicht von Reinhard Berner kann man dem Impfkalender der Stiko guten Gewissens folgen: "Die Kommission ist verpflichtet, wirklich alle verfügbaren Daten zu prüfen und zu entscheiden, ob sie für eine Empfehlung ausreichend sind, sodass ich vollkommen hinter der Stiko und ihren Empfehlungen stehen kann."

Impfungen schützen andere Menschen

Manchmal geht es bei Impfungen in erster Linie um den Schutz anderer Personen. Röteln etwa sind Berner zufolge für Kinder in der Regel kein Problem. Erkrankt aber eine nicht geimpfte Schwangere, besteht ein vergleichsweise großes Risiko für das ungeborene Kind. Keuchhusten kann vor allem bei Säuglingen schwere Verläufe bis zum Atemstillstand nehmen. Wie bei der Grippe ist es hier sinnvoll, dass sich die Mutter im letzten Drittel der Schwangerschaft impfen lässt.

Generell lässt sich sagen, dass viele der vermeintlichen Kinderkrankheiten bei Erwachsenen heftiger verlaufen können. Ein Beispiel sind die Windpocken. Die gute Nachricht: Wer gegen Windpocken zweimal geimpft wurde (Grundimmunisierung), muss nicht mehr an Auffrischungen denken. Auch bei Masern, Mumps und Röteln ist man nach zwei Spritzen durch.

Anders bei Diphtherie und Keuchhusten: Hier sieht der Impfkalender mehrere Auffrischungen unter anderem im Jugendalter vor.

Neue Ausbrüche verhindern

Einige der Krankheiten im Impfkalender kommen zwar nur noch äußerst selten vor, wie Polio oder die Diphtherie. Sie haben durch Impfungen ihren Schrecken verloren. Wir sehen sie nicht mehr. Doch die Impfungen sind deshalb keineswegs verzichtbar.

"Die einzige Erkrankung, die wirklich ausgerottet worden ist durch die Impfung, sind die Pocken", sagt Reinhard Berner. "Bei allen anderen Erkrankungen muss man immer die Sorge haben, dass sie wiederkommen können." Das zeigt etwa das Beispiel einzelner Polio-Fälle in New York im Sommer 2022.

Ähnlich argumentiert Burkhard Rodeck. "Krankheiten wie zum Beispiel die Diphtherie sind durch die breite Impfquote zurückgedrängt", sagt er. Kämen sie zurück, seien sie hochgefährlich.

Ein anderes Beispiel für eine seltene, aber gefährliche Infektionskrankheit sind die Masern. 2015 zum Beispiel gab es in Berlin einen größeren Ausbruch. Viele Kinder machen das zwar ohne Probleme durch, sagt Rodeck. Es können grippeähnliche Symptome auftreten: Fieberschübe, Husten, Schnupfen. Nach Tagen folgt der typische rötliche Hautausschlag. Selten kommt es aber auch zu schweren Komplikationen. Gefürchtet ist eine Gehirnentzündung in Folge der Masern, die tödlich enden oder bleibende Schäden hinterlassen kann.

"Warum sollte man da nicht lieber eine gut verträgliche Impfung vorziehen?", fragt Rodeck. Zwar sei keine Impfung zu 100 Prozent wirksam. Doch im Allgemeinen sei der Schutz sehr zuverlässig. Und der Impfstoff verhindert einen Großteil der Erkrankungen.

Fazit: "Jede Erkrankung, die durch eine Impfung zu verhindern ist, sollte man auch verhindern - und Impfungen haben nur wenige Nebenwirkungen", sagt Rodeck.

In dem empfehlenswerten und kostenlosen "Impfbuch für alle", herausgegeben vom RKI und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), findet sich zu Masern eine Beispielrechnung: Demnach haben etwa 2 von 100 000 Personen schwere Nebenwirkungen in Folge der Impfung - ein Risiko von 0,002 Prozent.

Das Todesrisiko, wenn man sich nicht impfen lässt, ist ebenfalls statistisch gesichert: Etwa einer von 1000 Erkrankten stirbt an Masern, was einem Anteil von 0,1 Prozent entspricht. Und 3000 - also 3 Prozent - bekommen eine Lungenentzündung in Folge der Infektion.

Fazit: Das Risiko, an einer Masern-Infektion zu sterben oder schwer zu erkranken, ist um ein Vielfaches größer als eine Impfnebenwirkung.

Gerade bei Kleinkindern können Masern zu schweren Komplikationen führen.

Gerade bei Kleinkindern können Masern zu schweren Komplikationen führen. © Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa-tmn

Gut zu wissen: Die Masern sind die einzige Erkrankung, für die es in Deutschland eine Impfpflicht für bestimmte Personengruppen gibt.

Dazu zählen alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, die einen Kindergarten oder später die Schule besuchen wollen. Andernfalls drohen Geldbußen bis zu 2500 Euro. Nicht-geimpfte Kinder können auch vom Kindergartenbesuch ausgeschlossen werden.

Nach Ansicht von Mediziner Reinhard Berner wäre das im Einzelfall theoretisch die Impfung gegen Rotaviren. Grundsätzlich sei die Impfung sicherlich sinnvoll mit Blick auf die Gesamtgesellschaft, aber auch individuell. Sie verhindert:

  • viele Durchfallerkrankungen
  • Krankenhausaufenthalte
  • Fehlzeiten der Kinder in Kindergarten oder Schule
  • Fehlzeiten der Eltern bei der Arbeit

Aber: "Weil die Rotaviren-Infektion zumindest in Deutschland nicht lebensbedrohlich ist, kann man sich für das individuelle Kind auch dagegen entscheiden, ohne dass man damit einen großen Fehler machen würde", argumentiert Berner.

Laut Berner ist das bei der Impfung gegen Meningokokken der Fall. Die Bakterien können schwere Hirnhautentzündungen und neurologische Schäden anrichten. Weil noch nicht genügend Daten vorhanden sind, wird die Impfung noch nicht generell empfohlen, so der Fachmann. "Hier würde ich mein Kind dennoch impfen lassen und es auch allen Eltern empfehlen", lautet sein Ratschlag.

Manchmal sind wir vergesslich. Plötzlich stellen wir fest, dass der Abstand zwischen zwei angedachten Impfungen zu groß geworden ist. Rodeck rät, in diesem Fall in der Praxis zu fragen und das Problem zu schildern. Die Ärztin oder der Arzt kann entscheiden, ob der Abstand noch genügt oder eine neue Grundimmunisierung angeraten ist.

Dank Kombinationsimpfstoffen sind die Impftermine für viele übersichtlicher geworden. Zwei Beispiele:

  • Es gibt einen Sechsfach-Impfstoff gegen Diphtherie, Tetanus, Polio, Keuchhusten, Hib-Viren und Hepatitis B (alternativ auch als Vierfach-Impfstoff ohne die beiden letztgenannten).
  • Es gibt einen Vierfach-Impfstoff gegen Mumps, Masern, Röteln und Windpocken.
Kombinationsimpfstoffe können die Anzahl der Injektionen deutlich reduzieren und damit die Umsetzung von Impfempfehlungen erleichtern.

Kombinationsimpfstoffe können die Anzahl der Injektionen deutlich reduzieren und damit die Umsetzung von Impfempfehlungen erleichtern. © Christin Klose/dpa-tmn

Aus Sicht von Rodeck haben die Kombinationswirkstoffe nur Vorteile, weil sich mit einem Piks bis zu sechs Erkrankungen abdecken lassen.

Das Immunsystem wird durch die Impfung aktiviert - und es reagiert. Das macht sich oft in Impfreaktionen bemerkbar.

Die Bandbreite reicht von Rötungen an der Einstichstelle über Durst und Abgeschlagenheit bis hin zu Unwohlsein und Fieber.

  • Totimpfstoffe (etwa gegen Tetanus, Polio, Diphterie und Keuchhusten) verursachen in der Regel keine schwerwiegenden Nebenwirkungen, abgesehen von leichten Fieberreaktionen oder Schwellungen, sagt Rodeck.
  • Lebendimpfstoffe, wie sie zum Beispiel gegen die Masern eingesetzt werden, ziehen minimale Infektionen nach sich, wie der Experte erklärt. "Selten kann es da zu heftigeren Fieberreaktionen und im schlimmsten Fall zu einem Fieberkrampf kommen."

Spätestens zwei bis drei Tage nach dem Stich verschwinden Impfreaktionen meist, heißt es im "Impfbuch für alle". Das Immunsystem müsse sich nicht permanent am Impfstoff abarbeiten. Es habe sozusagen seine Lektion gelernt.

In Watte packen kann und soll man seine Kinder nicht. Ist da nicht der Gedanke naheliegend, dass sich das Immunsystem der Kleinen quasi von selbst trainiert - durch Kontakt mit Erregern, ohne Impfungen? Vorsicht, hier muss man ganz klar unterscheiden:

  • "Virus-Infektionen der Atemwege gehören zur normalen Reifung des Immunsystems, und man muss sie immer wieder durchmachen, um eine stabile Immunität zu erreichen", sagt Reinhard Berner. Diese Infekte sind in den allermeisten Fällen also relativ harmlos.
  • Erkrankungen, für die es eine Impfung gibt, können dagegen sehr gefährlich werden. Hier sei der Schutz vor der Erkrankung wichtig, so Berner. Und natürlich trainierten auch Impfungen das Immunsystem.