Preiserhöhungen und horrende Abschläge

Abzocke bei Strom und Gas: So können sich Verbraucher wehren

Erik Stecher

Redaktion Politik und Wirtschaft

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8.5.2022, 05:55 Uhr
Beim Blick auf die Energiekosten wird es manchen Kunden schwindelig: Bei der Verbraucherzentrale Bayern häufen sich die Beschwerden über dubiose Methoden.

© imago images/imagebroker, NN Beim Blick auf die Energiekosten wird es manchen Kunden schwindelig: Bei der Verbraucherzentrale Bayern häufen sich die Beschwerden über dubiose Methoden.

Plötzlich steigt die Gasrechnung astronomisch: Den Wechsel vom Nürnberger Versorger N-Ergie zum Anbieter Primastrom hat ein Leser unserer Zeitung bitter bereut. Er wendet sich mit beeindruckenden Zahlen an die Redaktion: Für den Monat April sollte er über 600 Euro zahlen, bei der N-Ergie zahlte er zuvor nur 31 Euro Abschlag pro Monat. Laut Verbraucherzentrale Bayern häufen sich Fälle dieser Art.

Schon seit längerem gibt es Beschwerden über die Marken Primastrom und Voxenergie, die zur Berliner Primaholding GmbH gehören. In den vergangenen Wochen und Monaten steigt die Zahl der empörten Kunden aber dramatisch an, sie melden neben abenteuerlichen Abschlägen auch massive Preiserhöhungen und untergeschobene Verträge. "Allein bei den Verbraucherzentralen dürfte die Zahl der gemeldeten Fälle bei mehreren Tausend liegen", berichtet Energierechtsexpertin Marion Gaksch.

Viele Strom- und Gaskunden hatten gar nicht vor, ihren bewährten Anbieter zu verlassen – doch dann werden sie über einen angeblich abgeschlossenen Vertrag mit Primastrom oder Voxenergie informiert. In solchen Fällen sollte man sofort widersprechen und einen Nachweis über den Vertragsabschluss einfordern. Zudem sollte der bisherige Vertragspartner informiert werden, dass man gar nicht wechseln, sondern bei ihm bleiben wollte. Was viele Kunden nicht wissen: Seit Ende Juli 2021 sind Vertragsabschlüsse am Telefon nicht wirksam, es muss zusätzlich noch ein schriftlicher Energieliefervertrag geschlossen werden.

Preiserhöhungen müssen angekündigt werden

Doch auch wer freiwillig zu einem fragwürdigen Anbieter gewechselt ist, muss sich nicht alles gefallen lassen. Das gilt insbesondere für die häufig gemeldeten Fälle von horrenden monatlichen Abschlagszahlungen sowie starken Erhöhungen des vereinbarten Verbrauchspreises trotz Preisgarantie. So ist eine Erhöhung der Abschläge während der laufenden Abrechnungsperiode nur mit einer Zustimmung des Kunden erlaubt.

Eine Preiserhöhung muss mindestens sechs Wochen vorher angekündigt werden. Daran ändert auch die aktuelle energiepolitische Situation seit Beginn des Krieges in der Ukraine nichts. Die Verbraucherzentrale rät, bei unzulässigen Preiserhöhungen nicht zu bezahlen. Und auch zulässige Schritte des Anbieters müssen nicht einfach hingenommen werden: Bei Vertrags- oder Preisänderungen haben die Kunden grundsätzlich ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht.

Die Kunden haben also das Recht, sich einen neuen Versorger zu suchen. Und wenn das nicht auf die Schnelle klappt, besteht dennoch kein Anlass zur Sorge: In solchen Fällen springen automatisch die Grundversorger ein, ohne dass man sich extra darum kümmern muss. Meist sind das die lokalen Stadtwerke. In der Metropolregion Nürnberg kommt die Grundversorgung zum Beispiel von der N-Ergie, der Infra Fürth oder den Erlanger Stadtwerken.

Vom Lieferstopp überrascht

Dort hat man gerade in den vergangenen Monaten schon viele Verbraucher aufgefangen, insbesondere in der Zeit um den Jahreswechsel: Da hatten rund 40 Billig-Anbieter von Strom und Gas wie Stromio oder Gas.de kurzfristig Verträge gekündigt. Es handelte sich meist um Energie-Discounter mit besonders niedrigen Tarifen, die selbst keine Energie produzieren, sondern nur damit handeln – und sich offenbar vor den schnell steigenden Marktpreisen schützen wollten. Allein im Netzgebiet der N-Ergie wurden über zehntausend Verbraucher vom Lieferstopp bei Stromio überrascht.

Der Nürnberger Grundversorger nahm ebenso wie die Fürther Infra und die Erlanger Stadtwerke den Auftrag zur Daseinsvorsorge wahr, ohne Tariferhöhung – während rund 300 andere Versorger ihre Preise für neue oder zurückkehrende Kunden in dieser Zeit erhöhten. Die drei großen regionalen Energieanbieter werden auf Nachfrage der Redaktion weiterhin bei ihrem Grundversorgungstarif bleiben und sind für neue Wellen gerüstet.

"Zurzeit gibt es allgemein viele Wechselbewegungen", sagt ein Sprecher der Erlanger Stadtwerke. Wegen der aktuellen Energiekrise ist der Markt in großer Unruhe, zudem häufen sich dubiose bis rechtswidrige Vorgänge bei verschiedenen Anbietern – wie eben bei der Primaholding GmbH. "Diesen Namen hören wir schon seit einigen Jahren von Kunden, die wegen dessen wenig kundenorientierten Geschäftspraktiken zu uns wechseln", so der Sprecher, "und in letzter Zeit nimmt das zu".

Immer mehr Probleme kommen zusammen

Die Verbraucherzentrale Bayern verzeichnet nicht nur einen Anstieg der Beschwerden über bestimmte Energieversorger, sondern auch das immer häufigere Zusammentreffen verschiedener Probleme pro Anbieter. Das beginnt bei unerlaubten Werbeanrufen und Auftragsbestätigungen, die von telefonischen Zusagen abweichen, geht über anlasslose Erhöhung von Abschlägen und erheblichen Preiserhöhungen trotz Preisgarantie bis hin zum Ignorieren von vorliegenden Ablesewerten – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Informationen über Kundenrechte und Musterbriefe zu Vertragswechseln und Schadensersatzansprüchen bietet die gemeinsame Internetseite der deutschen Verbraucherzentralen. Marion Gaksch rät zudem, unzulässige Praktiken von Energieversorgern bei der Polizei zu melden. Und gerne auch bei der Bundesnetzagentur.

Die Verbraucherzentrale fordert von der zuständigen Aufsichtsbehörde, schnell einzugreifen. Auf Nachfrage der Redaktion hält man sich dort bedeckt: Zu einzelnen Unternehmen könne die Bundesnetzagentur keine Auskünfte erteilen. Die von den Verbraucherverbänden gemeldeten Praktiken werden aber derzeit geprüft.

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