Arcandor: Beschäftigte zwischen Wut und Verständnis
05.11.2008, 00:00 Uhr
Wie berichtet, hat der erneut in Schieflage geratene Handelskonzern auf Druck der Banken von den Mitarbeitern der Versandsparte Primondo und bei Karstadt unter dem Stichwort «Zukunftspakt« für drei Jahre jährliche Einsparungen in Höhe von 115 Mio. € gefordert. Andernfalls hätten die Banken keine neuen Kredite gegeben, was die Existenz des Unternehmens gefährdet hätte.
«Die Lage war sehr ernst, es ging um den Erhalt der Arbeitsplätze«, sagt Gewerkschaftssekretär Johann Rösch mit Blick auf die zurückliegenden zweiwöchigen Verhandlungen. Die Einsparungen werden unter anderem durch Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld erreicht. Sie betragen im Schnitt zwischen sieben und zehn Prozent, bei Führungskräften bis zu 30 Prozent. Insgesamt sind 30.000 Beschäftigte bei Karstadt und 10.000 Mitarbeiter bei Primondo betroffen. Die Detailregelungen sind kompliziert und praktisch für jeden Konzernteil unterschiedlich.
Unter dem Strich als Erfolg wertet es der Gewerkschafter, dass sich der Konzern im Gegenzug zu den Zugeständnissen der Arbeitnehmer bereiterklärt hat, bei den bei Primondo vor knapp drei Jahren ausgegliederten Versandtöchtern zu einer Tarifbindung zurückzukehren. Dies reiche je nach Gesellschaft von der Anlehnung an Tariferhöhungen mit eigenen Haustarifen bis hin zur kompletten Rückkehr in den Flächentarifvertrag für den Einzelhandel. Zudem gebe es eine Beschäftigungssicherung mit hohen Hürden für die Arbeitgeberseite, Stellen abzubauen. Bei Filialschließungen bei Karstadt muss eine tarifliche Schiedsstelle eingeschaltet werden.
Für Roland Speer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der zu diesen ausgegliederten Gesellschaften gehörenden Quelle Logistik GmbH mit knapp 1500 Mitarbeitern, ist der sogenannte Zukunftspakt zunächst einmal Anlass «zum Aufatmen«. Grund: Die Beschäftigten seines Bereichs sind entgegen den ursprünglichen Befürchtungen mit Ausnahme der Führungskräfte vom aktuellen Sparpaket ausgenommen, denn sie hatten schon in der Vergangenheit gravierende Opfer in Form von Einkommens- und Freizeitverzicht geleistet.
Aber es gibt auch Ängste. Wie Speer hoffen die meisten Mitarbeiter bei Primondo und bei Karstadt darauf, dass das Weihnachtsgeschäft zumindest so gut läuft, dass die Ergebnisse des «Zukunftpaktes« nicht verpuffen. «Jetzt kommt es entscheidend darauf an, dass es gelingt, das Unternehmen auch wieder für die Kunden interessant zu machen, denn davon hängt unser aller Wohlergehen ab.« Gelinge es nicht, das Inlandsgeschäft anzukurbeln, dann «sitzen wir vielleicht in ein paar Wochen wieder zusammen und müssen über weitere Opfer sprechen«, sagt Speer.
Heidi Sohnle, Betriebsratschefin der Quelle Management Service GmbH, in der unter anderem das Personalwesen und das Controlling gebündelt sind, hört angesichts der generellen Flaute im Handel ebenfalls Skepsis aus der Reaktion der von ihr vertretenen rund 650 Kollegen und Kolleginnen. «Die meisten befürchten, dass der Zukunftspakt wenig Zukunft hat«, berichtet sie.
Wie den Beschäftigten der Quelle Management Service GmbH stoßen auch den Karstadt-Mitarbeitern die massiven Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld sauer auf. Aber Franz Knopp, Betriebsratsvorsitzender vom Nürnberger Karstadt-Haus an der Lorenzkirche, erkennt auch «Licht am Ende des Tunnels«. Natürlich täten die finanziellen Opfer weh, «aber mit den Vereinbarungen gibt es für den Konzern jetzt auch wieder eine Zukunftschance«.