Scharfe Kritik

Größter Anstieg seit Einführung: Krankenkassen erhöhen Beiträge - was Versicherte jetzt tun können

Stefan Besner

Online-Redaktion

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18.10.2024, 08:04 Uhr
Kassenbeitraege werden Anfang 2025 wohl deutlich steigen, insbesondere die Zusatzbeiträge. (Symbolbild)

© IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMO/IMAGO/Sven Simon Kassenbeitraege werden Anfang 2025 wohl deutlich steigen, insbesondere die Zusatzbeiträge. (Symbolbild)

Alles wird teurer - auch die Krankenkassenbeiträge. Das sorgt für Unmut. Verbände, Kassen und Opposition haben angesichts der prognostizierten deutlichen Erhöhung der Krankenkassenbeiträge im kommenden Jahr scharfe Kritik geübt. "Mit den anstehenden Beitragssatzerhöhungen wird die finanzielle Belastbarkeit der Versicherten und Arbeitgebenden zunehmend an ihre Grenzen gebracht", erklärte Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). "Vor diesem Hintergrund ist unerklärlich, dass die Gesundheitspolitik der sich immer schneller drehenden Beitragsspirale tatenlos zuschaut", fügte sie hinzu.

Ein Experte erklärt, was Versicherte jetzt tun können.

Experte sieht Verantwortung in der Politik

Gegenüber "Vifogra" erklärt Finanzxperte Ingo Schneider, Ansprechpartner für Absicherung und Vorsorge bei "Finanzexperten.de", dass es unter anderem aufgrund steigender Kosten und des demographischen Wandels nicht dazu kommen wird, "dass es ohne staatliche Hilfe zu einer Verbesserung kommt". Problematisch sieht Schneider, diese Kosten immer nur "auf den Bürger umzulegen, also ob das die Lösung sein wird, die die Menschen auf Dauer mitmachen."

Was Versicherte jetzt tun können

Eine Option ist für den Experten, dass manche Menschen sich in Zukunft über eine mögliche Privatversicherung Gedanken machen. Allerdings: "Jemand, der schon Vorerkrankungen hat, kommt gar nicht in private Krankenversicherung", betont Schneider. Zudem werde zwar viel darüber diskutiert, ob es vielleicht künftig bei den gesetzlichen Kassen auch Erstattungen oder Entlastungen gibt für Menschen, die Sport treiben und Vorsorgeuntersuchungen machen lassen. Reformen und Lösungen seien definitiv Thema der Politik.

Wer so lange nicht warten will, könne sich beispielsweise bei der Konkurrenz schlau machen - Preise vergleichen sei laut Schneider immer ein probates Mittel etwaige Beitragserhöhungen auszugleichen oder zumindest abzuschwächen. "Kassen versuchen natürlich, neue Mitglieder zu gewinnen und haben dadurch spezielle Bonusprogramme oder auch geringere Zusatzbeiträge, da lohnt sich ein Vergleich immer", so Schneider. Falls sich jemand die Krankenversicherung nicht mehr leisten kann, schaut er vorerst in die Röhre. Da in Deutschland Krankenversicherungspflicht herrscht, führt kein Weg daran vorbei, die gestiegenen Kosten müssen wohl oder übel getragen werden.

Lauterbach: "Teuerstes Gesundheitssystem in Europa"

Die prognostizierte deutliche Erhöhung der Krankenkassenbeiträge im kommenden Jahr ist auch nach Darstellung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach historisch. In der Regierungsbefragung des Bundestags begründete der SPD-Politiker die enorme Steigerung unter anderem mit der Inflation und höheren Löhnen. Zudem sei das Gesundheitssystem sehr ineffizient. "Unser Gesundheitssystem ist das teuerste Gesundheitssystem in Europa und kann ausweislich seiner Qualität nicht überzeugen." Man habe in den vergangenen Jahrzehnten Strukturreformen versäumt.

Maschinenbauer warnen vor Belastungen

Der Spitzenverband des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) forderte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dazu auf, der Empfehlung, die

Krankenkassenbeiträge zu erhöhen, nicht zu folgen. "Damit werden Betriebe und Beschäftigte weiter belastet", warnte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann und forderte: "Wenn die Einnahmen nicht ausreichen, muss sich etwas an den Ausgaben ändern."

Verbraucherschützer fordern nachhaltige Lösungen

Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, erklärte, es könne nicht sein, dass gesetzlich Versicherte die Zeche zahlen und erneut Beitragssteigerungen genutzt würden, um Defizite auszugleichen. "Diese Praxis muss beendet und gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen aus Steuermitteln finanziert werden." Vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hieß es, die Entwicklung sei auch Folge falscher politischer Entscheidungen. "Die Politik muss endlich strukturelle, nachhaltige Lösungen sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite finden", forderte Gesundheitsexperte Thomas Moormann vom vzbv.

Schätzer errechnen Beitragssteigerung um 0,8 Prozentpunkte

Der sogenannte Schätzerkreis - ein Gremium aus Fachleuten der Krankenkassen, des Bundesamts für Soziale Sicherung und des Gesundheitsministeriums - hatte mit Blick auf die Ausgaben und Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eine rechnerisch notwendige Anhebung des Zusatzbeitrags der Kassen im kommenden Jahr um 0,8 Punkte auf durchschnittlich 2,5 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens ermittelt. Bei dem Wert handelt es sich zunächst um eine theoretische Größe. Das Gesundheitsministerium gibt auf dieser Basis jährlich bis zum 1. November den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2025 bekannt. Wie sehr er dann aber wirklich steigt, entscheidet jede Krankenkasse für sich.

Lauterbach weist Vorwurf der Untätigkeit zurück

Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge warf Gesundheitsminister Lauterbach bei der Regierungsbefragung im Bundestag vor, wichtige Reformen anzukündigen und nichts passiere. Ähnliche Vorwürfe kamen aus der AfD von deren gesundheitspolitischem Sprecher Martin Sichert. Lauterbach wies das zurück. Aktuell seien sieben Gesetze im parlamentarischen Verfahren, unter anderem die Krankenhausreform, die an diesem Donnerstag beschlossen werden soll. Zudem seien 15 Gesetze schon beschlossen worden. "Mein Haus arbeitet unter Volllast", sagte der SPD-Politiker.