Hamsterkäufe zwingen fränkischen Handel zu Akkordarbeit
20.3.2020, 05:50 UhrDie Zeiten der Klopapier-Hamsterkäufe sind zumindest bei Edeka vorbei. "Es kommt schon vor, dass Kunden deshalb wütend sind und mit der Faust aufs Kassenband schlagen", sagt Eva-Maria Kutscher vom Markt in Nürnberg-Zerzabelshof. Aber nicht nur Klopapier, auch Reis, Nudeln, Milch und Konserven werden nur noch in kleineren Mengen abgegeben.
Die Stimmung sei angespannt, das Personal werde manchmal beschimpft. Nicht nur in diesem Markt ist das so: In diesen Tagen sind es die Verkäuferinnen und Verkäufer, die dem Ansturm verunsicherter Kunden und damit auch einem erhöhten Corona-Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Es gibt Maßnahmen, aber das Infektionsrisiko bleibt
Zwar gibt es längst aufgeklebte Linien am Boden, die Kunden auf Abstand halten sollen. Manche hielten sich dran, andere nicht, berichtet Kutscher. Einweghandschuhe und Desinfektionsmittel fürs Personal, das ist inzwischen weitgehend Standard. Doch nach wie vor wechselt Bargeld von Hand zu Hand, sitzen Kassiererinnen ungeschützt unzähligen Menschen direkt gegenüber.
Wie lange noch, kann auch Uwe Werner, Geschäftsführer des mittelfränkischen Handelsverbandes, nur mutmaßen. Es gebe hier und da schon Atemschutzmasken für die Mitarbeiterinnen, es stünden Schilder mit der Bitte, auf Distanz zu gehen. Erste Plexiglaswände würden eingebaut oder seien zumindest bestellt. Werner: "Hier greift die Sorgfaltspflicht der Ladenbetreiber."
Sonderschicht für Senioren?
Während österreichische Handelsketten die Stunde zwischen acht und neun Uhr für vom Virus besonders gefährdete ältere Menschen reserviert haben, glaubt der Handelsverbandssprecher nicht, dass dies eine Lösung wäre. "Eine gute Idee, aber schwer durchsetzbar." Eine Sonderschicht für Senioren kollidiere mit dem Datenschutz und dem Diskriminierungsverbot, so Uwe Werner.
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"Bleiben Sie achtsam, gesund und zuversichtlich" hat Anne Brendel vom Naturkostladen Lotos in der Nürnberger Innenstadt groß auf eine Tafel vor dem Laden geschrieben. Auch wenn das natürlich nicht gegen Viren hilft - "die meisten halten Abstand", sagt sie. Das Bargeld werde in einer Holzschale zwischen Kundschaft und Kassiererin hin- und hergeschoben. Allein auf Achtsamkeit will sie dann doch nicht setzen.
Großlager: Team macht jede Menge Überstunden
Eine Ansteckungsgefahr durch zu engen Kontakt mit den Kunden ist für Thomas Schmidt (Name geändert) zwar nicht das Problem. Dennoch herrscht bei dem 35-Jährigen und seinen Kollegen seit drei Wochen der Ausnahmezustand. Schmidt arbeitet in einem Großlager in der Region, das rund 800 Supermärkte in Mittelfranken und der Oberpfalz beliefert. Und seitdem die Menschen sich aus Angst vor Engpässen mit Lebensmittelvorräten eindecken, schiebt das 240-köpfige Team jede Menge Überstunden.
"Wir sind erschlagen worden von der Situation", sagt Schmidt. "Mittlerweile arbeiten wir in zwei Schichten an sechs Tagen." Deutlich mehr als an Weihnachten werde von den Geschäften geordert, um die leeren Regale wieder aufzufüllen. "Die Mengen sind ungefähr doppelt so groß wie sonst." Eine Situation, die aus Sicht des Gewerkschafters völlig unnötig ist. "Ware ist genug da, nur leider kommen wir einfach nicht hinterher." Wenn alle normal einkaufen würden, würde es für jeden reichen, wie Schmidt betont. "Wir haben alles hier."
Corona: "Die Kunden werden völlig kirre gemacht"
Doch statt dessen setzen die Hamsterkäufe eine ungute Entwicklung in Gang. "Wenn Sie in zehn verschiedenen Läden vergeblich nach drei Packungen Toilettenpapier gesucht haben, kaufen Sie beim nächsten Mal auch drei Stück auf einmal ein." Fast surreal mutet die Lage in den Augen des Betriebsrates an. "Es ist unfassbar, was bei uns für Mengen rausgehen."
Sicherheitspersonal vor den Filialen
Auf Dauer sei dieses Pensum nicht zu bewältigen. Die wenigen Mitarbeiter, die neu eingestellt werden konnten, müssten erst eingearbeitet werden. Man dürfe die Leute nicht verheizen, zumal davon auszugehen sei, dass der Zustand noch Wochen andauere.
Schmidt hofft deshalb, dass die Kunden in den Geschäften das Vertrauen in die Lieferketten zurückgewinnen und nicht "bei der nächsten Ansage wieder ausflippen". Rund 50 Stunden arbeitet das Team laut Schmidt derzeit pro Woche. "Wir verkraften zwar viel, aber irgendwann ist das Limit erreicht."
Längere Öffnungszeiten bis 22 Uhr und Sonntagsöffnungen lernt die Gewerkschaft ver.di deshalb auch ab. Dafür gebe es zu wenige Mitarbeiter, sagt Rita Wittmann, Bezirksgeschäftsführerin in Mittelfranken. "Seit Jahren fahren viele Betriebe mit einem Minimum an Personal, da kann man nicht die Öffnungszeiten verlängern, ohne zu klären, wie man das wuppen kann." Das Risiko, dass durch die andauernde Belastung viele Kollegen erkranken, sei zu groß. Laut ver.di sehen das auch viele Betriebe ähnlich. Wittmann: "Wir gehen davon aus, dass zahlreiche Geschäfte das nicht machen werden."
Ansonsten haben sich viele Märkte schon auf die neue Situation eingestellt. Zum Schutz der Mitarbeiter lassen etliche Geschäfte in Nürnberg und Ansbach nur noch eine begrenzte Zahl an Kunden auf einmal herein. Kontrolliert wird das von Sicherheitspersonal, so auch vor einem großen Markt im Nürnberger Osten.
In drei Tagen so viel, wie in der Woche vor Weihnachten
Susanne Schuster (Name geändert) hat hier mit ihren Kolleginnen binnen drei Tagen so viel verkauft wie sonst in der Woche vor Weihnachten. "Die Kunden standen von früh bis spät", sagt die 56-Jährige. "Nudeln, Reis, Konserven, Küchenrollen - alles war weg." Gemeinsam habe das Team jedoch die Herausforderung gut gestemmt, "auch das Unternehmen hat uns unterstützt". So gibt es jetzt zum Beispiel für die Mitarbeiter täglich eine kostenlose Mahlzeit, zum Schutz vor einer Ansteckung werden in den nächsten Tagen an den Kassen Plexiglasscheiben angebracht.
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Und auch die Reaktion der meisten Kunden gibt den Verkäuferinnen Kraft. "Wir haben fast ausschließlich positive Rückmeldungen bekommen", sagt Schuster, die seit 38 Jahren im Job ist. "Und eine Kundin hat uns sogar einen Strauß Rosen vorbei gebracht."