Hier kommt man hoch hinaus
15.09.2012, 00:00 UhrArbeiten an exponiert gelegenen oder schwierig zu erreichenden Bauwerken sind für Armin Ilgenfritz von Moscito Seiltechnik in Neusitz bei Rothenburg tägliche Routine. Der gelernte Werkzeugmacher und Zimmermann führt mit seinem Team, das aus zwei festen und gut zehn freien Mitarbeitern besteht, seit 1998 Reparaturen an Kirchtürmen durch, bessert Putz in großer Höhe aus, montiert Stahlbauten, kontrolliert Windkraftanlagen oder entbuscht Hänge. „Meine bisher höchsten Aufträge waren Arbeiten am Berliner Fernsehturm in 200 Meter Höhe und die Montage eines Blitzschutzes am Ulmer Münster“, sagt der Industriekletterer.
Als er vor knapp 15 Jahren mit seiner Tätigkeit begann, brauchte der Hobby-Höhlenforscher noch keine Ausbildung dafür. Doch das hat sich inzwischen geändert. Insgesamt drei Schulungen, die jeweils eine komplette Woche (40 Stunden) dauern, muss ein Industriekletterer durchlaufen.
In Level 1 und 2 (Grundkurs und Aufbaukurs Seilzugangs- und Positionierungstechnik) lernen die Auszubildenden den Umgang mit der Ausrüstung wie Abseil- oder Sicherungsgeräte, Materialkunde, Knotentechniken, Abseilen und Aufsteigen sowie Rettungsvarianten. „Jeder Kletterer muss seinen Kollegen retten können“, sagt Ilgenfritz, der die Schulungen heute selbst anbietet. Bei Level 3 geht es mehr um die theoretischen und rechtlichen Grundlagen wie Gefahren einschätzen, Baustellen planen, Rettungsplan erstellen oder Normen.
Gefragtes Zertifikat
Jedes Level schließt mit einer theoretischen und praktischen Prüfung beim Fisat, dem Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken, ab. Die Absolventen erhalten dafür ein Zeugnis. Nur damit kann man als Industriekletterer arbeiten: „Behörden und auch andere Auftraggeber fordern inzwischen diese Zertifikate ein“, weiß Ilgenfritz.
Für freie Mitarbeiter ist das Zertifikat Level 2 ein Muss, wer als Aufsichtsführender arbeiten will, muss die Prüfung für Level 3 nachweisen. Rund 900 bis 1200 € kostet der Lehrgang für jedes Level. Voraussetzung für die Teilnahme ist ein Alter von mindestens 18 Jahren, ein gültiger Erste-Hilfe-Ausweis und eine arbeitsmedizinische Untersuchung G41 (Vorsorgeuntersuchungen für Arbeiten mit Absturzgefahr und Baumarbeiten).
„Außerdem sollten die Teilnehmer eine abgeschlossene Ausbildung, bevorzugt in handwerklichen Berufen mitbringen“, sagt der Ausbilder. Und ein gutes Körpergefühl ist für den Beruf wichtig. Klettererfahrung ist nicht Voraussetzung, auch wenn viele Kursteilnehmer aus dem Klettersport kommen. „Für stark Übergewichtige ist der Beruf wenig geeignet“, sagt der Industriekletterer. „Schließlich hängt man permanent mit seinem Arbeitssitz am Seil, da braucht jedes Kilo mehr zusätzliche Anstrengung.“
Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Industriekletterern nimmt seit Jahren zu. Zum einen ist das starke Wachstum im Bereich Windenergie dafür verantwortlich, zum anderen eine neue technische Regel für Betriebssicherheit, die Arbeitsverfahren der Seilzugangs- und Positionierungstechnik (SZP) auf Gesetzesebene mit Sicherungsmaßnahmen wie Gerüsten oder Hebebühnen gleichstellt.
Weiter zum Höhenretter
In der Denkmalpflege, Fels- und Hangsicherung, der Baumpflege oder beim Reinigen von Glasfassaden finden Industriekletterer außerdem Arbeit. Wer sich weiter spezialisieren will, kann sich zum Höhenretter weiterbilden — diese Qualifikation ist teilweise auf Großbaustellen gefordert. Außerdem gibt es die Möglichkeit, sich in Lehrgängen zur Baumpflege oder sich für Seilbahnen auf den Transport von Lasten ausbilden zu lassen.
Übrigens: Industriekletterer messen sich auch sportlich: Der Fisat führt jedes Jahr eine offene Deutsche Meisterschaft im Industrieklettern, den Industriekletter-Cup, durch.
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