Lieferengpassbekämpfungsgesetz

Jetzt wird das nächste Medikament knapp – darum zeigt das neue Gesetz kaum Wirkung

Saskia Muhs

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6.12.2023, 12:35 Uhr
Iodhaltige Kontrastmittel können für Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion oder chronischen Erkrankungen wie Morbus Basedow schwere gesundheitliche Folgen haben. Ausgerechnet das Medikament, welches das verhindern kann, wird jetzt knapp, bzw. teuer. 

© Jens Büttner/dpa Iodhaltige Kontrastmittel können für Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion oder chronischen Erkrankungen wie Morbus Basedow schwere gesundheitliche Folgen haben. Ausgerechnet das Medikament, welches das verhindern kann, wird jetzt knapp, bzw. teuer. 

Nach einer Infektionswelle im vergangenen Herbst waren Engpässe bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften eskaliert. Probleme gab es auch bei Krebsmitteln und Antibiotika. Die Bundesregierung reagierte mit einem neuen Lieferengpassbekämpfungsgesetz, das im Juli verabschiedet wurde: Dieses macht unter anderem Vorräte von mehreren Monatsmengen für viel genutzte Arzneimittel zur Pflicht.

Wichtiges Medikament in der Radiologie und Endokrinologie

Preisregeln sollen gelockert werden, damit sich Lieferungen nach Deutschland für Hersteller mehr lohnen. Doch die erhoffte Wirkung des Gesetzes lässt zu wünschen übrig, denn jetzt wird das nächste Medikament knapp: Irenat-Tropfen (Natriumperchlorat 300 mg/ml), die Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion und bei Röntgen- bzw. CT-Untersuchungen mit jodhaltigem Kontrastmittel verschrieben werden, wird wohl innerhalb der nächsten Jahre nicht lieferbar sein. Zwischenzeitlich hieß es, das Medikament wird bis voraussichtlich 2028 nicht nachproduziert.

Iod kann bei Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion, zu Fehlfunktionen beziehungsweise zu einer Verschlimmerung des Krankheitsbildes (Schlafstörungen, Schwitzen, starker Unruhe, Herzrhythmusstörungen und Übelkeit) führen, weshalb die Iodzufuhr möglichst gedrosselt und vor allem kein zusätzliches Iod eingenommen werden sollte, erklärt das "Deutsche Schilddrüsenzentrum".

Um dies zu vermeiden, bekommen Risikopatienten vor und nach der Kontrastmittelgabe eine medikamentöse Prophylaxe mit Irenat-Tropfen, die Natrium-Perchlorat enthalten. "Der Wirkstoff blockiert die Aufnahme von Iod in die Schilddrüsenzellen für einen bestimmten Zeitraum und verhindert so die Überproduktion von Schilddrüsenhormonen" erklärt die "Pharmazeutische Zeitung", ein Fachmagazin der Deutschen Apotheker.

Der Hersteller dieses Medikaments "Alliance Pharma" aus Irland hatte im September erstmals angekündigt, ab Dezember 2023 keine Irenat-Tropfen mehr liefern zu können. Bis dahin reichen offenbar die Lagerbestände. Zwischenzeitlich war von einem Zeitraum von fünf Jahren, also bis 2028 die Rede - mittlerweile steht 2025 in den Lieferengpassmeldungen des Bundesministeriums für Gesundheit. Lieferengpass bedeutet nicht automatisch Versorgungsengpass, doch dass letzterer bei den Irenat-Tropfen tatsächlich eintritt, befürchtet der Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner (BDN). Laut BDN gebe es derzeit kein zugelassenes Ersatzmedikament. Zudem werde vor der Verwendung von Chemikalien aus dem Ausland statt zugelassener Medikamente ausdrücklich gewarnt.

Als Grund für den Lieferengpass nennt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wirtschaftliche Gründe. Hersteller "Alliance Pharma" steige aus der Produktion aus, weil es sich für das Unternehmen nicht rentiert. "Aktuell kann das Produkt zum gesetzlich festgelegten Herstellerabgabepreis von 7,23 Euro pro Packung nicht hergestellt werden", heißt es.

Der Ersatz ist kostspielig

Es sei zwar ein neuer Hersteller gefunden worden, ihm sei die Produktion zum vorgegebenen Preis jedoch ebenfalls nicht möglich. Auch mit Alliance Pharma sei das Bundesministerium für Gesundheit seit Juni 2023 im Gespräch, um doch noch eine wirtschaftliche Lösung zu finden, heißt es in dem Bericht der "Pharmazeutischen Zeitung". Ersatzhersteller ist die Firma "Dykerhoff Pharma GmbH & Co. KG" mit Sitz in Köln, heißt es auf der Website der "Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin".

Die Gründe dafür kennt Ulrike Holzgrabe. Sie ist Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie an der Uni Würzburg und erklärt auf "progenerika.de": "Wir haben 2009 ein Arzneimittelgesetz bekommen, in dem Festbeträge für die Kosten eines Generikums festgelegt worden sind. Diese Beträge sind seitdem nicht erhöht worden, obwohl die Produktionskosten immer mehr gestiegen sind." Dem Preiskampf sind schlichtweg viele Unternehmen nicht gewachsen, sodass wie im Fall von Irenat-Tropfen, nur wenige Hersteller übrig bleiben, die überhaupt noch günstig produzieren. Fallen diese weg, gibt es entweder gar keinen oder nur sehr teuren Ersatz.

Lieferengpassbekämpfungsgesetz kaum wirksam

Daran ändert leider auch das Lieferengpassbekämpfungsgesetz offenbar nur wenig: "Das aktuelle Gesetz habe nur einen sehr kleinen Bereich der Generika im Fokus. Für 98 Prozent gelten weiter Rabattverträge", erklärte Josip Mestrovic, Vorstand im Verband Pro-Generika laut "Bayerischem Rundfunk" vor wenigen Wochen. Doch welche Lösungen gibt es? Thomas Müller, Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) machte auf einer Podiumsdiskussion der "Deutschen Apothekerzeitung" deutlich, dass eine vollständige Rückverlagerung der Produktion von Antibiotika und anderer knapper Medikamente in die EU unrealistisch sei.

Stattdessen strebe man eine Rückführung von 50 Prozent der Generika-Produktion in den Raum der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums (EU, Norwegen, Island, Liechtenstein) an. Generika seien "machbar" und mit einfachen Mitteln herzustellen, so Müller. Problematisch sei insbesondere das starke Missverhältnis der Preise von generischen und Patent-Arzneimitteln. Letztere seien in den letzten Jahren stark im Preis gestiegen, während Generika zu Minimalpreisen vertrieben werden. Hier müsse eine angemessene Balance gefunden werden.

Deutschland müsste massiv investieren

Eine Rückholung mag kostspielig sein, ist aber durchaus machbar, wie unsere österreichischen Nachbarn zeigen: Der Pharmakonzern "Novartis" und ihre Generika-Division "Sandoz" haben bereits 2021 angekündigt, ihr Produktionsnetz zur Herstellung von Antibiotika in Europa in den nächsten drei bis fünf Jahren aufrüsten. Dafür wurden mehr als 100 Millionen Euro investiert, was die Produktion von Antibiotika langfristig abgesichert.

Wie das "Deutsche Ärzteblatt" berichtet, war das auch Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz im November 2023. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sehen einen "dringenden Handlungs­bedarf" hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Arzneimitteln. Auch in diesem Herbst und Winter drohten "erneute Lieferengpässe". Das gelte ins­be­sondere bei Kinderarzneimitteln. "Derzeit zählt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über 500 Lieferengpässe."

Ebenso sorge man sich, dass der deutsche Absatzmarkt für Arzneimittel "aufgrund der aktuellen Erstattungspreispolitik für Pharmaunternehmen nicht mehr attraktiv ist". Es habe eine zunehmende Produktions­verlagerung in Länder außerhalb der EU-Grenzen und eine Monopolisierung bei einzelnen Herstellern stattge­funden, heißt es im Beschluss. Deutschland und die EU hätten "kaum noch Einfluss auf Produktion und Liefer­ketten".

Die EU soll es richten

Man wolle, dass der Bund in der laufenden Novellierung des europäischen Pharmarechts sich dafür einsetzt, un­nö­tige bürokratische Hürden abzubauen, einen Ausgleich zwischen Arzneimittel- und Arzneimittelversor­gungs­­sicher­heit zu schaffen sowie durch sachgerechte europäische Rahmenbedingungen den Liefereng­pässen entge­genzutreten. Bis das soweit ist und Wirkung zeigt, wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern, sodass wir in Deutschland wohl auch im kommenden Winter Lieferengpässen ins Auge blicken müssen.

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