Leitungswasser trinken und das Klima retten?
16.8.2019, 05:56 UhrWenn es ums Wasser geht, wird Michael Bartholl, Chef der Frankenbrunnen Gruppe aus Bad Neustadt an der Aisch, auch mal emotional: Welche Tarantel da nun Svenja Schulze gestochen hat, das habe er sich gefragt, als er von deren Vorschlag hörte. Die Bundesumweltministerin hatte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa dazu aufgerufen, mehr Leitungswasser zu trinken. "Wer Leitungswasser trinkt, spart Geld, Energie und unnötige Verpackungen", sagte die SPD-Politikerin und verwies auf die "einwandfreie" Qualität des Wassers aus dem Hahn.
Leitungswasser contra Mineralwasser: Der Faktencheck
Was Schulze als Aufruf zu mehr Umwelt- und Klimaschutz deklariert, fällt für Bartholl allerdings unter die Rubrik "Verunsicherung der Verbraucher durch bewusste Desinformation". Denn für die Vermüllung unter anderem der Weltmeere seien viele verantwortlich, aber sicher nicht die Mineralbrunnenindustrie, meint der Getränke-Manager. Im Hause Frankenbrunnen jedenfalls habe die Mehrwertquote 90 Prozent erreicht. Und über die gesamte Branche hinweg liege die Recyclingquote bei Einwegflaschen bei 97,3 Prozent, so Bartholl.
Transport fällt weg
Und was die Qualität angeht, sieht Bartholl Mineralbrunnen klar im Vorteil. Denn Mineralwasser komme immer direkt aus Quellbrunnen und enthalte im Durchschnitt mehr Mineralien als Leitungswasser. Zwar habe das Leitungswasser in Bayern meist eine ganz ordentliche Güte, da die Anbieter hier auch vergleichsweise oft direkt auf Quellen zurückgriffen, gesteht Bartholl zu. Doch generell werde auch Oberflächen- und Abwasser verwendet, das in chemischen und physischen Prozessen aufbereitet werden müsse.
Für das Klima: Bund fördert Leitungswasser als Durstlöscher
Das ist der Grund, weshalb Franz Ehrnsperger, langjähriger Chef der Neumarkter Lammsbräu und Pionier des Bio-Mineralwassers, nach eigener Aussage niemals Leitungswasser trinkt. Zu stark sei das Wasser chemisch behandelt, um es trinkbar zu machen, zu hoch seien teils die Belastungen, etwa durch Nitrat oder Pestizide, sagte er kürzlich.
"Völlig entspannt"
Ganz anderer Meinung ist dagegen Heidi Willer. Die Sprecherin des Nürnberger Wasserversorgers N-Ergie findet Schulzes Äußerungen gut. Willer spielt dabei vor allem die ökologische Karte aus: Leitungswasser komme direkt aus dem Wasserhahn in der Wohnung. Dazu brauche es keine Flaschen, die unter Energieaufwand hergestellt und gereinigt werden müssen. Und auch der umweltbelastende Transport, oft mit Dieselfahrzeugen, vom Hersteller in den Getränkemarkt falle weg.
Aber auch bei der Qualität müsse das Wasser aus dem Hause N-Ergie den Vergleich mit Mineralwasser nicht scheuen, sagt Willer. Das Leitungswasser in Nürnberg habe sehr gute Werte und sei auch für Babynahrung geeignet. Das werde bei 30.000 Kontrollen im Jahr überprüft. Dabei testet die N-Ergie sogar mehr, als die Trinkwasserverordnung vorschreibe. So sucht das hauseigene Labor auch nach Spurenstoffen, die zum Beispiel Arzneimittel hinterlassen, berichtet Willer. Die bislang nachgewiesenen Werte seien aber kaum messbar.
Was aber ist mit dem Nitrat im Grundwasser und Belastungen durch alte Rohre? Bei Nitrat ist die N-Ergie, die jeden Tag im Durchschnitt 95.000 Kubikmeter Wasser in die Haushalte liefert, "völlig entspannt". Die Belastung durch diesen Stoff sei sehr gering und deutlich unter dem Grenzwert. Das liege auch an dem "vorsorgenden Grundwasserschutz", den die N-Ergie betreibe. Dazu zählen Kooperationen mit Landwirten.
Und was die Rohre angeht: Bis zum jeweiligen Hausanschluss verbürge sich die N-Ergie für die Qualität. Alles Weitere ist dann Sache der Hauseigentümer. Wer Zweifel hat, kann die Werte seines Wassers von der N-Ergie untersuchen lassen. Das kostet 36 Euro plus Mehrwertsteuer.
"Am strengsten kontrolliertes Lebensmittel"
Gleichwohl möchte Willer nicht gegen die Mineralbrunnen sprechen. Jeder solle seinen Wasserverzehr gestalten, wie er das möchte. Aber es gibt aus ihrer Sicht "keinen Grund, kein Leitungswasser zu trinken". Schließlich sei dieses das "am strengsten kontrollierte Lebensmittel" in Deutschland.
Wie bewertet die Stiftung Warentest die jeweilige Qualität? Im Test haben die Berliner Verbraucherschützer das Leitungswasser bundesweit an 20 Standorten untersucht und Spuren kritischer Stoffe gefunden, wie Medikamentenrückstände in Städten oder erhöhte Pestizidwerte in landwirtschaftlich geprägten Regionen. Insgesamt geben die Warentester aber Entwarnung: "Kein Wasser ist gesundheitlich bedenklich." Auch in Nürnberg stimmt der Studie zufolge die Qualität.
Beim Test der Mineralwasser schnitt nicht einmal jedes zweite getestete Wasser gut ab. Von den 32 untersuchten stillen Mineralwassern ist laut Stiftung Warentest rund die Hälfte "mit Keimen oder nennenswert mit kritischen Stoffen belastet oder mit Spuren aus Landwirtschaft und Industrie verunreinigt".
Klimabelastung 600-mal höher
Trinkwasser ist in Deutschland von höchster Qualität, das bestätigen unter anderem Stiftung Warentest, Umweltbundesamt und Verbraucherzentralen. Wer nicht gerade veraltete Bleileitungen im Haus hat, kann sich also bedenkenlos am Wasserhahn versorgen. Die Umweltministerin argumentiert nun aber nicht zuvorderst mit der Qualität, sondern bemüht das grüne Gewissen der Verbraucher. Mit Leitungs- statt Flaschenwasser ließe sich jede Menge CO2 und Müll vermeiden (und auch: einiges an Geld sparen). Dabei nutzt Schulze die aktuell erhöhte Aufmerksamkeit für den Klimaschutz, der dank "Fridays for Future" und der mit Spannung erwarteten Entscheidungen des "Klimakabinetts" der GroKo – und ja, natürlich auch ein wenig wegen des politischen und medialen Sommerlochs –, Konjunktur hat.
Was angesichts der extremen Risiken humanitärer, sozialer und wirtschaftlicher Art im Übrigen überfällig ist. Selbstverständlich versucht die SPD-Ministerin auch, daraus politisches Kapital zu schlagen. Doch ihre Aussagen sind deshalb nicht falsch. Der Lkw-Transport von Wasser in Flaschen erzeugt Treibhausgase – laut Verbraucherzentrale ist die Klimabelastung durch Mineralwasser in Deutschland im Durchschnitt 600-mal höher als bei Leitungswasser. Plastikflaschen werden einmal ausgetrunken und dann geschreddert. Glasflaschen können zwar oft wiederverwendet werden, wiegen aber mehr, siehe Transport. Es mag im Einzelnen immer Gründe geben, zum Mineralwasser zu greifen – generell aber lässt sich sagen: Wasser aus der Leitung ist aus Umweltsicht das Vernünftigste. Auch im Sommerloch.
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