Mit 74 Jahren auf zum Neustart im Internet

24.11.2009, 00:00 Uhr
Mit 74 Jahren auf zum Neustart im Internet

© Stefan Hippel

Nein, sein Alter sieht man Ertel wirklich nicht an. Nahezu lückenloses, weißes Haar, dazu flinke, wache Augen, die den Gesprächspartner vor dem in künstliches Licht getauchten Arbeitsplatz aufmerksam mustern, bevor er antwortet. Die Haut ist geprägt von Sonne, Wind und Salzwasser - wenn er nur Zeit fand, hat er sich auf dem Surfbrett oder auf dem Segelboot den Kräften und Launen der Natur ausgesetzt. Ein bewegtes Dasein, im wahrsten Sinne des Wortes.

«Es gibt im Leben keine Eingleisigkeit«

«Es gibt im Leben keine Eingleisigkeit«, lautet eine der vielen Erfahrungen des Geschäftsmannes, den man heute wohl mit dem Begriff des Selfmademan umschreiben würde. Gelernt hat er den Kaufmannsberuf, obwohl er eigentlich Ingenieurwissenschaften studieren wollte. Das Arbeitsamt hat abgeraten. Und so hat er sich eben nebenher selbst angeeignet, was er brauchte, um verfahrenstechnische Anlagen zu entwerfen, Betriebsabläufe zu rationalisieren und die Lagerhaltung bei den renommiertesten Adressen der nordbayerischen Industrie zu perfektionieren. «Ich war quasi Seiteneinsteiger«, erzählt Ertel mit verschmitztem Lächeln, «das ging damals noch.«

Genau genommen ging das bis 1995. Doch schon über 20 Jahre zuvor war ihm klar geworden: «Meine eher nüchterne, technische Tätigkeit verlangt einen Ausgleich, um mich selbst verwirklichen zu können.« Und irgendwann wurde Ertel klar: Für ihn könnte Schmuck die Brücke zu den «schönen Seiten des Lebens« werden. 1971 eröffnete er in Nürnberg den ersten Laden für Schmuck und Uhren, fertigte Unikate, entwarf eigene Design-Linien mit eingetragenem Warenzeichen wie «waveline®". In Idar-Oberstein bei der Deutschen Gemmologischen Gesellschaft erwarb er sich die nötigen Kenntnisse und wurde unter anderem Edelstein-Gutachter. «Meine Suche galt stets neuen Wegen hin zu modernen, schlichten und zeitlosen Formen«, sagt der Hobby-Segler, der in seinen Kreationen fließende Formen und Wellen verarbeitet.

International wie die Materialien sind auch die Kunden

Und um zu unterstreichen, was er damit meint, holt er ein Schmuckstück nach dem anderen aus dem Tresorschrank, streicht liebevoll über die Rundungen von Ringen, Colliers und Ohrhängern, erzählt Geschichten zu jedem einzelnen Stein, den er aus irgendeinem fernen Teil der Welt bezogen und in seinem Laden verarbeitet hat. International wie seine Materialien sind auch die Kunden des Designers. Wie die treue Abnehmerin aus Basel, Inhaberin eines Puppenhaus-Museums und ganz nebenbei «die reichste Frau der Schweiz«, wie der 74-Jährige mit gedämpfter Lautstärke erzählt. Wie diese Stammkundin, so äußern viele Besucher im Laden ihr Bedauern, dass Robert Ertel seinen Laden jetzt schließt, um sich auf zu neuen Ufern zu machen.

Die Werkstatt hat er schon lange aufgelöst und die eigenen Mitarbeiter durch freiberufliche Künstler ersetzt. Und auch die vielen, in der Altstadt verstreuten Ladenlokale lohnten sich längst nicht mehr, so dass Ertel heute seine Aktivitäten auf nur ein Geschäft in der Tuchgasse 2 konzentriert hat.

«Ohne einen Plan B würde ich mein Geschäft niemals aufgeben«

Und auch damit soll jetzt Schluss sein. Es fällt ihm nicht leicht, das merkt man. Alle paar Minuten kommt ein anderer Kunde in den Laden, will wissen, ob stimmt, dass das Geschäft geschlossen wird. Und allen erzählt Ertel die gleiche Geschichte: Von Menschen, die nur noch Zahlen und ihren Vorteil im Kopf haben, aber die Lust am Einkaufen verloren haben. «Schauen Sie doch in die Gesichter der Menschen, die da einen Blick durch unsere Schaufenster werfen. Entdecken Sie da noch Spaß oder Lebensfreude?«, fragt der Ladenbesitzer den Besucher mehr rhetorisch, als dass er ernsthaft einen Widerspruch erwarten würde. Man gönnt sich heutzutage nichts mehr, hat kein Vergnügen mehr daran, sich zu beschenken, stellt der 74-Jährige mit leicht traurigem Unterton fest. Und das trifft natürlich ihn als Schmuck-Designer besonders. Die Umsätze ließen zuletzt zu wünschen übrig, das Geschäft war rückläufig - und das bei weiter hohen Mieten.

Aber aufs Altenteil zurückziehen will sich Ertel heute genauso wenig wie damals mit 65, als er bereits das Rentenalter erreicht hatte. «Ohne einen Plan B würde ich mein Geschäft niemals aufgeben«, bekräftigt der rüstige Geschäftsmann. Und wie sieht dieser Plan B aus? «Die Zukunft«, so der Designer, «liegt eindeutig im Internet.« Auf diesen Vertriebskanal will sich der 74-Jährige jetzt mit voller Kraft stürzen und sein Sortiment auf den dort vertretenen Kundenkreis ausrichten.