MP3-Miterfinder Heinz Gerhäuser geht in Ruhestand
27.10.2011, 00:00 UhrHeinz Gerhäuser ist zweifellos einer der Väter von MP3. Mit Wink auf die in Nürnberg beginnende Erfindermesse iENA lässt sich sagen: Erfinder im Sinne des Daniel Düsentriebs, die dank Geistesblitz Bahnbrechendes hervorbringen, sind in unserem Technologiezeitalter rar.
Der Professor der Ingenieurwissenschaften erklärt es so: „An der MP3-Entwicklung haben viele Menschen hart und mühsam gearbeitet wie an einem Puzzle.“ Leider nicht nur deutsche, sondern konkurrierende Forscherteams weltweit. Damals, vor knapp einem Vierteljahrhundert, ging es um die Wurst: Wer wür-de auf dem Markt das Rennen machen?
Das Team in Erlangen-Tennenlohe hatte gute Karten: In einer Stunde sollte der Flieger den Prototypen nach Japan zur internationalen Präsentation bringen. Doch plötzlich schrie ein Tester „Fehler!“ Sofort ausbügeln und ab die Post. Gerhäuser erinnert sich an die brenzlige Situation, „in der wir haarscharf am Scheitern vorbeigeschrammt sind“. Das Gute daran: „Es gerade noch geschafft zu haben, hat die Mannschaft extrem zusammengeschweißt.“ Für ihn selbst, erzählt der 65-Jährige, waren solche Momente eine „hervorragende Schule“, Gelassenheit zu entwickeln.
Auch wenn die Vermarktung des MP3-Formats zur Komprimierung von Musik nicht in Deutschland geschah, so profitierte das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen doch ganz wesentlich von den Lizenzeinnahmen, die diese „Erfindung“ einfuhr. Viele Erweiterungsbauten wie die AudioLabs in Erlangen im vergangenen Jahr, wären anders nicht finanzierbar gewesen.
Der Spezialist für Mikroelektronik entwickelte für Fördermittel „das Gespür eines Trüffelschweins“ und übertrug die feine Nase seinen Abteilungsleitern. „Geldtöpfe aufzutun war eine meiner wichtigsten Aufgaben“, sagt er selbst. Schließlich hat IIS von Erlangen aus Zug um Zug Dependancen aufgebaut: in Nürnberg und Fürth, Würzburg, Ilmenau, Dresden und zuletzt Bamberg. „Wir haben systematisch die nordbayerischen Universitätsstandorte einbezogen, auch um ein Gegengewicht zu den südbayerischen Forschungshochburgen aufzubauen“, sagt der gebürtige Münchner.
Für IIS, dem mittlerweile größten Institut der Fraunhofer-Gesellschaft, sind rund 750 Mitarbeiter tätig. Das sind fast sechsmal so viele wie 1998, als Gerhäuser mit dem Ausscheiden seines Kollegen Dieter Seitzer alleiniger Institutsleiter wurde.
Die Leidenschaft für Technik hatte er schon von Kindesbeinen an. Wie sonst erklärt es sich, sinniert er, dass Geschenke unterm Christbaum selten „den zweiten Weihnachtstag überlebt haben“? Der Funktionsweise von Technik–Spielzeug ging der Junge kompromisslos auf den Grund. Erkenntnisse ja, Gerät reparabel, nein.
Suche nach Killeranwendungen
Die große Zukunft sieht Gerhäuser in den digitalen Medien. Ohne sie sei das Zusammenwachsen von Festnetz, mobiler Kommunikation und Internet nicht denkbar. Vielleicht überrascht wieder eine Killeranwendung die Fachwelt wie damals die SMS. Gedacht für Kurzmitteilungen unter Geschäftsleuten, hätte einst niemand erahnt, dass sich die „Kids massenhaft unter der Schulbank Liebesbriefe zuschicken würden“, schmunzelt Gerhäuser.
Zur aktuellen Debatte um die Eindämmung der Facebook-Allmacht sagt Gerhäuser: „Auswüchse oder Missbrauch kann jede Technik mit sich bringen. Der vernunftbegabte Mensch wird sich das Gute herauspicken und den Rest fallenlassen.“
Zumindest in der ersten Phase seines Ruhestandes kann von Rückzug keine Rede sein. Gerhäuser wird etwa die Fraunhofer-Logistik-Arbeitsgruppe Supply Chain Services in Nürnberg noch ein Jahr weiterführen. In Waischenfeld in der Fränkischen Schweiz gilt es, das 7,5-Mio.-Euro-Bauprojekt eines Forschungscampus weiter zu begleiten. In dem Ort, Lebensmittelpunkt der Familie Gerhäuser, soll ferner ein ehemaliges Kinderheim modernisiert und Talenten aus Kunst und Naturwissenschaften als Treffpunkt geöffnet werden. Ähnlich interdisziplinär angelegt ist in Erlangen die „Zukunftswerkstatt“, die unter Gerhäusers Leitung Menschen aus mindestens sechs Fachwelten von Theater über Technik bis hin zur Ethik zusammenführen soll.
Vorfreude auf den Tag X
Fazit: Das Pensionistendasein muss noch warten. „Ich freue mich aber schon auf den Tag X, an dem ich plötzlich Herr über meine Zeit werde.“ Momentan jedoch, gesteht der Gatte einer Künstlerin, sei ihm dieser Gedanke noch völlig fremd.
Und schließlich geht ihm sein Hobby nicht aus dem Kopf: Fliegen. Der Flugschein aus den USA hat schon drei Jahrzehnte auf dem Buckel, soll aber aufgefrischt werden. Und der gelernte Elektromechaniker will auch seine Flugzeugwerft nutzen für den Bau eines eigenen Leichtflugzeuges. Letztlich hat das meiste doch wieder mit seiner Kernkompetenz zu tun, nämlich der Navigations- und Funktechnik.
Im Rückblick auf seine Karriere habe er sich aufrichtig gefragt, ob er etwas anders hätte machen sollen. Die klare Antwort: „Nein. Bei allen Anstrengungen war es eine unheimlich spannende Zeit und ein großes Privileg, ein Kapitel im Buch der Technik mitgeschrieben zu haben.“
Feststeht: Sein Nachfolger und bisheriger Stellvertreter Albert Heuberger, Experte für Satellitenrundfunk und Lokalisierungssysteme, tritt in große Fußstapfen.
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