Doch solche Zeitpläne sind ehrgeizig. Noch vor wenigen Jahren wurde für die Entwicklung eines Impfstoffs ein Zeitraum von 15 bis 20 Jahren veranschlagt. Neue, moderne Technologien können den Prozess beschleunigen, doch nach wie vor muss die Sicherheit des Wirkstoffes bestätigt werden - möglichst ohne Nebenwirkungen.
Immerhin hat Europa gute Voraussetzungen: Die großen westlichen Impfstofffirmen haben hier 80 Prozent ihrer weltweiten Produktion. Nur wenige Pharmakonzerne wie Sanofi, GlaxoSmithKline, Pfizer und Merck & Co beherrschen den lukrativen Markt mit Impfstoffen.
Olaf Tölke, Pharmaexperte bei der Rating-Agentur Scope, glaubt aber nicht, dass schon dieses Jahr ein Impfstoff gegen das Corona-Virus vorliegt. Die Forschung sei aufwendig mit Fehlerquoten von 95 Prozent. Tölke sieht den französischen Konzern Sanofi und GlaxoSmithKline aus Großbritannien in einer guten Position. Die beiden größten Impfstoff-Spezialisten Europas peilen gemeinsam ein Mittel für die zweite Jahreshälfte 2021 an. "Es ist schwer zu glauben, dass kleine Firmen schneller sind."
Ist ein Impfstoff gefunden, könnten Arzneibehörden relativ schnell eine Zulassung erteilen, meint Berater Kaltenbach. "Das Thema hat Priorität bei allen Behörden." Doch selbst dann muss ein Impfstoff erst an Milliarden Menschen verteilt werden - eine immense Aufgabe, meint die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Zudem drohen nationale Streitigkeiten um den ersten Zugriff. Einen Vorgeschmack gab jüngst Sanofi. Nach einem Interview von Generaldirektor Paul Hudson, der den USA als Finanzierungspartner die größte Vorausbestellung einräumte, schlugen die Wellen hoch. Angesichts von Protesten der französischen Regierung stellte Sanofi klar, dass ein Impfstoff allen verfügbar sein müsste. "Der gleiche Zugang für alle zum Impfstoff ist nicht verhandelbar", betonte Frankreichs Premier Édouard Philippe. Und Präsident Emmanuel Macron mahnte eine multilaterale Aktion bei der Verteilung an.
Andere warnen, einen Corona-Impfstoff dürfe es nicht nur für die Reichen geben. Mehr als 140 Präsidenten, Ex-Politiker und frühere hohe UN-Vertreter forderten kürzlich die kostenlose Verteilung von Medikamenten oder Impfstoffen. "Niemand sollte bei Impfungen wegen seines Wohnorts oder Einkommens ans Ende der Schlange geschickt werden", meinte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Auch die WHO-Mitgliedsländer drangen bei ihrer Jahrestagung am Dienstag auf einen weltweiten und "gerechten Zugang" zu einem Corona-Impfstoff.
Hier prallen die Interessen von börsennotierten Pharmakonzernen und ethische Fragen aufeinander. Die Entwicklung eines Impfstoffs kostet Hunderte Millionen Euro, schätzt Scope-Experte Tölke. "Die Unternehmen tragen das Risiko, im Rennen mit der Konkurrenz zu spät zu kommen." Auch sei denkbar, dass ein Corona-Impfstoff 2021 gar nicht mehr so gefragt sei, wenn die Pandemie dann überwunden ist.
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Cichutek, glaubt, dass es wohl eine Priorisierung geben wird. Manche Menschen würden zuerst geimpft werden - etwa medizinisches Personal oder Menschen, bei denen es zu schweren Krankheitsverläufen kommen könnte.
Doch allem Werben um abgestimmte Aktionen zum Trotz: Reiche Länder wie die USA und europäische Staaten dürften vor ärmeren Ländern zum Zug kommen. Am Ende dürfte es einen Mittelweg zwischen ökonomischen und ethischen Fragen geben. "Da Milliarden Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden könnten, muss das Mittel nicht so teuer sein", sagt Tölke. Trotzdem wäre ein Impfstoff für die Pharmabranche ein lukratives Geschäft. "Wer zuerst einen Impfstoff hat, kann auf Milliardengewinne hoffen. Die ganze Welt wird sich darauf stürzen."
Hier finden Sie täglich aktualisiert die Zahl der Corona-Infizierten in der Region. Die weltweiten Fallzahlen können Sie an dieser Stelle abrufen. Über aktuelle Entwicklungen in der Corona-Krise berichten wir auch im Liveticker.
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