Smart, aber nicht sauber: So viel Strom verbraucht die Digitalisierung

Lidia Piechulek

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15.4.2020, 16:30 Uhr

Der Wecker klingelt, auf dem Weg ins Bad wird am Smartphone der Lieblings-Radiosender gestartet. Die Abfahrt des nächsten Busses verrät ein Blick auf Google Maps, ein paar Youtube-Videos helfen beim Zeitvertreib während der Fahrt ins Büro. Kaum sind wir am Schreibtisch, sichten wir die neuen Mails – so sieht ein Morgen in der digitalen Welt aus.

Was vielen nicht bewusst ist: Wer immer vernetzt ist, verhält sich nicht gerade umweltbewusst. Denn die sagenumwobene Cloud, die fortlaufend Daten speichert sowie auf Abruf zur Verfügung steht, ist keineswegs ein immaterieller Ort: Gewaltige Rechenzentren rund um den Globus arbeiten zu jeder Sekunde, damit wir in der digitalen Welt unterwegs sein können.

Die Cloud braucht Hardware – Hallen, Generatoren, kostspielige Kühlsysteme, Wachschutz. Und sie braucht Strom. Jede Menge Strom. Aus erneuerbaren Energien stammt dieser leider nur zu einem geringen Prozentsatz.

2017 untersuchte Greenpeace den Anteil an grünem Strom der 15 größten Anbieter für Cloud Computing. Die Zahlen sind ernüchternd: Apple, Facebook und Google betreiben ihre Rechenzentren zwar zum Großteil mit Ökostrom, Amazon schneidet aber deutlich schlechter ab. Dort werden lediglich 17 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen bezogen, 30 Prozent stammen aus Kohle-, 26 Prozent aus Atom- und 24 Prozent aus Gaskraftwerken.


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"Wäre das Internet ein Land, so hätte es weltweit den sechstgrößten Stromverbrauch", sagt Niklas Schinerl, Energieexperte von Greenpeace. Tendenz steigend – denn laut Prognosen des IT-Konzerns Cisco soll sich allein zwischen 2019 und 2022 der jährliche weltweite Datenverkehr im Netz verdoppeln.

Schon heute macht das Streaming von Videos auf Plattformen wie Youtube oder Netflix 80 Prozent des Stromverbrauchs im Internet aus, wie die gemeinnützige Organisation "The Shift Project" errechnete. 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid verursachte Streaming allein im Jahr 2018 – und somit knapp ein Prozent der gesamten CO2-Emissionen.

Dieser Verbrauch wird voraussichtlich wachsen. Zum einen, weil immer mehr Anbieter auf den Markt drängen: Disney Plus startete am 12. November in den USA und ist seit dem 24. März auch in Deutschland verfügbar. Apple TV Plus gibt es bereits, auch Warner bereitet nun den Einstieg in das Streaming-Geschäft vor. Sekündlich werden mehr Videos auf die Plattformen hochgeladen, zudem wächst der Energiebedarf, weil die Auflösung von Filmen und Serien in 4K und HD immer höher wird.

Kurzfristig betrachtet, schaffen die neue Technologien immer wieder Effizienzgewinne und somit Energieeinsparungen. Diese werden aber langfristig überkompensiert; durch ein geändertes Nutzungsverhalten wird schließlich doch mehr Strom verbraucht als zuvor. Dieses Phänomen ist in der Wirtschaft als Rebound-Effekt bekannt.

Ein Beispiel: In Deutschland versorgt Eon sechs Millionen Kunden, darunter überwiegend Privathaushalte. Dort hat sich laut Stefan Moriße, Pressesprecher von Eon, der Stromverbrauch in den vergangenen zehn Jahren verringert – und gleichzeitig die Anzahl der Elektrogeräte verdoppelt. "Früher reichte ein Laptop pro Haushalt, heute haben die meisten zwei oder mehr, ein Smartphone pro Person, ein bis zwei Tablets und einen Sprachassistenten." Moriße sieht die Stromfresser der Zukunft im autonomen Fahren und der flächendeckenden Ausbreitung des 5G-Netzes.

Blickt man auf die Trends, scheint ein neuer Höhepunkt des Stromverbrauchs absehbar. Schätzungen zufolge trägt die Digitalisierung heute schon zu etwa vier Prozent zu den menschengemachten Klimagasen bei, Experten gehen bis 2025 sogar von einer Verdopplung aus.

Schon heute fordert der Handel mit der Kunstwährung Bitcoin eine enorme Menge Strom, der mehrheitlich aus Kohlekraft stammt. Riesige Rechnerfarmen in der Mongolei blasen pro Betriebsstunde ganze 24 Tonnen CO2 in die Luft – eine ähnliche Menge würde ein Auto freisetzen, das dreimal die Welt umrundet.

Zusätzlich wächst das Angebot an Elektrogeräten, die digital miteinander vernetzt werden können. Stichwort: Smart Homes. Immer mehr Haushaltsgeräte, die auf Sprachbefehle oder Signale anderer Geräte reagieren und so dem Verbraucher den Alltag erleichtern sollen, kommen derzeit auf den Markt. Das Berliner Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit rechnet bis 2025 mit 1,7 Milliarden vernetzten Geräten allein in Europa. Somit würde ein Mehrverbrauch von 70 Terawattstunden geschaffen. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch aller privaten Haushalte Italiens.


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Allein in Deutschland arbeiten laut Schätzungen des Borderstep Instituts etwa 53 000 Rechenzentren rund um die Uhr. Die meisten stehen in Frankfurt am Main, in Nürnberg betreibt die Noris Network AG tausende Hochleistungsrechner auf etwa 8600 Quadratmetern. An ihren Standorten Nürnberg, München und Hof setzt das Unternehmen hundert Prozent Strom aus regenerativen Quellen ein – und könnte mit seiner Gesamtleistung in der Summe eine Stadt mit rund 25 000 Einwohnern vollständig energetisch versorgen.

Die Noris Network AG steigert die Effizienz ihrer Werke, indem sie mittels Außenluft ihre Server herunterkühlt. Eine andere Maßnahme zur Effizienzsteigerung wäre die Nutzung von Abwärme, die in den Rechenzentren massenhaft anfällt.

Derzeit machen sich allerdings nur 19 Prozent der weltweiten Rechenzentren diese Wärme zunutze und heizen damit etwa die Büroräume. Warum das nicht alle machen? Bernd Flessner, Zukunftsforscher an der FAU, hat eine ernüchternde Antwort parat: "Festgefahrene Strukturen und schlichte Unwilligkeit zum Wandel", da liege das Problem.

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