Tierpräparator: Kein Job für Zartbesaitete
15.10.2009, 00:00 Uhr
Wer von der vielbefahrenen Straße unter Glöckchengeläut in den kleinen, zwischen Discountern und Dönerbuden geduckten Laden eintritt, dem könnte auf den ersten Blick etwas unheimlich zumute werden. Dutzende Augen glotzen einen an, ausdruckslos, starr. Sie blicken aus einem riesigen Eber, einer zierlichen Antilope, einer weiß-getupften Eule. Ringsherum hängen Geweihe an den Wänden, auf dem Boden liegen die mächtigen Stoßzähne eines Elefanten, in dem Regal über dem Tresen hebt ein Skorpion seinen Stachel. Doch selbst wenn ihm ein Neugieriger zu nahe kommt - zustoßen kann er nicht mehr.
Schon als Kind nicht gegruselt
Dass der Wüstenbewohner schon seit Jahren in seiner Drohgebärde erstarrt und nicht längst im Sand zerfallen ist, hat er dem Tierpräparator Bernhard Ramming zu verdanken. Schon als Kind hat sich der heute 51-Jährige nicht vor toten Tieren gegruselt. Im Gegenteil: Der Naturkunderaum in der Schule, aus dessen Regalen Dutzende ausgestopfter Tiere lugten, war für ihn ein mystischer Ort. Denn hier erfuhr er erstmals, dass was tot ist, nicht zwangsläufig dem Verfall preisgegeben sein muss.
Heute ist Ramming der einzige Tierpräparator im Großraum Nürnberg, hat Kunden aus aller Welt. Für Trophäensammler, Jäger, Fischer, Schulen und Haustierbesitzer hat er schon nahezu allem wieder den Schein von Leben eingehaucht: vom Wellensittich zum Löwen, vom Karpfen zum Eisbären, vom Kater zum Nashorn. Für vermögende Großwildjäger und Museen hat Ramming sogar schon ganze Landschaften erstehen lassen. Sein Meisterstück: ein Grizzly, der in einem künstlichen Flusslauf steht und mit der Pranke nach einem Lachs schlägt.
Der ewige Schlaf der Haustiere
Zigtausende kann so etwas kosten, und auch, wer nicht ohne seinen verstorbenen Dackel sein will, muss mit rund 1.000 € rechnen. Solche Wünsche sind übrigens gar nicht so selten: Zwei-, dreimal pro Woche kommen Haustierbesitzer mit Fotos ihres verstorbenen Lieblings, vom Tierarzt bekommt Ramming dann meist den Körper. Freilich orientiert er sich an den Wünschen der Kunden, am liebsten stellt er Haustiere aber schlafend dar. Das hat einen pragmatischen Grund: Für Katzen hat Deutschlands einzige Fabrik für Tierglasaugen nur drei Farben im Angebot, für Huskys zum Beispiel nur eine. «Und wenn einen das vertraute Tier dann mit andern Augen anblickt, kann das den ein oder anderen schon irritieren«, sagt Ramming.
Passionierter Jäger
Ob er sich sein Haustier auch als Dekoration ins Wohnzimmer stellen würde? Die Frage stelle sich nicht, sagt der Präparator, er habe keines. Die vielen Aufträge lassen ihm schlicht keine Zeit dafür. Selbst die Tiere, die der passionierte Jäger mit eigener Waffe erlegt hat, lagern teils schon seit Jahren in der Gefriertruhe.
Erst vor wenigen Stunden hat der gescheitelte Mann mit dem sorgfältig gestutzten Bart und den hellen blauen Augen eine Lieferung mit 30 Steinbockschädeln aus Russland entgegengenommen. Während im Nachbarhaus ein Opernsänger seine Arien probt, in der Werkstatt wenige Meter weiter die Kühltruhen surren und davor leise ein Topf dampft, in dem seit Stunden ein Antilopenkopf auskocht, legt er die Schädel im Hinterhof aus.
Für jedes Tier die nötigen Papiere
Nicht jedermanns Sache, das weiß er. Aber angefeindet wurde er in den 27 Jahren, in denen er den Laden in der Nähe des Bahnhofs betreibt, noch nie. Zwar fragen Menschen, die an seinem Schaufenster vorbeikommen, schon mal bei der Unteren Naturschutzbehörde nach, ob die Eule oder das Wiesel nicht geschützt sind. Doch Ramming hat für jedes seiner Präparate die nötigen Papiere. Und er bearbeitet nur, was Kunden zusammen mit der nötigen behördlichen Genehmigung bringen. Will jemand also einen Greifvogel präparieren lassen, den er tot am Wegesrand gefunden hat, der aber zum Beispiel im Washingtoner Artenschutzabkommen erfasst ist, wird er von Ramming grundsätzlich weggeschickt.
Unproblemtisch ist dagegen das Tier, dem er sich nun widmet. Man könnte das Reh für lebendig halten, wäre es nicht nur noch ein Torso, der auf ein Brett genagelt, von einem Schraubstock gehalten wird. Geliefert bekommt Ramming die Tiere von hiesigen Jägern bereits zerteilt; getrocknet, wenn sie aus Kanada, Afrika oder sonstigen Weiten kommen. Der Präparator gerbt dann das Fell, zieht es noch feucht über Kunstkörper aus PU-Schaum. Bei kleineren Tieren tut es auch Holzwolle, die er mit Fäden umwickelt in Form bringt.
Kein Raum für Mitleid
Dem Reh, das er für einen Stammkunden präpariert, hat der Experte bereits Glasaugen in die Höhlen gedrückt, den Ohren mit Pappe Stand verliehen. Jetzt wandern seine Finger den Hals des Tieres entlang, mit bunten Nadeln und Küchenpapier drücken sie die Stellen nach, wo Speiseröhre und Muskeln bei einem lebendem Tier Mulden und Erhebungen formen. Schließlich soll das Tier hernach aussehen, als könnte es im nächsten Moment den Kopf drehen und mit wachem Blick und gespitzten Ohren hinter den Bäumen hervorlugen.
Dass manch einen da das Mitleid packt, kann der Präparator zwar verstehen - verleiden kann ihm das die Freude an seiner Arbeit und auch die Überzeugung, mit der er sie tut, nicht. Schließlich ist er selbst Jäger, weiß, dass zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaft ohne einen kontrollierten Abschuss enormer Schaden entstehen würde. Und dass man das Tier danach nicht einfach verrotten lässt, sondern sich weiter an seiner Schönheit erfreut, findet er nicht verwerflich.
Schock im Dunkeln
Übrigens sind aber längst nicht alle Pelzträger in Rammings Reich leblose Gestalten. Darauf sollte gefasst sein, wer meint, auch in die dunkelsten Regale lugen zu müssen, in welchen Schädel aus leeren Höhlen starren und an deren Seiten die Körper Dutzender Bisamratten baumeln. Wenn es dazwischen funkelt, ist das mitunter nicht die Fantasie, die einem einen Streich spielt - sondern womöglich das Augenpaar von Nachbars Katze, die sich einen Spaß daraus macht, neugierige Besucher mit schnellem Sprung aus ihrer ehrfürchtigen Starre zu reißen und ihnen einen gehörigen Schreck zu versetzen.
Das Fell über die Ohren zieht Ramming ihr dafür nicht. Im Gegenteil: Er quittiert den Auftritt eher mit einem herzhaften Lachen. Einem Lachen, das ansteckt - und die präparierte Natur ringsum ein bisschen weniger unheimlich erscheinen lässt.