Wenn Arbeitnehmerinnen ihre Angehörigen pflegen

24.09.2008, 00:00 Uhr
Wenn Arbeitnehmerinnen ihre Angehörigen pflegen

© tkk

Es kann so schnell gehen. Eben war die 75-Jährige noch fit und selbstständig. Dann fällt sie beim Einkaufen hin, bricht sich den Oberschenkel, muss ins Krankenhaus, wirkt dort verwirrt, kann nach der Entlassung nicht mehr alleine bleiben. Plötzlich sind die Angehörigen gefordert. Sie müssen eine Möglichkeit finden, die 75-Jährige zu pflegen. Die am häufigsten gewählte Lösung in solchen Fällen: Tochter oder Schwiegertochter übernehmen die Aufgabe. Schließlich sind sie Pflege aus der Phase der Kindererziehung gewohnt. Doch für die oft berufstätigen Frauen bedeutet es: Die gerade überstandene Mühle der Doppelbelastung beginnt von vorne.

Dabei wird es diesmal noch härter; körperlich und psychisch. Auf Kinder können sich die werdenden Mütter monatelang vorbereiten; die Pflegebedürftigkeit der älteren Angehörigen kommt meist plötzlich. Kinder machen Fortschritte; bei Demenzkranken geht es unaufhaltsam bergab. Kinder sind klein, leicht und wendig; alte Menschen schwer und schwerfällig. Bei Kindern lässt sich zeitlich abschätzen, wann sie ihre eigenen Wege gehen; die Pflege alter Menschen kann nach wenigen Monaten vorbei sein, kann sich aber genauso gut über Jahrzehnte hinstrecken.

Schwelle ist sehr hoch

Vor allem: Über Kindererziehung lässt sich im Büro prima sprechen. Jeder Kollege freut sich, Geschichten über die ersten Gehversuche des Kleinen zu hören. Jeder nimmt Anteil an der Suche nach einem Kindergartenplatz oder der Auswahl der richtigen Schule. Solche Gespräche entlasten die Psyche der Mütter. Über schwerkranke Eltern oder Schwiegereltern zu sprechen, fällt dagegen schwer.

«Die Schwelle, das Thema anzusprechen, ist sehr hoch«, sagt Ute Stähr, Kommunikationstrainerin und Expertin für familienbewusste Personalpolitik. Stähr engagiert sich im Arbeitskreis «eldercare«, der Unternehmen für die Bedürfnisse pflegender Mitarbeiter sensibilisieren will. Einige Firmen haben sich des Themas bereits angenommen, hat die Diplom-Pflegemanagerin Stefanie Schlesing festgestellt. Bei den meisten jedoch ist noch viel Aufklärungsarbeit gefragt.

Dabei sind immer mehr Mitarbeiter betroffen. Von zwei Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden zwei Drittel von Angehörigen zu Hause versorgt. Jeder Fünfte ist in seiner Familie mit einem Pflegefall konfrontiert. Und geht die demografische Entwicklung so weiter, wie derzeit vorhergesagt, wird sich die Situation drastisch verschärfen. Stefanie Schlesing hat sich damit in ihrer Diplomarbeit befasst. Auf das Thema kam die 30-Jährige, weil ihre Oma plötzlich krank wurde. Ihre Mutter übernahm die Pflege, war jedoch irgendwann überfordert. So fuhr Tochter Stefanie, die vor dem Studium Krankenschwester gelernt hatte, so oft wie möglich nach Hause, um sie zu entlasten.

Ansprechpartner wichtig

Für ihre Diplomarbeit befragte Schlesing pflegende Frauen und Firmen. Sie wollte herausfinden, wie Firmen ihre Mitarbeiterinnen unterstützen können. Die Ergebnisse: Das Wichtigste ist die Möglichkeit, am Arbeitsplatz über die Situation der Familie reden zu können. Mit Kollegen, aber auch mit einem geschulten Ansprechpartner, der weiß, wie Anträge auf Pflegegeld zu stellen sind, wo es Tagespflegeplätze gibt oder welche Selbsthilfegruppen seriös sind. Gewünscht wird auch psychosoziale Beratung - die allerdings nicht am Arbeitsplatz, sondern von einem externen Berater angeboten werden sollte.

Ebenfalls wichtig sind anpassungsfähige Arbeitszeiten. Manche Frauen wünschen sich, verlässlich um eine bestimmte Uhrzeit gehen zu können. Andere möchten lieber die Arbeit von fünf Tagen an vier erledigen, um dann drei Tage am Stück daheim zu sein. Wieder andere möchten für eine Weile Teilzeit arbeiten - verbunden mit der Sicherheit, nach der Phase der Pflege wieder voll einsteigen zu können. Wichtig ist zudem Verständnis bei der Urlaubsplanung und bei Überstunden oder Geschäftsreisen.

Weiterhin berufstätig bleiben

Ihren Beruf aufgeben wollen Betroffene dagegen nicht. Das hat finanzielle Gründe. Aber vor allem, so Stefanie Schlesing, «wird der Beruf als Ausgleich sehr geschätzt«. Ist es trotzdem nötig, sich ganz freistellen zu lassen, können Kontakthalteprogramme das Gefühl geben, weiter dazuzugehören. «All diese Hilfestellungen sind keine Frage der Kosten, sondern der Unternehmenskultur«, so Ute Stähr. «Das Unternehmen gewinnt dadurch: Jemand, der pflegt, schafft sich Kompetenzen, die er in der Firma einsetzen kann. Und dem Unternehmen bleibt eine gut ausgebildetet Mitarbeiterin erhalten.«

Die Initiative Familienbewusste Personalpolitik und die Unternehmensberatung Rödl & Partner veranstalten am 30. Oktober ab 16 Uhr eine Informationsveranstaltung zum Thema. Unter anderem stellt Stefanie Schlesing dabei ihre Diplomarbeit vor. Der Eintritt ist kostenlos. Anmeldung unter 0911/9193-1045.