Zur Kritik an Siemens: "Joe Kaeser ist nicht der böse Bub"

Manuel Kugler

Redaktion Politik und Wirtschaft

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12.2.2020, 06:00 Uhr
Gute Beziehung zu den Mächtigen: Siemens-Chef Joe Kaeser im Jahr 2017 mit Trump-Tochter Ivanka, die dem US-Präsidenten zudem als Beraterin zur Verfügung steht.

© Archivfoto: Michael Sohn/AP/Pool/dpa Gute Beziehung zu den Mächtigen: Siemens-Chef Joe Kaeser im Jahr 2017 mit Trump-Tochter Ivanka, die dem US-Präsidenten zudem als Beraterin zur Verfügung steht.

Für manchen sei der wahre Grund, die Nürnberger Gespräche zu besuchen, nicht etwa die Podiumsdiskussion selbst, sagt Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Der wahre Grund sei vielmehr das ebenso kluge wie gewitzte Schlusswort, das Oberbürgermeister Ulrich Maly traditionell am Ende der Veranstaltungsreihe hält.


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Wenn dem tatsächlich so ist, müssten die Organisatoren von IAB, Bundesagentur für Arbeit und Stadt Nürnberg demnächst einen Besucherschwund verkraften. Denn Maly tritt bei der Wahl im März nicht mehr an. Als Abschiedsgeschenk überreicht Walwei dem Hobbykoch ein Buch mit den Lieblingsrezepten von Politikern, Titel: "Das Parlament kocht – Was Politiker so anrichten".

Bevor Maly sein letztes Schlusswort halten kann, steht ein anderer Mann im Mittelpunkt, ein Mann, der weder auf dem Podium noch im Publikum sitzt: Joe Kaeser. "Markt oder Moral? Brauchen wir eine neue Wirtschaftsethik?" heißt das Thema an diesem Abend, und tatsächlich lässt es sich am Beispiel der umstrittenen Beteiligung von Siemens an einem Kohleprojekt in Australien gut diskutieren. Zumal Kaeser wegen seiner Treffen mit Wladimir Putin oder Donald Trump schon mehrfach in der Kritik stand, Geschäft über Moral zu stellen.

Doch Kaeser findet im Rathaussaal durchaus Verständnis. "Joe Kaeser ist nicht der böse Bub, zu dem er jetzt gemacht wird", sagt Stephan Lessenich, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Herr Kaeser ist ein Produkt der Verhältnisse, die ihn und uns zu bestimmten Handlungen veranlassen."

Gewinn- und Wachstumsorientierung unserer Gesellschaft zwängen ihn, so zu handeln. Lessenich, der als Mitgründer der Kleinpartei Mut auch eine politische Agenda verfolgt, kommt zu dem Schluss: "Es braucht eine andere Wirtschaftsweise."

Nicht nur Dirk von Vopelius widerspricht: Die massive Kritik an Siemens – die einen enormen Reputationsschaden für den Konzern bedeute – sei doch Beleg dafür, dass auch innerhalb des bestehenden Systems Korrekturmechanismen griffen, sagt der IHK-Präsident.

 

"Verständlich" nennt zunächst auch Markus Beckmann, als Professor am Lehrstuhl für Corporate Sustainability der Uni Erlangen-Nürnberg ein Experte auf dem Gebiet verantwortungsvollen wirtschaftlichen Handelns, Kaesers Entscheidung, den Vertrag über die Lieferung einer Zug-Signalanlage zu erfüllen. Auf Siemens wären sonst hohe Vertragsstrafen zugekommen, vor allem aber hätte die Entscheidung dem Klima nichts genützt – weil ein anderes Unternehmen die bestellte Zug-Signalanlagegeliefert hätte.

Lessenichs Forderungen nach einer Überwindung des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems lehnt Beckmann ab: Mithilfe des CO2-Preises, der den Ausstoß verteuere, könne der Staat innerhalb der Marktwirtschaft einen Rahmen setzen, in dem klimafreundliches Handeln Firmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffe.

Kaeser hätte auf die Kritik mit der Erklärung reagieren müssen, dass sich Siemens in Zukunft nicht mehr an Kohleprojekten beteiligen werde, sagt Sina Trinkwalder, Gründerin der ökosozialen Augsburger Textilfirma Manomama. Sie fordert mit Blick auf Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt, "dass wir insgesamt weniger konsumieren".

Schließlich ist es dann ein letztes Mal an Ulrich Maly, das Schlusswort zu sprechen – es ist ein durchaus optimistisches. "Wer sagt, Ökonomie ohne Wachstum funktioniert nicht, hat früher auch gesagt, Ökonomie ohne Zinsen funktioniert nicht. Jetzt sehen wir, es geht doch." Voraussetzung dafür seien jedoch die entsprechenden politischen Mehrheiten: Noch klafften Anspruch (Bekenntnis zum Klimaschutz) und Wirklichkeit (fehlende Bereitschaft zum Verzicht) bei den Menschen auseinander.

Mit Blick auf sein Abschiedsgeschenk kündigt Maly an, am Abend das Kartoffelsuppen-Rezept der Kanzlerin nachzukochen. "Dann kann ich schonmal nachspüren, wie Verzicht schmeckt."

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