Zwölf Punkte: Warum Stickstoffdioxid uns noch lange beschäftigt
12 Bilder 17.8.2019, 16:58 UhrDer Prozess
Showdown in Leipzig: Vor dem Bundesverwaltungsgericht stritten die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH), ob Fahrverbote im Kampf gegen zu hohe Stickstoffdioxidwerte in der Luft rechtlich zulässig sind. Die Antwort der Richter: Ja, Behörden müssen Luftreinhaltepläne verschärfen und auch Fahrverbote für Autos mit zu hohem Stickoxidausstoß einführen, wenn die Grenzwerte anders nicht einzuhalten sind. Das Urteil ist nicht automatisch bindend für alle Städte, die mit Grenzwertüberschreitungen kämpfen — wie Nürnberg —, hat aber große Signalwirkung. © Jan Woitas/dpa
Stickstoffdioxid & Co.
Bei Luftschadstoffen denken viele zunächst an Feinstaub. Dieser wird unterschieden in PM10, bei dem die Partikel einen maximalen Durchmesser von 10 Mikrometer haben, und dem gefährlicheren PM2,5. Beim Feinstaub werden die Grenzwerte in der Region aber problemlos eingehalten. Anders sieht das beim Stickstoffdioxid, kurz NO2, aus, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht befasst. Der Jahresmittelwert darf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreiten, der Stundenmittelwert von 200 Mikrogramm darf nicht öfter als 18-mal übertroffen werden. © Arne Dedert
Luftbelastung
In rund 70 deutschen Städten wurden 2017 die NO2-Grenzwerte überschritten, München riss die Schwelle mit 78 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter sehr deutlich. In der Region hat sich die Situation zuletzt verbessert. "2017 hatten wir die niedrigste Luftbelastung der letzten 50 Jahre", betont Nürnbergs Umweltreferent Peter Pluschke. In der Innenstadt, wo es früher Jahresmittelwerte von mehr als 80 Mikrogramm gab, hat sich das Problem in Luft aufgelöst, an der Von-der-Tann-Straße sank die Belastung in den vergangenen zehn Jahren von 55 auf 43 Mikrogramm. © Kay Nietfeld/dpa
Messstationen
Das Landesamt für Umwelt (LfU) betreibt in Bayern seit 1950 ein Luftüberwachungssystem mit derzeit über 50 Messstationen. Viele Stationen, darunter diejenigen in Nürnberg-Langwasser und -Ziegelstein, wurden wieder abgebaut, weil man hier stets weit unter den Grenzwerten blieb. Die Station in der Nürnberger Von-der-Tann-Straße steht stellvertretend für hochbelastete Straßenabschnitte im Beurteilungsgebiet Nürnberg-Fürth-Erlangen. Insgesamt gibt es in Nürnberg fünf Messstationen, mehr als die europäische Richtlinie vorschreibt. © Claus Völker/dpa
Luftreinhaltepläne
Städte, in denen die Luftgrenzwerte überschritten werden, müssen Luftreinhaltepläne erstellen, die Maßnahmen zur Luftverbesserung aufzeigen. Solche Pläne gibt es für Ansbach, Bayreuth und Nürnberg/Fürth/Erlangen. Letzterer wurde zweimal fortgeschrieben, jeweils aber nur für das Stadtgebiet Nürnberg. Fürth und Erlangen haben sich gegen Umweltzonen ausgesprochen. "Wenn der Freistaat sich nach dem Gerichtsurteil genötigt sieht, Umweltzonen einzuführen, wird man sich wohl noch einmal zusammensetzen müssen", meint Nürnbergs Umweltreferent Pluschke. © Sebastian Gollnow
Aktuelle Werte
Informationen über aktuelle NO2-, Feinstaub- oder Schwefeldioxidwerte kann man im Internet unter www.lfu.bayern.de/luft/immissionsmessungen abrufen. Hier sind Stationen in Nürnberg, Fürth, Erlangen, Ansbach, Schwabach, Burgbernheim, Bayreuth und Bamberg aufgelistet. Früher gab es in Nürnberg noch hohe Schwefeldioxid- und Kohlenmonoxidbelastung. Diese gehören jedoch der Vergangenheit an. Unter http://wdc.dlr.de/data_products/ projects/promote/BY-forecast/index.php findet man eine Vorhersage der bayerischen Schadstoffbelastung. © Oliver Berg/dpa
Gesundheit
Stickstoffdioxid reizt die Atemwege und die Augen und kann langfristig die Lunge schädigen. An Arbeitsplätzen beträgt der Grenzwert mit 950 Mikrogramm allerdings ein Vielfaches. "Da geht es aber um erwachsene, gesunde Menschen. In der Allgemeinbevölkerung gibt es auch viele Kinder, Kranke und Alte", betont Nürnbergs Umweltreferent Pluschke. „Der Grenzwert von 40 Mikrogramm ist sehr gut begründet“, entgegnet er Kritikern, die gesundheitliche Auswirkungen bestreiten. Die Weltgesundheitsorganisation habe ursprünglich sogar 30 Mikrogramm gefordert. © Bernd Weissbrod
Dieselmilliarde
Der Bund hat ein mit einer Milliarde Euro hinterlegtes "Sofortprogramm saubere Luft" aufgelegt, Sonderkoordinator ist Erlangens Ex-OB Siegfried Balleis. Gefördert werden die Elektromobilität, die Nachrüstung von Dieselbussen und die intelligente Verkehrssteuerung. "Entscheidend ist, dass man zunächst in Maßnahmen investiert, die die Werte maximal reduzieren, also Busse, Taxen und Lieferfahrzeuge angeht, und nicht Fahrzeuge, die fast nur in der Tiefgarage stehen", meint Balleis. Der ersten Dieselmilliarde müsse zudem kontinuierlich weitere Förderung folgen. © Daniel Reinhardt/dpa
Automobilindustrie
Mit großer Anspannung verfolgte die deutsche Autoindustrie den Prozess. Sowohl der VW-Konzern als auch Daimler und BMW sind noch auf Jahre auf den Erfolg ihrer Diesel-Modelle angewiesen — wenig könnte da zerstörerischer sein als Fahrverbote in deutschen Städten. Allein schon die Debatte darüber hatte die Diesel-Absatzzahlen sinken lassen. Entsprechend warnt der Branchenverband VDA vor "politischen Schnellschüssen" und wirbt für "intelligentere Maßnahmen" gegen die Luftverschmutzung. Und mit der neuesten Diesel-Generation werde eh alles besser. © Julian Stratenschulte
Städte protestieren
Der Deutsche Städtetag sieht die Schuld an der Diesel-Misere vor allem bei der Autoindustrie, die deshalb auch bei der Reduzierung der Belastung besonders gefordert sein sollte. Doch stattdessen müssten die Städte nun die Folgen der Abgasmanipulationen ausbaden. Sonderkoordinator Balleis plädiert derweil für eine unaufgeregte Lösung des Problems: "Es sollte kein Schwarzer-Peter-Spiel geben. Der Bürger unterscheidet nicht zwischen den Akteuren, er sagt: Die Politik muss für Ordnung sorgen. Deshalb sind jetzt alle Stellen in der Verantwortung." © A4366/_Sven Hoppe
Folgen des Urteils
Das Gericht entschied nur über die rechtliche Zulässigkeit von Fahrverboten, nicht über Fahrverbote selbst. Diese einzuführen, bleibt Sache der Länder und betroffenen Kommunen. Doch der Druck ist seit dem Urteil gestiegen. Denn Experten sind sich einig: Wenn es um schnelle Verbesserungen geht, wäre ein Fahrverbot hoch effektiv. © dpa
Fahrverbote
Sind alle Pkw betroffen oder nur Diesel oder nur solche mit niedrigen Abgasnormen? Welche Ausnahmen müsste es geben? Wie ein Fahrverbot konkret in der Praxis aussehen würde, ist aktuell völlig offen. Nürnberg, Fürth und Erlangen wären aber sicher nicht die ersten Städte, die eine solche Maßnahme als letztes Mittel gegen zu hohe Schadstoffwerte in der Luft einsetzen müssten. Sollte es jedoch doch einmal dazu kommen, wäre in Nürnberg beispielsweise eine Umweltzone innerhalb des Mittleren Rings denkbar — der Ring selbst vielleicht sogar eingeschlossen. © Marijan Murat (dpa)