Wütende Musketiere der Menschenrechte
9.1.2003, 00:00 UhrWir wollten einige Reisen im Jahre 2003 zu Schauplätzen unternehmen, wo Menschenrechts-Verletzungen passieren. Das erste Ziel war das Kaukasus-Land Tschetschenien. Die Visa hatten wir bei der Botschaft der russischen Republik bekommen. Ich hatte sogar für 260 Euro ein Jahresvisum.
Zudem hatten wir eine Vereinbarung mit dem Putin-Beauftragten für Tschetschenien, Ahmed Kadyrow, für den 8. 1. 2003 in Moskau. Kadyrow hatte sich im letzten Jahr per Brief für die Blockaden, die Cap Anamur erlitten hatte, entschuldigt und bat uns, die Arbeit in der ihm anvertrauten Region wieder aufzunehmen.
Auch die tschetschenischen Flüchtlinge in Inguschetien, die wir gefragt hatten, waren nicht dagegen, dass wir den Versuch machen, das Elend der Flüchtlinge in dem Nachbarland Inguschetien zu lindern. 160 000 Menschen leben dort in unglaublich primitiven Katakomben und Höhlen, unter hygienischen Verhältnissen, die zum Himmel stinken. Sie wollen nach Tschetschenien zurück, haben aber Angst vor der russischen Armee.
Deshalb könnte unser Programm so aussehen: Russland lässt die Flüchtlinge unter Begleitung von Hilfsorganisationen zurück. Der nächste Schritt wäre dann der Aufbau einer medizinischen und schulischen Infrastruktur, so dass sich langsam wieder ein ziviles Leben in der Kaukasus-Republik Tschetschenien entwickelt.
Das alles wollten wir um zehn Uhr im Hotel Ukraina besprechen. Dann wollten wir mit der russischen Menschenrechts-Organisation Memorial sprechen sowie mit der russischen Journalistin Anna Politkovskaja, die die ganze Zeit immer wieder mit den Menschen in den Höhlen in Grosny und an anderen Orten zusammen war.
Danach wollten wir dann nach Inguschetien fliegen. Dafür hatten wir die Flugkarten gekauft, und hatten schon die Hotelzimmer bestellt. Immer in der Hoffnung, dass uns Kadyrow auch einen Besuch in Grosny in der Hauptstadt Tschetscheniens ermöglichen würde.
Das alles aber wurde am 7. Januar 2003, um 15.45 Uhr Moskauer Zeit abrupt von der russischen Regierung beendet. Wir drei wurden aus der Warteschlange vor den Immigrationsschaltern ausgesondert. Unsere Pässe wurden uns weggenommen, mein Flugticket ebenfalls. Ein Polizist musste aufpassen, dass wir uns nicht vom Fleck bewegen würden. Norbert Blüm, dem langjährigen Minister, wurde nicht mal der Gang zur Toilette in 30 Metern Entfernung erlaubt.
Dann wurden wir zu einem Büro des Außenministeriums geführt, wo uns jemand erklärte, dass wir nicht weiterfliegen könnten. Sie machten den Versuch, diese Dreiergruppe zu spalten. Wallraff würde auf keinen Fall weitergehen können, sondern müsste mit der Lufthansa zurück, Blüm und Neudeck würden erst noch befragt werden.
Norbert Blüm verlangte, dass wir den deutschen Botschafter sprechen. Das wird uns in Anwesenheit des Chefs der Lufthansa Moskau verweigert. Dann kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Wir verlangen, dass unser Gepäck mit uns zurückfliegt und der Geheimdienst keine Möglichkeit bekommt, das alles zu filzen. Erst wollen die Beamten das verweigern. Weil sie aber merken, dass das nicht klappt, lassen sie die Gepäckstücke holen. Wir sind um 19 Uhr wieder in Frankfurt.
Wladimir Putin hat die OSZE-Beobachter zum Jahresende aus Tschetschenien gejagt — als die westliche Welt mehr mit Silvester beschäftigt war als mit Protesten gegen einen der wichtigsten Verbündeten in der Anti-Terror-Allianz.
Und das ist wohl der entscheidende Grund: Die USA haben sich mit Putin geeinigt. Er kann Öl liefern für die Amerikaner und bekommt grünes Licht für Tschetschenien. Dafür stimmt Putin mit den USA im Weltsicherheitsrat für den Irak—Krieg. Aber die Menschenrechts-Musketiere Blüm, Neudeck, Wallraff werden nicht aufhören, nach Wegen zu suchen, zu den Tschetschenen zu kommen.
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