NZ-Kommentar: Tödliche Zeiten für Satire

8.1.2015, 11:38 Uhr

„Die Rache ist mein . . . spricht der Herr“: Christen wissen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, an vermeintlich Gottlosen Vergeltung zu üben. Und sie haben gelernt, dass eine Gesellschaft nicht des Teufels sein muss, wenn sie im Zeichen der Freiheit auch Formen der Religionskritik zulässt, die an die Schmerzgrenze gehen.

„Wir haben den Propheten gerächt!“ riefen dagegen die islamistischen Mörder, nachdem sie in Paris zwölf Mitarbeiter eines Satire-Magazins getötet hatten, deren Karikaturen nicht ihren Beifall fanden. Die Frage ist müßig, welcher der zahllosen Ausprägungen des Islam die Bluttat zuzuschreiben ist. Es hat auch wenig Sinn, die Motive der Täter in der einen oder anderen Koran-Sure zu suchen. Ohne allzu grobe Vereinfachung kann aber gesagt werden, dass Ironie, Satire und Selbstkritik nicht zu den Stärken der islamischen Welt gehören.

Man mag einwerfen, dass sich alle Religionen mit der Infragestellung ihrer selbst schwer tun, da es ihnen doch um absolute Wahrheiten geht. Dennoch ist in den vom Christentum geprägten Gesellschaften Europas der kritische Diskurs – mitunter gegen den Widerstand der Kirche – stets lebendig geblieben. Umgekehrt führte die zunehmende theologische Erstarrung des Islam zu einer Lähmung des intellektuellen Lebens ganz allgemein. Hier liegen die tieferen Wurzeln jener allgemeinen Rückständigkeit, für deren Folgen sich ausgerechnet ihre islamistischen Verursacher am Westen zu rächen versuchen.

Dabei ist es zumindest in Europa nicht das Christentum, dem der ganze Hass der radikalen Muslime gilt. Auf deren Todeslisten stehen vielmehr jene, denen überhaupt nichts mehr heilig zu sein scheint. Auch wenn es vielleicht nicht ins Weltbild der Pegida-Leute passt: Nicht Kirchen sind die Ziele der muslimischen Rachekommandos, sondern Journalisten, mit denen die vermeintlichen Retter des Abendlandes ja selbst ihre Schwierigkeiten haben.

Tatsächlich sind die Parallelen zwischen Teilen der politischen Rechten und ihrem islamischen Feindbild gar nicht so weit hergeholt. Ausgerechnet am Tag des Anschlags auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ erschien in Paris der Roman „Die Unterwerfung“. Michel Houellebecq schildert darin mit feiner Ironie, wie sich das konservative französische Bürgertum mit islamischen Kräften zusammentut, um das Land vor weiterer moralischer Zersetzung zu retten. Wäre es denkbar, dass Schläge gegen eine als ätzend empfundene „Journaille“ auch außerhalb islamistischer Kreise klammheimliche Zustimmung finden?