Ein Heim kann auch Zuhause sein

15.8.2008, 00:00 Uhr
Ein Heim kann auch Zuhause sein

© Hippel, Matejka

Die Wände sind im freundlichen Terrakotta verputzt, auf allen Balkonen blühen die Geranien und im Innenhof plätschert ein kleiner Brunnen. Wie ein etwas zu groß geratenes Einfamilienhaus wirkt das Gebäude, erinnert eher an eine Ferienpension als an ein Altenheim.

Drinnen setzt sich der positive Eindruck fort. Am Schwarzen Brett stellen sich alle Mitarbeiter mit Namen und Foto vor, im Aufenthaltsraum gibt es Kaffee und Wasser für die Besucher und ein Schild bittet dafür um Verständnis, dass es während der Dienstübergabe manchmal zu Verzögerungen kommen kann.

Freundlicher Umgangston

Freundlich scheint er zu sein, der Umgangston im Altenheim Forstweiher in Eibach, das in zwei Häusern 100 Plätze offeriert - und das ist kein Zufall. Uwe Lüttke, der das private Heim und zwei weitere in Stein und Lauf gemeinsam mit seinen Töchtern Kristine und Evi führt, weiß, wie wichtig die Atmosphäre für die Bewohner ist. «Wir wollen ein Stimmungsbild, das die Kunden anspricht», sagt der 57-Jährige.

Doch bei der schönen Außenansicht bleibt es nicht. Bis ins Detail scheint das Haus liebevoll geplant zu sein - angefangen von der auch für Rollstühle unterfahrbaren Kochplatte im Gemeinschaftsraum bis hin zur mit Blumenkästen umkränzten Terrasse, die verwirrte Bewohner dezent am Weglaufen hindern soll.

Lüttke will künftigen Bewohnern und deren Angehörigen den schweren Schritt ins Heim erleichtern. Es sei für jede Familie psychologisch belastend, einen geliebten Menschen ins Heim zu geben, sagt der Leiter. «Das zu akzeptieren ist schon eine Riesenherausforderung.» Oft nage an denen, die die Entscheidung zu treffen haben, das schlechte Gewissen. Das Wort «abgeschoben» stehe im Raum.

Sofie Wöllner empfindet das nicht so. Die 74-Jährige lebt seit drei Jahren in der Anlage, kam direkt aus dem Krankenhaus her. «Mir gefällt’s da», sagt sie. «Daheim wär’ ich allein, hier habe ich wenigstens Unterhaltung.» Gedächtnistraining, Hausmusik, Ausflüge, - das umfangreiche Programm, das drei Ergotherapeutinnen organisieren, gefällt auch Anna Forstner. Sie fühle sich wohl hier, sagt die 88-Jährige, verhehlt aber nicht, dass sie sich an das ganz andere Leben erst einmal gewöhnen musste. «Ein Heim ist kein Heim», sagt sie - und genießt dennoch das Zusammensein mit den anderen Senioren. Wenn die Atmosphäre passt, spüren das auch die Mitarbeiter. «Viel familiärer» als anderswo sei es hier, sagt die Altenpflegerin Christine Sindel. «Und hier wird mehr auf die Wünsche der Bewohner eingegangen.» Das Team funktioniere gut, deshalb fühle sie sich auch keineswegs überlastet.

Pflegedirektor Thomas Leineweber würde sich dennoch einen anderen Personalschlüssel wünschen. Nicht pflegewissenschaftliche Kriterien, sondern rein fiskalische Erwägungen spielten bei der Ausstattung eine Rolle, kritisiert er. Verantwortlich dafür sei die Politik. «Wir arbeiten an der Grenze und oft darüber hinaus», sagt auch Lüttke. Offenbar mit Erfolg: Von der Heimaufsicht gab es beim letzten Besuch viel Lob und kaum etwas zu beanstanden.

Nicht klein und kuschelig, sondern großzügig und weitläufig - so präsentiert sich das Adolf-Hamburger-Heim im Norden der Stadt. Betrieben wird es von der Israelitischen Kultusgemeinde, und deren Vorsitzender, der SPD-Stadtrat Arno Hamburger, legt bei seinen Mitarbeitern vor allem auf eines Wert: Sie sollen mit den Bewohnern so umgehen, «wie sie erwarten würden, dass mit ihnen umgegangen wird, wenn sie in dieser Lage sind».

Was das bedeutet, hat Werner Kilian erlebt. Der 78-Jährige war sechs Jahre lang als Ombudsmann Ansprechpartner der Bewohner und hat «nie eine einzige Beschwerde» bearbeiten müssen. Die Behandlung der Leute sei toll, schwärmt Kilian, dessen Mutter bis vor kurzem in dem Heim lebte. Mit 98 Jahren starb sie vor wenigen Tagen, die Einrichtung war laut ihrem Sohn längst ihr Zuhause geworden. Ihm sei es nicht leichtgefallen, seine Mutter von daheim wegzubringen, erinnert er sich. «Doch hier hat einfach alles gepasst.» Viele Heime habe er sich angeschaut, oft habe schon die Sauberkeit nicht seinen Vorstellungen entsprochen. Doch hier sei alles tipptopp, «in dem Haus riecht’s nicht».

Diese äußeren Rahmenbedingungen hält auch Hamburger für wichtig. Doch mehr noch kommt es ihm auf das Miteinander an. Etwa die Hälfte der Bewohner spricht nicht gut deutsch, viele stammen aus Russland, deshalb ist Personal mit Sprachkenntnissen gefragt. Die Kommunikation sei wichtig, betont Hamburger. Schließlich ist die Biografie der Bewohner Bestandteil der alltäglichen Arbeit, wie auch die Leiterin des Pflegedienstes, Iwona Wisniewska, bestätigt. «Wir haben einer ehemaligen Schauspielerin, die viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt, auch schon die Fingernägel lackiert.»

Mit dem jeweiligen Lieblingsessen hält Hanna Nossen, die für den Hausservice zuständig ist, die Kunden bei Laune. Ob russischer Eintopf, Pudding zum Frühstück oder ein Ei, zubereitet wird auf Wunsch fast alles, nur koscher muss es sein.

«Einfach mal zuhören»

Mal abgesehen von der Küche spiele die Konfession aber keine Rolle, betont die Verwaltungschefin Antje Grauel. Auch christliche Festtage werden begangen. «Wir feiern doppelt», sagt Wisniewska. Auf die 80 Bewohner wartet nicht nur ein idyllischer Garten, sondern täglich ein abwechslungsreiches Programm vom Sitztanz bis hin zum Politikcafé. Wer wegen der abrupten Änderung seiner Lebensumstände vorübergehend in einer Krise ist, kann auch ein Einzelgespräch beim sozialen Dienst in Anspruch nehmen. Auf die Bedürfnisse der Bewohner so gut wie möglich einzugehen, das halten Grauel und ihre Kolleginnen für besonders wichtig. Einfach mal zuhören, Sorgen nicht abzutun, «wenn das gelingt, dann fühlen sich die Menschen ernst genommen», so Wisniewska.

Eine Umstellung sei’s schon, plötzlich im Heim zu leben, sagen Otto und Irma Lechner. Doch das Paar hat seine geräumige Zwei-Zimmer-Wohnung mit eigenen Möbeln bestückt und fühlt sich mittlerweile wohl. Zu Hause im Heim - wenn die Bedingungen stimmen, klappt es doch.