Kontakte lösen das Problem nicht

Mitten in Nürnberg: Amis leben im Ghetto

15.10.2021, 07:58 Uhr
Mitten in Nürnberg: Amis leben im Ghetto

© Volker Ranke

Der Deutsche ist seit neun Jahren katholischer Hilfskaplan in den Merrell Barracks; jener US-Kaserne, die durch einen Bericht der amerikanischen Zeitung „Washington Post“ zu weltweiter trauriger Berühmtheit gelangt ist. Hier blühe der Rauschgifthandel, herrsche Gewalttätigkeit und wüte der Rassenhaß. Als Seelsorger der GIs kennt Dr. Holzbauer ihre Probleme wie kaum ein anderer. Zwar bestreitet er nicht, was die amerikanischen Journalisten recherchiert haben. Aber er befürchtet, daß dadurch ein einseitiges Bild in der Öffentlichkeit entstanden ist. Gerade die Nürnberger dürfen sich kein vorschnelles Urteil leisten, meint der Pater. Denn wenn schon Anklage – dann seien auch die Nürnberger mitschuldig.

Einseitiges Bild

Das ist die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung aus einem Gespräch, das die „NN“ mit dem Jesuitenpater führten.

NN: Pflichten Sie, Pater, dem amerikanischen Zeitungsartikel über Rassenkonflikt, Rauschgifthandel und Gewalttätigkeit in den Merrell Barracks bei?

Dr. Holzbauer: „Der Artikel wurde zweifellos in Sorge und in konstruktiver Kritik geschrieben. Und doch scheint er mir ein relativ einseitiges Bild zu zeichnen.“

NN: Da wird zum Beispiel ein Soldat zitiert, der in vier Wochen wiederholt brutal zusammengeschlagen wurde. Haben Sie Angst, Pater, durch die Kaserne zu gehen?

Dr. Holzbauer: „Ich habe keine Angst, nein. Man kann nicht so pauschal urteilen, in der Kaserne herrsche Brutalität. In dem Artikel der „Washington Post“ wird alles Positive, das Sie in der Kaserne finden können, einfach gestrichen: 1. das soziale Engagement der alten Sergeanten und Offiziere; 2. das sehr offene Gespräche der Soldaten – auch der weißen und schwarzen – untereinander über ihre Probleme und sehr pointiert über das Rassenproblem; 3. die sehr positive Arbeit der kirchlichen Gruppen. Diese Arbeit ist in der Kaserne ungemein stärker entwickelt als in unserem Zivilleben. Die Gottesdienstbeteiligung der Verheirateten liegt zwischen 50 und 60 Prozent, die der Ledigen zwischen 20 und 30 Prozent. Wir müssen die Vorurteile vom ‚reichen Amerikaner‛ bis zum ‚ungezügelten GI‛ abbauen. Im Rahmen der Nürnberger Gesamtkriminalität liegt die des US-Soldaten weit unter dem Durchschnitt.“

NN: Warum gibt es bei den GIs einen so großen Rauschgiftkonsum?

Dr. Holzbauer: „Amerikas Jugend geht so ungern zur Armee wie unsere. Sie ist verunsichert durch die innen- und außenpolitische Lage. Das Rauschgift kennt der GI von zu Hause her so gut wie unsere Oberschüler. Und er bekommt es in Nürnberg viel billiger als drüben in den Staaten.“

NN: Mit welchen Problemen werden Sie als Seelsorger am häufigsten konfrontiert?“

Dr. Holzbauer: „Das ist die Wohnungsfrage des verheirateten US-Soldaten. Viele Nürnberger Hausbesitzer vermieten überhaupt nicht an Amerikaner. Andere verlangen enorm hohe Mieten: für ein schlecht möbliertes Zimmer mit Küche über 300 Mark. Viel schlimmer noch ist die Wohnungssuche für den schwarzen Soldaten. Es gibt nur drei, vier Straßen in Nürnberg, in denen Schwarze wohnen. Diese Straßen werden zum Ghetto gestempelt. Vergessen wir nicht das Gaststättenproblem. Zusammengefaßt: schwarze wie weiße Soldaten fühlen das Abgesondertsein von der Nürnberger Bevölkerung, und die Schwarzen fühlen es besonders deutlich. Das verursacht natürlich Aggression.“

NN: Sie kennen Deutsche wie Amerikaner. Sehen Sie eine Lösung des Problems?

Dr. Holzbauer: „Seit 25 Jahren leben die Amerikaner bei uns, ohne integriert zu sein. Kontakte gibt es eigentlich nur auf zwei Ebenen: die offiziellen Kontakte ganz oben, etwa zwischen Oberbürgermeister und US-Kommandeur, und die Kontakte auf sehr niederer Ebene, etwa beim Rauschgifthandel. Eine bessere Integration würde ich mir bei den nichtoffiziellen, sondern mehr persönlichen Initiativen auf beiden Seiten versprechen. Das Caritas-Pirckheimer-Haus ist, glaube ich, das einzige Haus, das solche Kontakte pflegt. Da geben GIs deutschen Schülern Nachhilfeunterricht in Englisch, und da finden regelmäßig Abende für Soldaten und amerikanische Ehepaare statt."

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