Kreativer Roßtaler Kutschenbauer

13.9.2015, 06:00 Uhr
Kreativer Roßtaler Kutschenbauer

© Foto: Sabine Rempe

Vorsichtig klettern Lena (9), Valentina (6) und Konstantin (3) für ein Foto in das ungewohnte Gefährt. Nein, Kutschen sind ihnen nicht vertraut. Wie denn auch? So gibt es an diesem Morgen in Roßtal eine doppelte Premiere: für die Kinder, aber auch für das mustergültige Fuhrwerk, das Georg Warnick entworfen und angefertigt hat. Jetzt steht er neben seiner Kutsche, eine Hand an der Deichsel.

Kritisch mustert der große, dünne Mann seine Arbeit, als wollte er prüfen, ob alles gelungen ist. Er klettert auf den Kutschbock. Seine Miene entspannt sich. Georg Warnick lacht und freut sich. Sein Entwurf ist genauso geglückt, wie die Überraschung, die er daraus gemacht hat. Eine ganze Weile wusste nämlich kein Familienmitglied, woran er tüftelt, wenn er sich wie üblich an Hobelbank und Bandsäge zurückzog.

Ein Jahr lang hat die Kutsche den gelernten Wagner beschäftigt. „Meist bin ich in der Früh für zwei Stunden in die Werkstatt, anschließend hab’ ich mich an den Schreibtisch gesetzt, hab’ nachgedacht, geplant und gezeichnet.“ Auf die Frage, warum er die Mühe auf sich genommen hat, antwortet der leidenschaftliche Handwerker mit größter Selbstverständlichkeit: „Einfach aus Freude“.

Familientradition

Der Fortschritt hat seine Fertigkeiten ins Geschichtsbuch verbannt und doch lebt hier eine Tradition, die eng mit der Familie verknüpft ist: „Mein Großvater Adam Warnick hat die Wagnerei 1880 gegründet.“ Ein mutiger Schritt sei das gewesen. Standen ihm zunächst doch bloß wenige Werkzeuge wie Handbeil, Hobel und ein paar Bohrer zur Verfügung. „Aber damit hat er Wagenräder gemacht.“ Adam heiratete eine Roßtalerin und erwarb das Anwesen, in dem die Familie bis heute lebt. „Das war am Anfang nur eine Wohnhütte, nach und nach wurden Haus und Werkstatt aus- und angebaut.“

Georgs Vater Wolfgang übernimmt die Wagnerei und übergibt sie 1953 an den Sohn, der bei ihm gelernt hat. 1980 muss Georg Warnick den Betrieb abmelden, den er bis dahin im Nebenberuf weitergeführt hat: „Es war nix mehr los. In der Landwirtschaft wurde der Wagner nicht mehr gebraucht, es gab keine Beschäftigung mehr.“

Schon viele Jahre zuvor hatte er neue Wege beschritten. Von 1949 bis 1962 führte er neben der Werkstatt die Raffeisenbank. „Wo der große Geldschrank stand, ist heute unser Wohnzimmer.“ Lange Zeit war er zudem als Lohn- und Gehaltsrechner unter anderem in Zirndorf beschäftigt. Seine Liebe zum Handwerk gab Georg Warnick dennoch nie auf. „Ich war kreativ und kam auf Ideen“, schmunzelt er und erinnert sich an Steigleitern, Türen, Fenster, Handwagen, Schubkarren, Garagentore, die er gebaut hat. „Und nicht zu vergessen, gleich nach dem Krieg, sogar Spinnräder.“

Er steht auf, geht in seine Werkstatt und kommt mit einer Fußbank und einem Rechen zurück. „Das verstehe ich unter kreativ“, erklärt der 90-Jährige und zeigt, wie geschickt der Schemel von unsichtbaren Dübeln zusammengehalten wird, während der Rechen mit 21 passgenauen Zinken aus Leichtmetall punktet.

„Was ein langes Leben so alles intus hat“, wundert sich Georg Warnick irgendwann im Gespräch. Im Krieg war der 1925 Geborene Kradmelder in Italien und wurde verwundet. Viel lieber aber erzählt er von seiner Imkerei. „1951 bin ich zur Grünen Woche nach Fürth, in einem Schaukasten habe ich die Bienen gesehen und da war ich direkt total verratzt.“ Augenblicklich schrieb Warnick an den Bundesverband der Imker. „Ich bat um ein Buch für Anfänger.“ Das lag kurz darauf in der Post.

Selbst gebautes Bienenhaus

Ein wunderbares Hobby war gefunden. „Zuletzt hatte ich zehn Völker.“ Natürlich lebten die in einem von ihm gebauten Bienenhaus.

Seine Kutsche wird jetzt wieder in die Werkstatt gerollt und Georg Warnick stellt seine Geräte und Maschinen vor. Beinahe klingt das, als stünden hier lieb gewonnene Freunde zusammen. „Die Bandsäge ist Baujahr 1923, die Hobelbank haben wir 1938 gebraucht gekauft.“ Und dann ist da noch die Drechselbank von 1942. „Die ist ganz wichtig. Das Drechseln ist meine große Liebe.“

All das kam zum Einsatz – und noch mehr. Auch die Eisenbereifung für die Räder hat Warnick angebracht, ebenso wie das exakt bemessene diagonale Muster auf dem Radkasten. Natürlich stecken dahinter ungezählte Arbeitsstunden. Nur eines blieb gering: Die Kosten für das Material: „Das Holz hatte ich noch, ich musste nur ein paar Kleinigkeiten kaufen.“

Das Prachtstück ist fertiggestellt. Will Georg Warnick jetzt die blaue Latzarbeitshose, die er selbstverständlich trägt, an den Nagel hängen und sich zur Ruhe setzen? Ein energisches Kopfschütteln: „Meinen Vater habe ich sagen hören: Aufgehört wird erst, wenn’s gar ist.“ Er hält es genauso und überhaupt: „In meinem Alter will man doch auch noch a weng eine Erfüllung haben.“

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