Bomben und Hexen: Es war einmal ein Weimar-"Tatort"

5.2.2017, 21:40 Uhr
Die Hauptkommissare Kira Dorn (Nora Tschirner, 2.v.l.) und Lessing (Christian Ulmen, re.) besprechen sich mit ihrem Kollegen Tobi (Fridolin Sandmayer, li.). Ernster wird es in diesem "Tatort" dann auch nicht mehr.

© MDR/Anke Neugebauer Die Hauptkommissare Kira Dorn (Nora Tschirner, 2.v.l.) und Lessing (Christian Ulmen, re.) besprechen sich mit ihrem Kollegen Tobi (Fridolin Sandmayer, li.). Ernster wird es in diesem "Tatort" dann auch nicht mehr.

"Tatort"-Episoden aus Weimar sind eine kleine Besonderheit, stechen sie doch durch ihre andersartigen Geschichten hervor. Die Ideen für die skurrilen und liebenswürdigen Storys filtern die beiden Autoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger aus dem Wasser der Ilm. Manchmal zumindest. Manchmal stoßen sie auch bei ihren vielen Expeditionen durch das kalte, thüringische Hinterland auf faszinierende Legenden, von denen ihnen Dorf-Älteste bei einem leckeren Gläschen grobe Wurst bereitwillig erzählen. Wie praktisch, dass Clausen und Pflüger stets einen Füller und ein Blatt Papier bei sich tragen.

Ihre schrägen Kompositionen in Kombination mit dem so angenehm untypischen und grandios miteinander harmonierenden Ermittler-Gespann Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) ließen die bislang drei ausgestrahlten Weimarer Folgen zu äußerst ansprechenden filmischen Leckerbissen mutieren. Sie meisterten die Grätsche zwischen Krimi und Klamauk mit Bravour. Ähnlich wacker schlägt sich auch der neue Fall vom scheidenden Schupo.

Das Märchen von Lupo

Das vierte Drehbuch von Clausen und Pflüger trägt bei genauerer Betrachtung viele märchenhafte Züge. Im Mittelpunkt steht der arme Schutzpolizist Ludwig Maria Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey), den alle nur Lupo nennen. Obwohl er jeden Tag seinen Kakao auf dem Revier schlürft, kennt ihn kaum einer seiner Kollegen. Der schüchterne Gesetzeshüter kämpft gegen die tödlichen Fesseln seines Schicksals an. Erst entgeht er nur knapp einem Bombenanschlag in seinem kleinen Rosengärtchen. Dann wird ihm unbemerkt eine tödliche Dosis Rizin verabreicht. Er hat nur noch 72 Stunden Zeit, um herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist.

Wie in einer Fabel betreten nun zwei bitterböse, untereinander zerstrittene Töchter die Szenerie. Es tauchen üble Schurken auf und sogar eine Kräuterhexe mit einer ziemlich langen Nase und silbrig glänzendem Haar. Sie alle hätten so ihre Motive und stehen nebenbei bemerkt in einer engen familiären Verbindung zueinander. Diese delikaten Informationen kommen jedoch nur peu à peu ans Tageslicht, was dem filmischen Spannungsbogen zugute kommt.

Natürlich dürfen in einem Märchen eine Burg auf dem Berg und ein Dorf im Tal, wo die Schlote vor sich hin qualmen, nicht fehlen. Die Fabrik in "Der scheidende Schupo" produziert hochwertiges Porzellan. Deren Eigentümer ist Vater der zwei sich immerzu zankenden Schwestern. Er kam kürzlich bei einem mysteriösen Unfall ums Leben und war als Weiberheld verschrien. Dorn und Lessing tauchen tief ein in das Beziehungsgeflecht einer ehemaligen Kindergartengruppe. Schnell stellen die Ermittler fest, dass sich in deren Köpfen seit frühester Jugend nichts verändert hat.

Eine Prise "Coming Of Age"

Den Charakter des Märchens untermauern auch äußere Rahmenbedingungen wie zum Beispiel das Wetter. So ist es draußen kalt und innen warm. Man möchte sich schnell verkriechen, in Sicherheit bringen vor all dem Bösen da draußen. Und weil "Der scheidende Schupo" außerdem ein stückweit "Coming Of Age"-Kino ist, zwingt die Liebe einen nicht mehr ganz so taufrischen Schupo dazu, endlich hervorzutreten und seinen Mann zu stehen. Im Verlaufe der 90 Minuten findet die Verwandlung eines kleinen, schüchternen Polizisten zu einer Persönlichkeit mit vielerlei Facetten statt. Lupo wird richtig erwachsen. Und gefährlich.

Am Ende gehen den Autoren wie gehabt ein wenig die kreativen Gäule durch. Sie schmieren etwas viel Senf auf die natürlich nicht fehlen dürfende Thüringer Bratwurst. Das tut dem Unterhaltungswert des Films jedoch keinen Abbruch. "Der scheidende Schupo" ist heiter und grotesk. Und doch an der einen oder anderen Stelle tiefergehend als gedacht. In diesen Momenten halten Lessing und Dorn dann brav die Klappe. Lachen ja – aber nicht um jeden Preis.

So ist das kleine Märchen aus Weimar nicht nur genau das Richtige für die Anhänger von Nora Tschirner und Christian Ulmen, sondern auch für Zuschauer mit einer Leidenschaft für Fliegerbomben, Armbrüste, Biotoiletten und Mausoleen geeignet. Und wenn sie nicht gestorben sind, ermitteln sie bald weiter.

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