Falk Richter denkt Fassbinder weiter

5.10.2016, 18:30 Uhr
Falk Richter denkt Fassbinder weiter

© Foto: Olah

Gegen Ende haben sich die Protagonisten ins Private zurückgezogen. Es geht ganz unmittelbar ums eigene Ich, um Selbstvergewisserung und Paarbeziehung, auch um individuelle Freiheit. Die Verunsicherung beziehungsweise das unbedingte Bedürfnis nach Sicherheit hat sich gleichsam aus dem öffentlichen Raum in die eigenen vier Wände verlagert. Kann in unruhigen Zeiten dieser Rückzug die Alternative zu politischem Denken und Handeln sein? Oder ist er die Konsequenz aus zunehmender Verunsicherung angesichts von Migration, Terror und wachsenden rechtspopulistischen Tendenzen im Land? Man darf da von Falk Richter Denkanstöße erwarten, Antworten oder Lösungen — das sei vorausgeschickt — bietet er nicht.

Zunächst lässt der Autor in „Je suis Fassbinder, Deutschland im Herbst 2016“ (im März in Straßburg uraufgeführt) Revue passieren, wie das sich wandelnde Weltgeschehen die deutsche (oder europäische) Gesellschaft spätestens seit dem Herbst des vergangenen Jahres entzweit und sichtlich verändert. Eine Thematik, mit der sich Richter schon ausführlich in seinem Stück „Fear“ von 2015 auseinandergesetzt hat.

Emotionaler Einstieg

Mit Videosequenzen von Pegida-Auftritten und Gegendemonstrationen, Aleppo-Ruinen, Flüchtlingsströmen und Anti-Burka-Parolen, die jeder aus TV und Internet kennt, gelingt dem Nürnberger Regisseur Barish Karademir gleich ein emotionalisierender Einstieg in das fragmentarisch angelegte Stück. Es geht also um die Angst vor dem Fremden, einer vermeintlichen Bedrohung, um politisches Dilettieren — und mithin um Argumente, Gegenreden und Gedanken, die so oder so ähnlich bereits in ungezählten Talkshow-Runden verhandelt und längst Klischee geworden sind.

Gefordert ist aber auch der deutsche Mann, der statt Yoga zu üben lieber mal jemandem „in die Fresse“ schlagen soll. All das wäre nichts weiter als eine bloße Abbildung der aufgeregten Wirklichkeit, würde Richter solche Befindlichkeiten nicht mit Witz, Tücke und Zitaten auf dem Fundament von Fassbinders „Deutschland im Herbst“ reflektieren.

Rückbezug auf RAF-Terror

In dem Episodenfilm von 1977 befassen sich verschiedene Regisseure mit den hysterischen Zeiten angesichts des RAF-Terrors. Im radikalen Dialog mit ihrem Sohn sehnt sich Fassbinders Mutter da nach einem „autoritären Herrscher“, der „gut, lieb und artig“ ist. 40 Jahre später ist der Weg nach Dunkeldeutschland nicht weit.

Barish Karademir bekommt Richters wütenden, teils ausufernden Text wunderbar in den Griff. Auf der von André Schreiber offen und wandelbar gestalteten Bühne lässt er eindringliche, pointierte Bilder entstehen. Obwohl hier keine fortlaufende Geschichte, sondern eher in Episoden erzählt wird und die Schauspieler die Rollen wechseln, fällt das Stück nicht auseinander. Auch unterschiedliche Erzählebenen und Brüche stören den Fluss nicht — sie verhindern, dass sich die Zuschauer der bequemen Illusion von Fiktion hingeben können.

Tanzszenen, die Marisa Akeny und Kazuma Glen Motomura so athletisch wie spannungsreich mit Martial-Arts- und HipHop-Elementen anreichern, fügen sich geschmeidig in die Textpassagen. Und trotz der zahlreichen Monologe gelingt es Karademir, „Je suis Fassbinder“ zu einem veritablen Ensemble-Stück zu machen, in dem jede und jeder Einzelne der sieben Darsteller mit Verve und Intensität bei der Sache ist. Nur von Falk Richter, der bei der heftig beklatschten Premiere anwesend war, hätte man sich das eine oder andere Erklärungsmodell gewünscht. Der gibt die Verantwortung ab — und lässt im Stück seine Figur „Rainer“ mit dieser Frage hadern. . .

Weitere Aufführungen 13./14. Okt.; Kartentel.: 09 11/2 16 27 77

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