Köln-"Tatort": Flüchtlingskrimi mal anders

1.5.2016, 21:14 Uhr
Köln-

© WDR/Uwe Stratmann

Nur zwei Monate nachdem Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) in einer kölschen Version von Bonny & Clyde zwei junge Halunken quer durch die Rheinmetropole gejagt haben, strahlt Das Erste bereits den nächsten Fall der Kölner Kommissare aus. Darin bekommen es die zwei Cops mit der brisanten Flüchtlingsthematik zu tun.

Nach "Zorn Gottes" mit Bundespolizist Falke und "Im gelobten Land" aus Stuttgart beschäftigt sich heuer also schon der dritte "Tatort" mit einem der wohl größten Probleme unserer Zeit. Erfreulich ist, dass Torsten C. Fischers Film sich diesem Stoff auf eine andere Art und Weise nähert. So stehen nicht nur Verfolgte, sondern auch deren Verfolger im Scheinwerferlicht.

Ausgangspunkt von "Narben" ist zunächst einmal der gewaltsame Tod eines aus dem Kongo stammenden Arztes. Der anerkannte Kriegsflüchtling Dr. Patrick Wangila (Jerry Elliott) wird auf dem Nachhauseweg erstochen. Bis zu seiner Ermordung führte der Mann ein unbeobachtetes Leben. Die Kollegen in der Klinik, in der Wangila einst auf Empfehlung von Dr. Sabine Schmuck (Julia Jäger) eine Anstellung erhielt, schätzten ihn. Pflegerin Meyer himmelte ihn heimlich an. Mit seiner Frau Vivien (Anne Ratte-Polle) führte Wangila eine scheinbar tadellose Ehe. Vom Bruder Theo (Jerry Kwarteng) hören die Cops ebenfalls kein böses Wort.

Erst Sex, dann tot!

Als Gerichtsmediziner Roth (Joe Bausch) feststellt, dass der tote Doktor kurz vor seinem Ableben Sex hatte, geht Schenk zunächst davon aus, dass der attraktive Weißkittel sich mit ein paar Frauengeschichten in tödliche Schwierigkeiten brachte.

Ballauf zweifelt. Er sollte Recht behalten, denn dank der Recherchearbeit von Innendienstler Reisser (Patrick Abozen) erfahren die Kommissare, dass wenige Tage zuvor eine zweite Person aus dem Kongo verstarb. Die junge Frau verunglückte bei einem Polizeieinsatz. Dr. Wangila war bei der Aktion in einer Asylunterkunft als Notarzt mit von der Partie. Seither fehlt außerdem von Cecil, ebenfalls Kongolesin, jede Spur.

Die Cops mutmaßen, dass ihr Verschwinden, der Tod der Migrantin und der Mord an Wangila in einem direkten Zusammenhang stehen. Schenk und Ballauf wühlen tief in des Doktors Vergangenheit und fördern haufenweise Leichen im Keller zutage. Je mehr Staub sie aufwirbeln, desto gruseliger erscheint dieser Mann, der Frauen mit seinem Charme um den Finger wickeln konnte.

Zurückhaltend, ohne zu viel erklären zu wollen, porträtiert Torsten C. Fischer vier Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Auf der einen Seite stehen Cecil (Thelma Buabeng) und ihre verunglückte Begleiterin. Sie stellen die Hilfesuchenden dar, die vor den Verbrechen und den Verbrechern flohen. Die Körper der Frauen sind mit Narben übersät. Verwundungen, die äußerlich aber vor allem innerlich ihre Spuren hinterlassen haben. So wie den beiden ergeht es einem Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks zufolge 2,6 Millionen Menschen. Kongo gehört zu den Nationen mit dem höchsten Flüchtlingsaufkommen.

Den Frauen gegenüber stehen die Wangila-Brüder. Sie verkörpern in Fischers Film die Verursacher dieses Migrationsstroms. Von Deutschland aus führen diese Männer mit einer neuen Identität den Kampf im Heimatland fort. Sie sammeln Gelder, ziehen die Fäden. Mit der richtigen Mischung aus Emotionalität und Sachlichkeit macht "Narben" klar, dass unter den Europareisenden eben nicht nur Opfer sind. Fischer will mit seinem Film aber weder anklagen, noch beschönigen. Die Kamera hält drauf, nimmt keinen in Schutz, liefert niemanden ans Messer. Letztendlich muss sich der Zuschauer selbst ein Urteil bilden.

Mit viel Fingerspitzengefühl inszeniert

Gekonnt ist es, wie Fischer und sein Drehbuchautor Rainer Butt die Akteure durch den Film führen. Kaum platte Dialoge, wenig reißerische Bilder. Die klare Sicht auf die Dinge steht im Vordergrund. Nichts soll ablenken. Sogar Freddy und Max müssen öfter mal die Klappe halten und sich ihre sonst übliche Anteilnahme in die Tasche stecken. Die Ermittler erledigen ihren Job. Mehr nicht.

Weil Butt außerdem nicht nur die vier Menschen aus dem Kongo, sondern mit Wangilas Witwe, Ärztin Schmuck und Pflegerin Meyer weitere starke Frauen ins Rampenlicht bugsiert, könnte man ihm gar attestieren, einen waschechten Frauenfilm kreiert zu haben.

So ist der 66. Fall der Kölner Kripo-Dinos auch ohne großartige Verfolgungsjagden in einem von Freddys hübschen Oldtimern eine schwungvolle Angelegenheit. Ein packender Film, der durch ein gut funktionierendes Ensemble besticht. Ein Drama, das dank ein paar falsch gelegter Fährten bis zum Schluss spannend bleibt und ein brisantes Thema mit dem nötigen Fingerspitzengefühl anders als bislang üblich anpackt.

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