Mit dem Rad durch ein bewegtes Leben
21.6.2009, 00:00 UhrDer am 3. September 1941 in Dessau geborene Gnas wurde bereits als Jugendlicher Dritter der DDR-Meisterschaft. Eigentlich wollte er nach Luxemburg auswandern und dort eine Radsportkarriere einschlagen. Dann aber verschlug es ihn nach vier Jahren im oberfränkischen Arzberg nach Nürnberg. Horst Gnas, der nach Platz zwei bei der Steher-WM 1970 zum RC Herpersdorf wechselte und dessen sportlichem Leiter und Mäzen Andreas Egerer zwischen 1971 und 1973 drei WM-Titel bescherte, ist bis heute dem Radsport eng verbunden. Mindestens fünf Mal pro Woche steigt er auf sein superleichtes Rennrad, legt Strecken zwischen 100 und 140 Kilometer zurück und fühlt sich auf zwei Rädern so pudelwohl wie zu seinen besten Zeiten.
Als Gnas in die Noris kam, brachte er nicht nur Talent für den Radsport mit, sondern auch Ehrgeiz und die Bereitschaft, sich zu quälen. Um dies zu unterstreichen, erinnert er gerne eine Tour, die ihn 1960 in zehn Tagen über 2500 Kilometer nach Genua und zurück führte. «Wir hatten damals kaum Geld, ernährten uns fast nur von Spaghetti, trockenem Brot und Wasser. Aber wir haben durchgehalten.»
Als Ende der 60er Jahre am Reichelsdorfer Keller mit zehn umgerüsteten BMW- Motorrädern und einem neuen Leistungszentrum der Bahnradsport wiederbelebt werden sollte, zählte Horst Gnas zu den ersten Fahrern. An der Rolle von Udo Empter legte er nicht nur bei den Rennen meist einen Raktenstart hin. Er katapultierte sich in die deutsche Elite, worauf Bundestrainer Gustav
Kilian auf ihn aufmerksam wurde und ihn schon zwei Jahre nach den ersten Steherversuchen 1970 zur WM im englischen Leicester nominierte. Horst Gnas bedankte sich für das Vertrauen mit einem zweiten Platz – und das war der Anfang einer grandiosen Serie. Zwischen 1971 und 1973 errang der in der Zwischenzeit zum RC Herpersdorf gewechselte Gnas dreimal das Regenbogentrikot, diktierte das Geschehen im Lager der Amateursteher nach Belieben.
«Wir verstanden uns blind»
Nicht zuletzt war das auch ein Verdienst seines Schrittmachers Bruno Walrave, einem jungen Holländer. «Bruno wusste genau, wie ich reagierte, welche Reserven ich mobilisieren konnte. Wir verstanden uns auf der Bahn blind», begeistert sich Gnas noch heute für seinen Schrittmacher, der ihn 1971 und 1972 zum Titel führte.
Der Internationale Radsportverband sprengte das erfolgreiche Team mit seiner Entscheidung, dass Schrittmacher und Fahrer aus demselben Land stammen mussten. Den Vorlauf bei der WM 1973 in San Sebastian bestritt Gnas noch hinter dem Nürnberger Nachwuchspiloten Peter Schindler, der jedoch im Finale wie gewohnt den Berliner Rainer Podlesch, den heißesten Rivalen von Gnas, an die Rolle nehmen sollte. Knall auf Fall wurde der Hannoveraner Hans Käb ins Baskenland beordert. Dieser traf am Morgen des Endlaufes ein, an richtiges Training war nicht zu denken. Eine zehnminütige Eingewöhnung musste genügen. Doch nach dem Startschuss zeigte sich schnell, dass sich eine ideale Kombination gefunden
hatte. Trotz der Turbulenzen im Vorfeld ließ sich keiner von beiden aus der Ruhe bringen. Der 63jährige Hans Käb führte den halb so alten Titelverteidiger mit seiner ganzen Routine zum dritten und vielleicht sogar wertvollsten Titel.
Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. Schon zwei Tage später lernte der alte und neue Weltmeister auf grausame Weise die Schattenseiten des Lebens kennen. Seine Frau Margit und deren Freundin wurden beim Radausflug von einem betrunkenen Autofahrer erfasst und tödlich verletzt. Horst Gnas stand plötzlich mit seinen zehn und acht Jahre alten Töchtern allein da.
Zu allem Unglück kamen Verletzungen hinzu. Ein Kahnbeinbruch im folgenden Jahr, ein Oberschenkelbruch 1975 ließen ihn nie mehr zu alter Form zurückfinden. 1977 nach Platz drei bei der «Deutschen» sagte er den Ovalen endgültig ade, beendete im Alter von 36 Jahren seine Laufbahn. Über 300 Siege hatte er bis dahin bei Straßenrennen, Kriterien und auf der Bahn errungen. «Der Rücktritt ist mir sehr schwer gefallen.»
Mit der derselben Härte und Disziplin, die ihm seine sportlichen Erfolge ermöglicht hatten, ordnete er sein Leben neu. Er fand eine neue Lebensgefährtin, baute in Eckental-Eschenau für die Familie ein Haus und eröffnete zwei Reinigungsbetriebe in Nürnberg und in Röhenbach an der Pegnitz.
Seine Frau, der Radsport und viele Freunde halfen ihm in dieser schweren Zeit, über die Schicksalsschläge hinwegzukommen. Auch mit einigen seiner ehemaligen Konkurrenten blieb er in Kontakt. All diese Verbindungen erwiesen sich als segensreich, als im Oktober 2008 seine Frau Renate plötzlich einem Organversagen erlag.
Gnas zieht heute denoch zufrieden Bilanz: «Ich habe im richtigen Alter den Einstieg in den Stehersport vorgenommen, habe den idealen Schrittmacher an meiner Seite gehabt, habe in endloser Tüftelei herausgefunden, welche Übersetzung für mich am geeignetsten ist. Und dann hatte ich einen runden, durch ausgedehntes Training in den Bergen kräftigen Tritt, konnte schnell antreten und dann das Tempo mit der nötigen Ausdauer bestimmen.» Reich geworden ist er durch den Radsport nicht. «Aber ich habe viel Lebenserfahrung gesammelt, die unbezahlbar ist.»
Eine Begegnung ist ihm in besonderer Erinnerung geblieben: Vor drei Jahren kam er am Rande der Tour de France mit Gustav Adolf («Täve») Schur, dem Radsportidol der DDR, mehrfachen Friedensfahrtsieger und zweimaligen Straßenweltmeister, ins Gespräch. «Das werde ich nie vergessen", betont er.
Weniger schön sind allerding die Gedanken an seinen Verein: Dass der traditionsreiche RC Herpersdorf, der unter seinem Förderer Andreas Egerer zum Aushängeschild im deutschen Radsport geworden war, vor einem Jahr insolvent ging, hat Horst Gnas schwer getroffen: «Das ist mir unter die Haut gegangen.» KLAUS WESTERMAYER