Franken-Tatort: Von Lieben und Trieben in Nürnbergs Wäldern
12.4.2015, 21:39 UhrDie Geschichte ist so alt wie der deutsche Gartenzwerg: Christian Ranstedt (Philippe Brenninkmeyer), Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, liegt mit zwei Kugeln im Körper über dem Lenkrad seines Wagens mitten in einem Nürnberger Wald. Kurz vor seinem Tod hatte er Sex. Nur nicht mit seiner Frau.
Eifersucht als Motiv, doch die Kommissare Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Voss (Fabian Hinrichs) finden keinen Tatverdächtigen, der dazu passen würde. Stattdessen entdecken sie, dass die amerikanische Rüstungsindustrie die Uni Erlangen mit Forschungsgeldern zur Entwicklung von Waffen unterstützt. Allerdings nicht der Zuständigkeitsbereich der beiden Ermittler, weswegen dieser Faden ins Leere läuft. Ist ja auch irgendwie nicht so wichtig.
Denn das Treiben von Ranstedt können die beiden Ermittler schnell dem Lieben der Nachbarin Charlotte Pahl (Ulrike C.Tscharre) zuordnen. Ihr Mann könnte der Täter sein, doch er erweist sich als Jammerlappen, der seine sexuelle Frustration lieber beim Tennis-Doppel am Wochenende auslebt.
Femme fatale auf dem Balkon
Also, weiter kein Tatverdächtiger für Ringelhahn und Voss. Aber immerhin eine Femme fatale, welche die Männer anscheinend zu sich zieht, während sie auf ihrem Balkon des Einfamilienhauses in Erlangen steht.
Eine große Intrige decken die Ermittler am Ende nicht auf, die Geschichte lebt von ihren Charakteren. "Prostitution, Raub, Drogen, nicht besonders kompliziert", beschreibt Ringelhahn die Kriminalität in Nürnberg. Und auch der Tod von Christian Ranstedt ist kein schwerwiegender Fall, sondern einfach ein ziemlich klassischer Krimi.
Der Ton von Regisseur Färberböck macht den Unterschied. Die Leichtigkeit der ersten Minuten verfliegt im Verlauf mehr und mehr. Zum Glück. Denn das Ankommen von Voss in Nürnberg bestätigt jede üble Vorahnung: Dialoge passen nicht, sowohl in ihrer Form als auch im Inhalt.
Doch dann steigt Voss direkt am Tatort im Nürnberger Reichswald in seine Arbeit ein. Man begrüßt sich mit Handschlag, lockerer Arbeitsalltag. Besonders Matthias Egersdörfer gibt einen tollen Leiter der Spurensicherung, der Färberböcks Spiel der Leichtigkeit und Schwere verschieben kann.
Am Ende des Tages sitzt Voss in seiner Wohnung, die er sich unbesehen besorgt hat. Wie schlimm kann es schon werden? Sehr schlimm. Schimmel, Ranz und Kargheit lassen Nürnbergs neuen Kommissar kurz verzweifeln.
Erzählerische Kraft
Wie viel Potenzial diese Besetzung noch hat, zeigen die wenigen Momente, in denen eine Kollegin von Voss ein Haus in der Dämmerung nahe des Tatorts findet - augenscheinlich verlassen. Als der Wagen wieder vom Hof fährt, hält die Kamera drauf. Und drauf. Und drauf. Während sich das Auge schon Gestalten hinter den Fenster halluziniert, geht im Erdgeschoss auf einmal das Licht an. So eine Einstellung findet sich kaum in dem Sonntagabendkrimi.
Diese Momente lassen hoffen, dass Färberböck auch mit den Fällen aus Franken die gleiche erzählerische Kraft wie bei seinem Münchener "Tatort" erreicht. Denn da konnte er ohne die Einführung der Kommissare agieren, konnte in die Tiefe der Schwärze einsteigen, das deutsche Eichenholz im Wohnzimmer zur undurchdringlichen Wand werden lassen.
Noch ist der Franken-Tatort durchschaubar, das Herz der Finsternis von Nürnberg hat Färberböck nicht gefunden. Allerdings deutet seine Suche in eine gute Richtung. Es gibt nur zwei Dinge, welche die Menschen bewegen: die Liebe und der Tod. Wer von den großen Themen nicht erzählen mag, kann es gleich bleiben lassen, sagte der Schriftsteller Thomas Glavinic. Umso schöner, wenn Nürnberg die Kulisse für diese Themen ist. Denn auch ein fränkisches Einfamilienhaus hat seine Abgründe.
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