Altenpfleger in Nürnberg: Wenn der Job krank macht

31.1.2017, 08:35 Uhr
"Besonders belastend sind die ständigen Schicht- und Wechseldienste", erklärt Ex-Pflegerin Silke Lehmann. (Symbolbild)

© Fotolia "Besonders belastend sind die ständigen Schicht- und Wechseldienste", erklärt Ex-Pflegerin Silke Lehmann. (Symbolbild)

Wir sprachen mit einer Betroffenen, die kein Einzelfall ist. Sie hat dafür umso mehr Ideen, was man in der Pflege ändern müsste. Noch immer wacht Silke Lehmann (Name geändert) oft genug um vier Uhr morgens auf, wenn auch nicht mehr so regelmäßig wie noch vor einiger Zeit. Dabei dürfte die 37-Jährige jetzt eigentlich durchschlafen – wenn sie es denn könnte.

Schließlich muss sie nicht mehr um vier Uhr aufstehen, um den Frühdienst im Altenpflegeheim anzutreten, der um sechs Uhr beginnt. Lehmann aber kann und darf ihren einstigen Wunschberuf in der Pflege nicht mehr ausüben – sie ist laut Gutachten dazu nicht mehr fähig und bereitet sich auf eine Umschulung für eine Tätigkeit außerhalb des sozialen Bereichs vor.

Der Berufsalltag hat die examinierte Krankenschwester, die zunächst drei Jahre lang OP-Schwester war und dann in die Altenpflege gewechselt ist, selbst krank gemacht: Schlafstörungen, Stoffwechselentgleisungen, Migräne, Schmerzen am ganzen Körper, starke Depressionen und Angststörungen gehören dazu.

Der Job macht krank

Dass der Job ausgerechnet diejenigen krank macht, die sich um Kranke und alte Menschen kümmern sollen, ist leider nichts Ungewöhnliches: Ein Drittel aller Pflegekräfte gilt laut einer Studie als Burnout-gefährdet. Gerade psychische und psychosomatische Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren beim Pflegepersonal dramatisch zugenommen.

"Fehltage aufgrund psychischer Störungen treten am häufigsten in der Altenpflege auf", heißt es im BKK-Gesundheitsreport 2016 – mit 4,5 Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund psychischer Störungen sind es doppelt so viele wie im Durchschnitt aller Beschäftigten mit dieser Diagnose (2,3 Tage). Nimmt man alle Diagnosen zusammen, stehen Altenpflegekräfte im Jahr 2015 weit oben in der Top Ten der Liste der Fehltage: Im Schnitt sind sie 24,1 Tage arbeitsunfähig. Beschäftigte in Lehr- und Forschungstätigkeiten sind mit 4,5 Tagen Arbeitsunfähigkeit so gut wie nie krank.

Der Gesundheitsreport 2016 der Techniker-Krankenkasse bestätigt den Trend: Sind in Deutschland abhängig Beschäftigte im Schnitt 15 Tage im Jahr krank – in Bayern 13 – kommen bei den Gesundheits- und Körperpflegeberufen, zu denen Altenpflegerinnen zählen, 19 Tage zusammen.

Belastende Schichtdienste

Doch warum sind Altenpflegerinnen so häufig krank? Silke Lehmann kann das erklären: "Es ist die Kombination aus allem, die viele von uns krankmacht. Besonders belastend sind die ständigen Schicht- und Wechseldienste, die oft durch schlechte Personalplanung verursacht sind." Mit diesem Hin und Her könnten weder Körper noch Psyche auf Dauer gut umgehen. Doch das allein sei nicht das Problem. Hinzu kämen die "unzumutbare Arbeitsverdichtung" und die "schlechten Rahmenbedingungen".

Ex-Pflegerin Silke Lehmann: "Das System darum herum ist krank. Und das macht die Altenpfleger krank." (Symbolbild)

Ex-Pflegerin Silke Lehmann: "Das System darum herum ist krank. Und das macht die Altenpfleger krank." (Symbolbild) © Wavebreakmedia

"Viel zu viel Dokumentation", dafür "viel zu wenig Zeit für die sehr verantwortungsvolle Tätigkeit mit den Menschen, die doch genauso wenig Roboter sind wie wir", zählen für Lehmann zu den schlechten Rahmenbedingungen ebenso wie "die mangelnde Anerkennung in der Gesellschaft", "die viel zu geringe Bezahlung" und "die Tatsache, dass für das Personal nicht gesorgt wird – weder durch angemessene Fortbildungen noch durch Motivationsbonbons zwischendurch, wodurch man manches aufwiegen könnte".

Schwieriger Rhythmus

Dabei hatte alles so gut begonnen – damals, als Silke Lehmann statt zu studieren nach dem Abi ihre Ausbildung zur examinierten Krankenschwester mit guten Noten abgeschlossen hatte. Als sie sich im ersten festen Job direkt nach der Ausbildung als OP-Schwester von Ärzten und Kollegen fachlich geschätzt fühlte und Anerkennung erfuhr. Doch die ständigen Bereitschaftsdienste setzten ihr zu, brachten ihren Rhythmus durcheinander.

Sie hatte Angst, im Auto in den Sekundenschlaf zu fallen und andere Verkehrsteilnehmer wegen der eigenen Müdigkeit zu gefährden. Angst, aus Unkonzentriertheit nicht steril zu arbeiten – und Patienten in Gefahr zu bringen. Die Bereitschaftsdienste und überlangen Arbeitszeiten überforderten nicht nur sie, sondern auch ihre Beziehung, die in die Brüche ging. Ein erster Nervenzusammenbruch folgte. Mit den anfänglichen Fehlern, die sie machte, kam die Ernüchterung – und der erste Burnout.

Sie zog von Baden-Württemberg in eine ländliche Gegend in Bayern, ging in die ambulante Altenpflege, in Teilzeit. Hier machten ihr die strikten Zeitvorgaben zu schaffen. Wenn sie sich den Menschen länger widmete als erlaubt, sei ihr das als Freizeit abgezogen worden. Sie fand es "gewissenlos", dass vielen Arbeitgebern daran gelegen sei, dass die Pflegebedürftigen "möglichst schnell die nächste Pflegestufe erreichen, weil sich damit besser verdienen lässt". Sehr belastend empfand sie es aber, "oft auf Abruf zu sein". Die damalige Stelle war auf dem Land, weite Anfahrtswege im Notfall in der Nacht üblich.

Zahl der zu betreuenden Menschen "oft unzumutbar hoch"

Nach zweieinhalb Jahren ging sie in die stationäre Pflege, in Nürnberg. Dort wechselten im Vergleich zur ambulanten Pflege die Dienste zu verschiedenen Tageszeiten, Bereitschaftsdienste, häufiges Einspringen für kranke Kollegen und die damit einhergehenden Probleme, das eigene Leben zu planen, waren belastend, die Zahl der zu betreuenden Menschen „oft unzumutbar hoch“. Und trotzdem: Die Arbeit mit den Pflegebedürftigen an sich machte ihr immer Freude – bis zuletzt. "Aber das System darum herum ist krank. Und das macht die Altenpfleger krank", sagt Lehmann.

Etwa die Dokumentation: "Ich hatte immer das Gefühl, egal, was ich schreibe, es ist nie richtig. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen will etwas anderes als das Heim. Man kriegt von allen Seiten Druck. Und die Zeit, die man für die Pflegebedürftigen bräuchte, schrumpft dadurch."

Das ärgere Heimbewohner und Angehörige, die viel für die Pflege bezahlen. Dadurch entstehe zusätzlich Druck. Hinzu komme, dass sie wegen Personalmangels oft Tätigkeiten habe übernehmen müssen, für die sie überqualifiziert gewesen sei, etwa Brote schmieren oder Wäsche aufräumen. "Das langweilt auf der einen Seite – und auf der anderen Seite fühlt man sich quantitativ überfordert, weil man in zu kurzer Zeit so viele Dinge auf einmal tun muss. Wenn man sich darüber aber beschwert, wird man gemobbt. Deswegen wehren sich die wenigsten."

Gesellschaftliche Anerkennung fehlt

Außerdem fehle es an der gesellschaftlichen Anerkennung. "Wenn ich gefragt worden bin, was ich beruflich mache, habe ich mich oft geschämt, zu sagen, dass ich in der Pflege arbeite."

Es mag kurios wirken, dass sich Altenpfleger verstecken, obwohl sie so gesucht sind. Aber das schlechte öffentliche Image sorgt offenbar dafür. Lehmann bestätigt damit das, was auch beim jüngsten Deutschen Pflegetag in Berlin immer wieder zur Sprache kam: Besonders junge Menschen, die gerade dabei sind, Altenpfleger zu werden, verschweigen die Berufswahl im Bekanntenkreis oft.

Auch wenn Lehmann für sich selbst mit dem Pflegeberuf abgeschlossen hat, wünscht sie sich schnelle Änderungen, damit es zumindest die Kolleginnen künftig leichter haben – und der Beruf für den Nachwuchs attraktiver wird. Bessere Dienstpläne, die die persönliche Freizeitplanung erleichtern, und der Umstieg auf eine Kurz-Dokumentation sind das eine.

„Die Altenpflegeausbildung ist niveaulos – ich rate ab davon“

Sie ist optimistisch, dass das neue Pflegestärkungsgesetz ein wenig Erleichterung bringen könnte. Entscheidend sei aber auch eine deutlich bessere finanzielle Würdigung der "schweren Arbeit, die Pflegekräfte täglich leisten" – und attraktive Fortbildungsmöglichkeiten. So habe sie nie die gewünschte Palliativ-Weiterbildung bekommen, sondern die immer gleichen Fortbildungen zur Wundversorgung. Auch Motivationsanreize – wie kleine Reisen oder Massage- und Wellnessangebote, gerne bezahlt von Sponsoren, könnten ihrer Meinung nach viel bewirken.

Zudem wünscht sie sich "endlich flächendeckend eine Lobby wie den Pflegerat", der aber frei sein müsse von Einmischung durch Krankenkassen oder Gesundheitsministerium. Sie sei froh gewesen, dass sie selbst die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht habe. Die Altenpflegeausbildung hält sie hingegen für "ziemlich niveaulos". Deshalb habe sie Praktikanten immer geraten, diese Ausbildung nicht zu machen. Ihrer Meinung nach gehöre diese abgeschafft. Die jetzt geplante Generalisierung der Pflegeausbildung gehe in die richtige Richtung, meint die 37-Jährige.

Insgesamt müsse die stark alternde Gesellschaft sich selbst zuliebe die Altenpflege-Kräfte besser behandeln, so dass diese wieder selbstbewusst nach außen auftreten und stolz auf ihren Beruf sein könnten. "Ich selbst jedenfalls würde im Alter alles tun, um nicht ins Heim zu gehen."

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