Brutaler Mord im Milieu

28.6.2002, 00:00 Uhr
Das idyllische Dorf Röckingen, im Hintergrund ist Wassertrüdingen zu sehen. Hier regierte Erich Kunder als Bürgermeister.

© Wolfgang Dressler, NN Das idyllische Dorf Röckingen, im Hintergrund ist Wassertrüdingen zu sehen. Hier regierte Erich Kunder als Bürgermeister.

Längst war den Ermittlern klar, dass es sich nur um den vermissten 51-Jährigen handeln konnte. Schließlich kam der Hinweis auf das Waldstück von den drei Mordverdächtigen. Schon am Dienstag waren in Tschechien ein 31-Jähriger und eine 29-jährige Prostituierte festgenommen worden. Bayerische Polizisten verhafteten einen 25-Jährigen; der Mittäter beim Mord soll zudem eine Post ausgeraubt haben.

Bei den Verhören wurden die Verdächtigen mit einer erdrückenden Beweislast „weich gekocht” und gaben schließlich das Versteck preis - Schimpel war ständig informiert, schließlich hatte er schon im März einen Ansbacher Kriminaler als Verbindungsmann nach Tschechien geschickt. Statt nur lange Wege übers Bundeskriminalamt zu nutzen, arbeiteten die in Ansbach gebildete Sonderkommission „Hesselberg” und die Fahnder in Tschechien im fast täglichen persönlichen Kontakt.

Letzter Anruf

Gerichtsmedizin und Kriminalpolizei können mittlerweile rekonstruieren, was sich am 5. März abgespielt hat. Nach einem Kundentermin in Baden-Württemberg hatte sich der Großhandelskaufmann für Elektroartikel um 15.56 Uhr zum letzten Mal per Autotelefon zu Hause gemeldet. Er werde etwas später heimkommen, sagte er. Zu dieser Zeit, das ergaben Ermittlungen bei den Netzbetreibern, war Kunder bei Schwandorf. Um 17.49 Uhr passierte Kunders silbergrauer Mercedes, so Erkenntnisse der Grenzpolizei, die Grenze bei Waldsassen.

Auf der Straße zwischen Cheb und Sokolov (Falkenau) sprach Kunder - immer den Ermittlern zufolge - die 29-Jährige an; sie war der Lockvogel für die tödliche Falle.

Im Prager Polizeipräsidium wurden Franz Schimpel und der Leitende Oberstaatsanwalt von Ansbach, Ernst Metzger, gestern über die grausigen Details der Bluttat unterrichtet. Die Täter überfielen Kunder in der Wohnung der Frau mit Holzknüppeln und schlugen ihn nieder. Bevor sie ihn erdrosselten, quälten sie den 51-Jährigen, bis ihr Opfer die Geheimnummern seiner Kreditkarten preisgab.

Nach Einschätzung der Prager Polizei handelt es sich nicht um professionelle Gewalttäter. Das Trio war aber bereits wegen Drogendelikten aufgefallen.

Heißes Pflaster

Schnell nach Kunders Verschwinden war der Verdacht aufgetaucht, er könne im westböhmischen Rotlichtmilieu zu Schaden gekommen sein. Ermittlungen ergaben, dass er sich wiederholt in dem Landstrich aufgehalten hatte. Die Spurensuche war aber schwierig. 5000 Prostituierte gibt es nach Polizeiangaben allein in Cheb. Dazu kommt eine Dunkelziffer und eine riesige Zahl von Zuhältern - ein heißes Pflaster, in dem kriminalistische Arbeit kaum möglich ist. Als die Ermittlungen nicht vorankamen, intervenierte sogar Kunders Parteifreund, Innenminister Günther Beckstein (CSU), in Prag.

Aber alle Flugblätter und Suchaufrufe sowie die Belohnung von 30 000 Euro halfen nicht weiter, auch nicht der Einsatz von Suchhubschraubern. Allerdings gab es zwei wichtige Hinweise. Noch am 5. März waren mit Kunders Scheckkarten in Pilsen und Cheb 2000 Euro abgehoben worden. Bis zur Sperrung der Karten erbeuteten die Täter weitere 3000 Euro an Bankautomaten - dabei wurden zwei Gesichter von einer versteckten Kamera fotografiert. Ob es sich dabei um die Festgenommenen handelt, wurde nicht verraten. Möglicherweise gibt es noch weitere Verhaftungen, deutete ein Polizeifunktionär in Prag an.

Die zweite Spur: Kunders nagelneuer Mercedes tauchte fünf Tage nach dem Verschwinden in Weißrussland auf; der Fahrer wurde verhaftet.

Aber erst mit verdeckten Ermittlungen im Milieu kamen die tschechischen Kriminaler auf die Spur der Täter. Offiziell bestätigt kein Verantwortlicher die Tricks. Allerdings ist bekannt, dass Erkenntnisse im Rotlichtmilieu am besten über Verbindungsleute aus der Szene gewonnen werden. Neid, „alte Rechnungen” oder die Aussicht auf milde Richter „bringen harte Jungs zum Singen”. Mit „größtem Respekt” sprechen Ansbacher Kriminaler inzwischen über den Erfolg ihrer Kollegen und freuen sich über die „unkomplizierte Zusammenarbeit”.

Nach Einschätzung der Ermittler war Erich Kunder ein Zufallsopfer. Im westböhmischen Rotlichtmilieu ist der heimtückische Hinterhalt aber kein Einzelfall, lediglich die extreme Brutalität gilt als außergewöhnlich. Seit die Stadt Cheb die Straßenprostitution in Wohnungen und Bordelle verdrängt, steigt die Zahl der Raubüberfälle in Privaträumen enorm an. Allerdings ist die Dunkelziffer groß. Die meisten Opfer wollen nicht zugeben, dass ihnen Autoschlüssel und Kreditkarten in Bordells weggenommen wurden.