Glyphosat: Schmidt-Alleingang empört die SPD
28.11.2017, 08:28 UhrDie SPD reagiert empört auf das überraschende Ja von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) aus dem mittelfränkischen Obernzenn zu einer weiteren Zulassung des umstrittenen Unkrautgifts Glyphosat in der EU. Schmidts Votum sei ein "glatter Vertrauensbruch" und widerspreche auch der Geschäftsordnung der Bundesregierung, sagte Vize-Chef Ralf Stegner am Montag in den ARD-"Tagesthemen". Er sprach von einem "ordentlichen Schlag ins Kontor". Da die SPD vorher klar Nein zu einer weiteren Zulassung gesagt habe, hätte Schmidt sich in dem EU-Gremium enthalten müssen.
Die SPD frage sich, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) davon gewusst habe, sagte Stegner. Der Vertrauensbruch diene nicht den laufenden Gesprächen, die jetzt auf Wunsch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwischen den Parteien geführt werden, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen.
Nahles spricht von einem "schweren Vertrauensbruch"
An diesem Donnerstag treffen sich die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD auf Einladung des Staatsoberhaupts im Berliner Schloss Bellevue. Bereits am Dienstagmorgen empfängt Steinmeier die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles.
Schmidt hatte sein Ja zu einer weiteren Zulassung des Unkrautgifts für fünf Jahre mit "wichtigen Verbesserungen zum Schutze der Pflanzen- und Tierwelt" gerechtfertigt.
BM #Hendricks zur Verlängerung der Zulassung von #Glyphosat: „erfolgte ohne meine Zustimmung und entgegen der Absprache mit Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.“ https://t.co/nLkERE2mVK
— BMUB (@bmub) 27. November 2017
Die SPD lehnt eine Zulassung des Gifts dagegen ab, unter anderem wegen möglicher Krebsrisiken. Nahles hatte ebenfalls von einem "schweren Vertrauensbruch" in der geschäftsführenden Bundesregierung gesprochen. Sie frage sich, ob die Kanzlerin ihre Leute noch im Griff habe.
Union hat gegen SPD Veto der Glyphosat Zulassung zugestimmt u SPD Minister übergangen. Ein krasser Vertrauensbruch. Das ist ein Skandal!
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) 27. November 2017
Die Grünen fordern nun Aufklärung. Die frühere Ressortchefin Renate Künast nannte es einen "ungeheuren Vorgang", dass Schmidt mit Ja gestimmt habe, obwohl das SPD-geführte Umweltministerium dagegen war. Sie möchte wissen, ob das mit Wissen Merkels passiert sei. Ansonsten müsse die Kanzlerin Schmidt entlassen, sagte Künast der Deutschen Presse-Agentur.
Schmidt soll aus eigener Initiative entschieden haben
Schmidt selbst sagte auf Fragen, inwiefern Merkel einbezogen war: "Der Fachminister, der federführend in dieser Frage ist, muss im Laufe von Beratungen in Brüssel in der Lage sein, an der Sache orientierte Entscheidungen zu treffen." Merkel hatte zuvor aber grundsätzlich befürwortet, den Wirkstoff weiter anzuwenden.
Aus Regierungskreisen hieß es, Schmidt habe aus eigener Initiative heraus entschieden. Ob Merkel informiert war, blieb zunächst offen.
Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr - auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Verkauft werden jährlich rund 850.000 Tonnen solcher Mittel, in Deutschland sind es 5000. Einige Wissenschaftler sehen ein Krebsrisiko.
Die FDP forderte Merkel auf, die Unstimmigkeiten rasch aufzuklären. "Die vorsätzliche Verletzung der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung stellt die Koalitionsfähigkeit als solche in Frage", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundeskanzlerin und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) "müssen nun schnell aufklären, was sie davon wussten und welche Konsequenzen dieser Verstoß nach sich zieht".
Ist die Vetrauensbasis zwischen CDU und SPD noch da?
In der Debatte über eine Neuauflage der großen Koalition pochten SPD-Politiker weiter darauf, dass die Traditionspartei autonom entscheide. Ex-SPD-Chef Kurt Beck warnte vor allzu großer Eile bei einer möglichen Neuauflage der großen Koalition. "Man muss versuchen, eine Vertrauensbasis herzustellen", sagte der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident der Deutschen Presse-Agentur in Koblenz mit Bezug auf die Union. "Da muss man sich rantasten."
Es gebe "keinen Automatismus" für eine Koalition, sagte auch NRW-Landeschef Michael Groschek der Passauer Neuen Presse. "Wir ziehen keine Stacheldrahtzäune und lassen uns erst recht keine Bedingungen von der gescheiterten Jamaika-Union diktieren." Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Es ist noch alles offen: Von Großer Koalition über Minderheitsregierung bis hin zur Neuwahl, wenn alles schief geht."
FDP-Chef Christian Lindner sagte demselben Blatt, die langen Wochen ohne neue Regierung seien kein Grund zur Unruhe. "Aktuell gibt es nur wenige Dinge, die dringend entschieden werden müssen. Und dafür hat Deutschland eine geschäftsführende Bundesregierung und ein voll arbeitsfähiges Parlament." Die große Koalition sei aus seiner Sicht gegenwärtig die beste Lösung, wenn eine Neuwahl vermieden werden solle. "Die GroKo wäre nicht kreativ, sondern nur am Status quo orientiert, gleichwohl aber stabil."
Die Parteien CDU/CSU und SPD legen in der Wählergunst zu, wie die Bild-Zeitung mit Verweis auf den neuen INSA-Meinungstrend berichtete. Die Union erreicht demnach bei der Sonntagsfrage zwei Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche und kommt nun auf 32 Prozent. Die SPD gewinnt einen Punkt auf 22 Prozent, und erreicht damit mehr Zustimmung als bei der Bundestagswahl (20,5 Prozent).
Der designierte sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) riet zu gemäßigteren Tönen. "Ich rate dazu, argumentativ abzurüsten", sagte er der Rheinischen Post. "Wir brauchen einen Koalitionsvertrag, in dem alle Parteien ihre Punkte machen."
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) forderte, in einer neuen Bundesregierung müssten mehr junge Menschen in Verantwortung kommen. Nach außen müsse auch deutlich gemacht werden, dass es irgendwann eine andere Kanzlerschaft und eine andere Parteivorsitzende als Merkel geben werde, sagte er dem Sender HR-Info. Aber das liege noch in weiter Zukunft.
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